Erler: Die Angst des Regimes vor Veränderungen ist sehr groß

Interview in der Berliner Zeitung, 29. Mai 2008

Staatsminister Gernot Erler über die Auswirkungen der Zyklon-Katastrophe auf die Militärjunta in Birma.

Zyklon in Birma, Erdbeben in China - der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), erklärt, wie unterschiedlich die Regierungen in Rangun und in Peking auf die Katastrophen reagieren.

Berliner Zeitung: Herr Erler, wird es nach der Entscheidung der Militärjunta in Birma, ausländische Helfer ins Land zu lassen, auch eine politische Öffnung des Landes geben?

Erler: Unsere ganzen Bemühungen konzentrieren sich bislang darauf, dass ausländische Helfer Zugang zu den Zyklon-Opfern bekommen. Das läuft immer noch schleppend. Von der Freizügigkeit für die Helfer, wie sie die Opfer brauchten, kann noch nicht die Rede sein.

Berliner Zeitung: Also keine politische Öffnung?

Erler: Doch. Der Prozess der letzten Tage bedeutet faktisch ein Aufbrechen der Isolation des Landes. Die Regierung von Birma arbeitet jetzt in gewisser Weise zumindest mit der Organisation der südostasiatischen Staaten Asean zusammen. Auch die Anwesenheit der internationalen Helfer, die Kommunikation der Bevölkerung mit ihnen und die Nachrichten, die der Rest der Welt aus dem Land erhält, machen mich hoffnungsvoll, dass es zu einer Öffnung kommen kann.

Berliner Zeitung: Gilt das auch für die Zeit nach der Katastrophe?

Erler: Die Gefahr besteht immer, dass es Rückschläge gibt.

Berliner Zeitung: Gibt es Vorbilder, in denen Naturkatastrophen zu einer Veränderung der Politik geführt haben?

Erler: Ich denke zum Beispiel an die Annäherung zwischen Pakistan und Indien nach der Erdbebenkatastrophe in Pakistan vor einigen Jahren. In Zeiten großer Not entwickelt sich häufig die Neigung, Änderungen zuzulassen.

Berliner Zeitung: Allerdings hat das Militärregime in Rangun erst vorgestern den Hausarrest gegen die Oppositionelle und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verlängert. Das ist nicht gerade ein Zeichen für Öffnung.

Erler: Wir bedauern die Verlängerung des Hausarrestes sehr. Allerdings war dieser Schritt zu befürchten. Denn die Angst des Regimes vor Veränderungen, die auch mit der Zyklon-Katastrophe einhergehen, ist sehr groß. Und die Ängste wären noch größer, wenn Aung San Suu Kyi sich frei betätigen könnte. Wir werden uns trotzdem weiter bemühen, dass die Militärregierung ihre Position überdenkt.

Berliner Zeitung: Herrscht Existenzangst innerhalb des Regimes?

Erler: Wir hören, dass die Bevölkerung die Art und Weise, wie die Hilfsmaßnahmen von staatlicher Seite organisiert werden, scharf kritisiert. Der Bevölkerung bleibt nicht verborgen, dass seit Wochen viele ausländische Hilfsgüter bereitstehen, die aber immer noch nicht ins Land gelassen werden. Man kann sich nicht vorstellen, dass das zur Stabilisierung der Militärregierung beiträgt.

Berliner Zeitung: Hat sich die chinesische Führung nach dem Erdbeben in Sichuan geschickter verhalten als das Regime in Rangun?

Erler: Die chinesische Regierung hat nicht gezögert, nicht nur ausländische Hilfe anzunehmen, sondern auch konkret um ausländische Hilfe zu bitten. Es wurde sofort das mobile Krankenhaus des Deutschen Roten Kreuzes angefordert. Es gab sofort Nachfragen nach Trinkwasser-Aufbereitungsanlagen aus Deutschland. Und es wurden genau bezifferte Mengen an Zelten für die Millionen von Obdachlosen genannt.

Berliner Zeitung: In Deutschland ist in den vergangenen Tagen debattiert worden, warum ein wohlhabendes Land wie China ausländische Hilfe braucht. Wissen Sie die Antwort?

Erler: Eines muss man klarstellen: Auch wenn Spenden geflossen sind, China hat nicht um Geldspenden gebeten. Die Regierung hat um ganz bestimmte Mittel gebeten. Wenn in Deutschland von einem Tag auf den anderen fünf Millionen Häuser zerstört wären, hätten wir auch große Probleme, das zu bewältigen. Kein Land auf der Welt kann so eine Ausnahmesituation alleine meistern. Im Moment sind alle deutschen Trinkwasser-Aufbereitungsanlagen entweder in China oder in Birma im Einsatz. Mir hat ein Vertreter des Technischen Hilfswerks in Rangun gesagt: Wenn es jetzt eine dritte Katastrophe gäbe, hätten wir nichts mehr anzubieten. Auch sind alle in Deutschland verfügbaren Zelte auf dem Weg nach China.

Das Gespräch führte Damir Fras.