SWR2 Tagesgespräch zum Kaukasuskonflikt

Rudolf Geissler im Gespräch mit Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, 13. August 2008

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), hält nach der Zustimmung auch Georgiens zum jüngsten Kaukasus-Friedensplan die Gefahr neuer Gefechte für „weitgehend gebannt". Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, der Stufenplan sehe schließlich neben einer Waffenruhe auch eine Truppenentflechtung vor, die vor einem Wiederaufflammen der Kämpfe zusätzlich schütze. Der Territorialkonflikt um Südossetien und Abchasien sei damit aber noch nicht zu Ende. Notwendig sei eine „politische Lösung dieser beiden Probleme auf dem Boden Georgiens", sagte Erler. Die  Regierung in Tiflis könne an einer schlichten Fortschreibung des status quo nicht interessiert sein, weil das auch bedeuten würde, dass dann die russischen Friedenstruppen in Südossetien stationiert blieben. Die demonstrativ solidarische Haltung der Polen und Balten mit Georgien habe im übrigen deutlich gemacht, dass Teile der EU die Rolle Russlands mit den Augen ihrer Sowjeterfahrungen betrachteten, sagte Erler. Nach diesem Konflikt werde es „eine schwierige Herausforderung" sein , auf dem Boden der 27 EU-Staaten „zu einer gemeinsamen Russlandpolitik zu kommen".

 -  Wortlaut des Live-Geprächs -

Rudolf Geissler: Der georgische Präsident Saakaschwili scheint den Friedensplan, den ihm Frankreichs Präsident Sarkozy gestern Abend vorgelegt hat, vor allem in militärischer und humanitärer Hinsicht akzeptiert zu haben.  Inwieweit ist damit die Gefahr eines Flächenbrandes beseitigt, vor dem Außenminister Steinmeier zu Wochenbeginn noch gewarnt hatte?

Gernot Erler: Man muss wirklich sehr froh sein, dass jetzt beide Seiten hier einem solchen Stufenplan zugestimmt haben, weil in der Tat das darüber hinaus geht, dass einfach nur eine Waffenruhe ausgerufen wird, sondern da ist schon eine weitere Schrittabfolge drin, wie jetzt eine Entflechtung auch hier der Truppen stattfinden kann. Das ist ein weitgehender Schutz gegen ein Wiederaufflammen der Kämpfe und insofern würde ich sagen, ist diese Gefahr, dass es noch einmal ganz ernst wird, jetzt weitgehend gebannt.

Rudolf Geissler: Die aktuelle Krise mag entschärft sein, aber der Territorialkonflikt selbst, der Streit um die abtrünnigen Südosseten und Abchasier ist damit ja nicht gelöst. Können die Außenminister der EU dazu heute was beitragen, wenn sie sich in Brüssel treffen oder wird es im Wesentlichen um humanitäre Fragen gehen?

Gernot Erler: Zunächst einmal ist dieses Treffen ja notwendig, weil wir bisher ein Handeln der französischen Ratspräsidentschaft  weitgehend auf der Basis eigener Überlegungen hatten und jetzt natürlich ein großer Informationsbedarf der anderen 26 EU-Staaten da ist, nun aus erster Hand zu erfahren, was eigentlich gelaufen ist und was jetzt eigentlich die konkreten Ergebnisse und auch Erkenntnisse der Ratspräsidentschaft über die Situation im Kaukasus ist. Dann wird es wahrscheinlich jetzt eine Phase geben, wo man vor allen Dingen auf diese Umsetzung dieser ersten Schritte achten wird, also auf das Ende der Kämpfe, die Entflechtung der Stationierung und vor allen Dingen auch auf die humanitäre Hilfe. Das UNHCR, das UNO-Flüchtlingswerk, hat bekannt gegeben, dass es mit 100-tausend hilfsbedürftigen Flüchtlingen rechnet - davon 30-tausend im Augenblick in Nordossetien. Das sind Aufgaben, die die nächsten Tage und möglicherweise Wochen beschäftigen werden. Und es wird wahrscheinlich schwierig sein, heute schon Pläne zu machen für die Zeit danach, weil auch eine wichtige Aufgabe ist jetzt, dass die doch sehr unterschiedlichen Reaktionsweisen in der EU ein bisschen koordiniert werden.

