Erler: Obama steht für Aufbruch

Berliner Zeitung, 6. November 2008

Das Außenministerium erwartet neue Impulse für die deutsch-amerikanischen Beziehungen

Der neugewählte US-Präsident kann nicht nur sein Land verändern, sondern auch Europa, sagt Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt.

Berliner Zeitung: Herr Erler, ist Ihr Wunschkandidat US-Präsident geworden?

Gernot Erler: Jetzt, wo es vorbei ist, kann ich es ja sagen: Ich habe mir Obama als 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten sehr gewünscht. Und dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen.

Berliner Zeitung: Ist Obama auch der bessere US-Präsident für Deutschland?

Gernot Erler: Obama steht für Veränderung und für gesellschaftlichen Aufbruch. Ein solches Klima kann auch positiv auf Europa ausstrahlen, und die deutsch-amerikanischen Beziehungen befruchten.

Berliner Zeitung: Und das, obwohl Obama deutlich weniger von Außenpolitik versteht als John McCain?

Gernot Erler: Das kann man so nicht sagen: Obama ist ja kein unerfahrener Neuling. Er sitzt seit Jahren im US-Senat, hat einen unglaublich harten Wahlkampf hinter sich und in diesen 22 Monaten durchaus gezeigt, dass er etwas von der Welt außerhalb der USA versteht.

Berliner Zeitung: Obamas Wahl wird hier wie die Ankunft des Messias empfunden.

Gernot Erler: Ich glaube, dass bei aller Freude in Deutschland über den Wahlsieg von Obama dennoch ein gesundes Maß an Nüchternheit vorherrscht. Wer glaubt, mit Barack Obama ziehe eine Lichtgestalt ins Weiße Haus ein, die alle Probleme dieser Welt sofort anpacken und auch lösen kann, der wird womöglich bald enttäuscht sein.

Berliner Zeitung: Wie wird sich das transatlantische Verhältnis unter Obama verändern?

Gernot Erler: Das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA hatte sich seit dem Nein der damaligen rot-grünen Bundesregierung zum Irak-Krieg bereits wieder Stück für Stück verbessert. Ich denke aber, mit Obama besteht die Chance, es noch weiter zu verbessern. Er hat schon signalisiert, deutlich mehr als Bush mit den Verbündeten zusammenarbeiten zu wollen. Ich bin sicher, dass er diesen Willen auch in die Tat umsetzen wird.

Berliner Zeitung: Kann Obama wirklich multilateral handeln, oder wird er, wie viele seiner Vorgänger, im Zweifel die US-Interessen knallhart durchsetzen?

Gernot Erler: Jeder US-Präsident muss zunächst einmal die Interessen der Vereinigten Staaten im Blick haben, sonst bleibt er nicht lange US-Präsident. Schließlich ist er nicht von den Europäern gewählt worden, sondern von den Amerikanern, und er möchte in vier Jahren von diesen auch wiedergewählt werden. Aber Barack Obama hat nicht nur in seiner Rede Ende Juli in Berlin deutlich gemacht, dass es ihm ernst ist mit der Multilateralität.

Berliner Zeitung: Wie kann Europa Obama helfen? Immerhin gehören zur Multilateralität mehrere Seiten.

Gernot Erler: Natürlich muss Europa auch die Hand ausstrecken. Wir haben so viele Konzepte zur Bewältigung der internationalen Herausforderungen. Es wäre gut, wenn wir die Zeit bis zur Amtsübernahme Obamas Ende Januar nutzten, um die europäischen Anforderungen an eine gemeinsame transatlantische Strategie zu formulieren und diese dann mit den neuen Verantwortlichen der US-Regierung zu debattieren.

Berliner Zeitung: Obama dürfte den Deutschen viel mehr in Afghanistan abverlangen und auch einen stärkeren Beitrag für die Stabilisierung des Iraks einfordern. Was macht dann die Regierung?

Gernot Erler: Wir können sehr selbstbewusst in solch eine Debatte gehen. Deutschland ist nicht nur der drittgrößte Truppensteller in Afghanistan, Deutschland hat auch seine finanziellen Zuwendungen für den zivilen Wiederaufbau des Landes im Laufe der Jahre von 80 Millionen Euro auf demnächst 170 Millionen Euro gesteigert. Die Antwort auf die Frage, ob wir mehr machen könnten, lautet: Wir machen bereits mehr als früher - und das ohne gezielte Aufforderung aus den USA.

Berliner Zeitung: Und im Irak?

Gernot Erler: Auch Obama kennt unsere "roten Linien". Das heißt: keine deutschen Truppen in den Irak. Wirtschaftliche und zivile Aufbauhilfe, wie sie ja bereits geleistet wird, ist davon natürlich ausgenommen

Berliner Zeitung: Wann erwarten Sie die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba?

Gernot Erler: Es hat mich schon sehr beeindruckt, was Obama im Wahlkampf über die Unzulässigkeit von Folter gesagt hat. Ich hoffe, er wird das Lager schon kurz nach Amtsantritt für immer und ewig schließen.

 

Das Gespräch führte Damir Fras.