Erler warnt vor Verhängung von Sanktionen

SPD-Politiker: Schaden für Europa möglicherweise größer als für Russland  

Interview im Deutschlandradio, 1. September 2008

Nach Einschätzung von Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, werden die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Sondergipfel das Verhalten von Russland im Konflikt mit Georgien eindeutig verurteilen. Sanktionen gegen Moskau zu verhängen, sei aber nicht der richtige Weg, betonte der SPD-Politiker.

Birgit Kolkmann: Was eine wirklich angemessene Politik ist, darüber sind sich die Mitgliedsstaaten der EU keineswegs einig und der heutige Kaukaus-Krisengipfel in Brüssel soll ja mehr Klarheit bringen. Wir begrüßen jetzt zum Gespräch den Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Gernot Erler von der SPD!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Erler, muss die EU jetzt Farbe bekennen?

Erler: Ja, das muss sie. Das wird ein schwieriger Sondergipfel, denn tatsächlich, im Vorfeld gab es sehr unterschiedliche Erwartungen an diesen Gipfel und es war auch deutlich, dass viele wichtige Vertreter der EU versuchen, vorher die ganze Mitgliedschaft der EU drauf einzuschwören, dass das Wichtigste jetzt ist, dass man eine gemeinsame Position bezieht.

Kolkmann: Nur drei Stunden Zeit haben die Staats- und Regierungschef dann heute. Wären denn Sanktionen der richtige Weg, und reichen drei Stunden aus, um so etwas Einschneidendes wie Sanktionen zu beschließen?

Erler: Nein, das reicht nicht aus. Und deswegen gibt es auch eine klare Ansage der französischen Präsidentschaft, dass es keine Sanktionsbeschlüsse da geben wird. Und das entspricht auch der deutschen Position im Vorfeld des Gipfels.

Kolkmann: Die Frage ist, welches Druckmittel kann denn die EU auf den Tisch legen bei den Verhandlungen. Russland selber macht natürlich Druck mit der Abhängigkeit der Europäischen Union von den Rohstoffausfuhren von Öl und Gas.

Erler: Ja, was Sie ansprechen, das macht ja deutlich, dass man sehr aufpassen muss, dass bei Sanktionen oder Maßnahmen, die man da berät oder vielleicht sogar beschließen will, dass sie nicht einem selber schwieriger erscheint bzw. einem selber mehr schaden als der russischen Seite. Und das Spektrum der Reaktionsmöglichkeiten der russischen Seite ist objektiv, das muss man einfach zur Kenntnis nehmen, auch sehr groß. Deswegen, glaube ich, wird es zu einer sehr starken Verurteilung, einer Rüge für Russland geben, was die Anerkennung der beiden abtrünnigen Gebiete hier angeht. Es wird sicherlich auch eine starke Forderung geben, dass Russland Punkt für Punkt diese sechs Punkte erfüllen muss. Dazu gehört ja auch der Rückzug der Truppen in ihre Ausgangsstellungen. Und ansonsten wird man sich dann mit der Hilfe für Georgien beschäftigen.

Kolkmann: Zeigt sich dann an diesem Punkt, gerade der Abhängigkeit vom Öl und Gas aus Russland, dass sich die EU in eine viel zu große Abhängigkeit gebracht hat, auch dank ihres früheren Parteichefs, Ex-Kanzler Schröder zum Beispiel?

Erler: Ich glaube, dass es erstens mal schwierig ist, dazu eine wirkliche Alternative aufzuzeigen. Da muss man sich ja auch die Länder etwa gerade im Nahen Osten oder am Rande des Mittelmeeres angucken, die überhaupt die einzige objektive Alternative sind, und ob da eine größere Abhängigkeit besser ist, muss man sich angucken. Und außerdem hat eben Europa in den vergangenen 35 Jahren eigentlich ausschließlich stabile Erfahrungen gemacht mit Russland als Partner im Energiegeschäft, das darf man nicht vergessen. Bisher gibt es da nichts zu beanstanden. Und es gibt ja auch immer wieder Zusicherungen aus Moskau, dass das so weitergehen soll.

Kolkmann: Nun sprechen Sie einen Zeitraum an, der vergangenen 30 Jahre. Das greift ja schon auch den Kalten Krieg mit ein. Gibt es da noch ein gewisses altes Denken, dass sich die alten EU-Staaten zumindest eine Machtdemonstration gegenüber Moskau nicht so richtig zutrauen?