Rudolf Geissler: Auf diese Meinungsunterschiede komme ich gleich noch. Der georgische Präsident hat ja pikanterweise den Passus streichen lassen in dem Friedensplan, der für internationale Gespräche zum Status von Südossetien und Abchasien plädiert. Ist damit der Territorialkonflikt letztlich überhaupt zu lösen oder heißt das nicht, es bleibt definitiv beim Statusquo?

Gernot Erler: Die Frage ist ja, was eigentlich für Georgien dieser Statusquo bedeutet, denn auf der anderen Seite wissen wir, dass in diesem Punkteplan von gestern auch der Verbleib der russischen Friedenstruppen in Südossetien vorgesehen war. Das kann ja auf Dauer auch nicht das georgische Interesse sein. Ich glaube also, dass hier vor allen Dingen dieser Anspruch der territorialen Integrität noch mal unterstrichen werden sollte und gesagt werden sollte, dass das nicht zur Disposition steht. Aber das ist eine Vermutung von mir. Ich glaube, man wird diese georgische Position  sich erst noch einmal genauer angucken müssen.

Rudolf Geissler: Nun hat sich ja Herr Saakaschwili durch NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer durchaus ermutigt fühlen können in seiner Position, dass die territoriale Integrität unantastbar bleiben soll. Das hatte er ja gestern gesagt. Ist die NATO wirklich gut beraten, diese Position aufrecht zu erhalten?

Gernot Erler: Zunächst einmal ist das ja entsprechend dem allgemeinen Völkerrecht. Es gibt zwar separatistische Gebiete - abtrünnige Gebiete - in Georgien, aber es war auch immer die Auffassung der EU, dass natürlich völkerrechtlich diese Gebiete weiter zu Georgien gehören, und es war also eher eine de-facto-Unabhängigkeit bisher, keine de-jure-Unabhängigkeit. Es gab aber durchaus ja Verhandlungsprozesse, die zum Beispiel, was Abchasien angeht, ja auch von Deutschland in den letzten Wochen noch sehr intensiv vorangetrieben worden sind. Es gab ja schon Zusagen. Wir brauchen eine politische Lösung dieser beiden Probleme auf dem Boden Georgiens, und jetzt hat sich gerade gezeigt, dass eine militärische Lösung eben nicht möglich ist.

Rudolf Geissler: Aber auch das Verhältnis zu Russland muss natürlich im Auge behalten werden. Der georgische Präsident hat sich gestern auffallend martialisch gegenüber Moskau geäußert. Georgien sei der „Vorposten im Kampf gegen Russland", bilde „die Grenze zwischen Gut und Böse". Entspricht diese Rhetorik den Lösungsansätzen der Europäischen Union in diesem Konflikt, oder sind da auch mahnende Worte des Westens angezeigt?

Gernot Erler: Also, ich denke mal, dass man die Situation natürlich hier berücksichtigen muss. In Wirklichkeit ist es ja so, wenn man nüchtern herangeht, ist nicht ein einziges Ziel der georgischen Seite in dieser Auseinandersetzung, die ja ursprünglich in der Nacht vom 7. auf den 8. August von georgischer Seite nach heftigen Provokationen von beiden Seiten ausgelöst wurde. Und es ist ein letztenendes militärisches Desaster entstanden. Aber ich gebe Ihnen völlig Recht: es hat ja auch dort eine Reihe von osteuropäischen Gästen gegeben, die ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht haben. Das sind alles Länder innerhalb der EU, also mit Polen und den baltischen Staaten, dazu kam noch die Ukraine, die also ihre eigenen Erfahrungen mit der Sowjetunion gemacht haben und die nichts vergessen haben, und die innerhalb der EU eben auch eine sehr starke russland-kritische Position einnehmen. Und das wird eine schwierige Herausforderung nach diesem Konflikt sein, hier auf dem Boden der 27 Staaten der EU in Zukunft zu einer gemeinsamen Russlandpolitik zu kommen.