Erler: Ja, aber das hat nichts mit einer Zurückhaltung zu tun, sondern eher damit, dass man eben realistisch und besonnen sich die Lage angucken muss. Und dazu gehört ja dann nicht nur das Energiegeschäft, dazu gehört die Erkenntnis, dass ohne ein Minimum der Zusammenarbeit mit Russland bestimmte internationale Konflikte, ob das der Nahost-Konflikt, ob das das Problem der iranischen Nuklearprogramme, ob das der Kampf in Afghanistan angeht, dass es ohne eine solche Zusammenarbeit gar nicht möglich ist, diese weltpolitischen Themen weiterzubringen und dass man eben auf Russland als einen konstruktiven Partner angewiesen ist. Und insofern muss man eben über einen sehr, sehr intensiven Austausch und auch ein sehr kritischen Austausch mit Russland nachdenken. Aber eine weitere Eskalation durch irgendwelche einseitigen Sanktionen, die dann irgendeine Antwort finden werden in Moskau, da ist die Zurückhaltung in der Tat sehr groß.

Kolkmann: Sehen Sie in dieser Krise durchaus auch eine Chance, sich mit Russland ganz anders ins Benehmen zu setzen?

Erler: Dass das kein business as usual geben kann nach diesen Vorgängen, das ist jedem klar, das gibt es ja auch nicht. Aber es ist auf der anderen Seite doch auch zu erkennen gegeben, dass beide Seiten, und zwar die EU wie auch Russland, gerade am Wochenende versucht haben, ein bisschen zu deeskalieren. Es hat dieses Gespräch zwischen dem deutschen Außenminister Steinmeier und seinem russischen Kollegen Lawrow gegeben, wobei wir gesagt haben, es geht jetzt darum, mal ein bisschen stärker in einen konstruktiven Dialog da reinzukommen und haben sich gegen die Versuche gewandt, Spannungen anzuheizen. Die Bundeskanzlerin hat mit dem polnischen Präsidenten Kaczynski gesprochen, auch um etwas dessen Erwartungen oder Plädoyers für Sanktionen zu besprechen. Es gibt allenthalben jetzt Bemühen, vor diesem Sondergipfel von heute da die Erwartungen in die richtige Richtung zu lenken.

Kolkmann: Die neuen Mitgliedsstaaten sehen das ja ganz anders als die alten. Die wollen ja eine härtere Gangart gegenüber Russland. Werden das die alten nicht mitmachen?

Erler: Na ja, das ist ja eben schon deutlich geworden, dass man in Gesprächen ist, dass man versuchen wird, eben diese Erwartungen anzugleichen. Das Wichtigste ist eben, dass die EU jetzt mit einer Stimme spricht. Das war selten so schwierig wie vor diesem Sondergipfel, eben weil auch auf der Basis der unterschiedlichen historischen Erfahrung, aber auch auf der Basis von manchen Ideen, das mal zu übertragen, dieses Szenario von Südossetien auf andere Länder rund um Russland herum, doch da einige der Meinungen sind, man müsste jetzt mehr tun als nur eine Kritik an Russland üben. Und insofern war es auch wichtig, dass hier Medwedew, der russische Präsident, noch mal gesagt hat, es gebe überhaupt keine Pläne oder irgendwelche Gedanken auch nur daran, jetzt in ähnlicher Weise mit anderen Nachbarn von Russland zu verfahren. Vielleicht hilft das, zur Beruhigung bzw. zur Entspannung beizutragen, jetzt unmittelbar vor dem Gipfel.

Kolkmann: Sie setzen auf die Diplomatie, entnehme ich Ihren Worten. Sagt zum Beispiel der außenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Karl-Theodor zu Guttenberg, klare Worte gegenüber Russland seien gefordert und die Politik der EU-Partner darf jetzt nicht in Appeasement abgleiten. Was soll es dann sein, was er meint?

Erler: Ja, nein, um Appeasement geht es natürlich tatsächlich nicht. Ich hatte ja gesagt, das ist nicht nur so irgendwie eine generelle Kritik an Russland, sondern es geht vor allen Dingen um das Bestehen auf dem Sechs-Punkte-Plan. Und da ist ja unser Eindruck, dass diese Punkte noch nicht in allen Details umgesetzt sind. Es geht auch darum sich zu überlegen, wie dieser in den sechs Punkten auch benannte internationale Mechanismus, der dann ermöglichen würde, auch die russischen Soldaten in dieser Sicherheitszone zu ersetzen, zu besprechen, auch die Frage, ob vielleicht die EU sich darauf vorbereiten kann, hier eine eigene Rolle zu spielen. Und es kann auch sein, dass es insgesamt auch einen Prüfauftrag gibt, die europäisch-russischen Beziehungen zu untersuchen, was die Folgerungen sein müssen, jetzt nach diesen Erlebnissen, die wir gehabt haben. Das alles ist wirklich keine Appeasement-Politik.

Kolkmann: Vielen Dank, Gernot Erler. Er ist Staatminister im Auswärtigen Amt. Vielen Dank für dieses Gespräch mit dem SPD-Politiker.