Gernot Erler gegen Kompetenzverlagerung in der Sicherheitspolitik

Interview im Deutschlandfunk, 5. Mai 2008

Vor dem Hintergrund der Pläne zu einem nationalen Sicherheitsrat hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), die Union aufgefordert, zunächst eine Mängel- und Fehleranalyse der bisherigen Arbeit der zuständigen Gremien und Ämter vorzulegen. Sollten dann Kompetenzverlagerungen erwogen werden, sei der Koalitionsvertrag sicher eine gute Ausgangsbasis.

Silvia Engels: Wenn es nach der Union geht, wird ein wichtiger Teil der Außenpolitik, nämlich die Sicherheitspolitik demnächst stärker rund um das Kanzleramt geplant. Unionsfraktionschef Kauder plant Medienberichten zufolge gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel, Innenminister Schäuble und Verteidigungsminister Jung einen nationalen Sicherheitsrat, der unter anderem die Lösung ziviler oder militärischer Krisen im Ausland koordinieren soll. Unterstellt werden soll dieser Sicherheitsrat demzufolge dem Kanzleramt. Bislang wird die praktische Arbeit, vor allen Dingen im Auswärtigen Amt geleistet. Am Telefon ist nun der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, SPD. Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Engels!

Engels: Was sagen Sie zu dem Entwurf?

Erler: Zunächst einmal betone ich, dass das ein Entwurf ist, der ja noch gar nicht beschlossen ist. Wir hören, dass die CDU/CSU-Gremien sich diese Woche damit beschäftigen wollen, und erst dann wird man die Einzelheiten kennen, die dann beschlossen sind, und dann wird man es auch erst richtig bewerten können.

Engels: Das klingt so, als ob das Auswärtige Amt an der Planung, an diesem Konzept überhaupt nicht beteiligt war, auch überhaupt nicht informiert war.

Erler: Das ist völlig richtig, aber das ist natürlich auch das Recht der CDU/CSU als Fraktion und als Partei, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen.

Engels: Aber sehen Sie es nicht doch als unfreundlichen Akt?

Erler: Wie gesagt, man muss sehen, was da tatsächlich drinsteht. Eins ist natürlich klar, und wenn es sich hier um wesentliche Änderungen handelt der bisherigen Vorgehensweise, erwarte ich erst mal eine Mängel- und Fehleranalyse. Was ist denn verkehrt an der Zusammenarbeit von der Bundeskanzlerin mit Verteidigungsminister Jung, mit Außenminister Steinmeier, mit den anderen Ministerien, was ja auch bisher, wenn es Sicherheit angeht, im Bundessicherheitsrat gelöst wird. Wo hat es bisher nicht geklappt, und was soll mit diesen neuen Ideen verbessert werden, das wäre erst mal die erste Forderung an einen solchen Vorschlag.

Engels: Schauen wir etwas auf die Inhalte. Es soll ein sogenannter nationaler Sicherheitsrat eingerichtet werden. Bislang gibt es ja schon einen Rat, nämlich den Bundessicherheitsrat. Dem gehören neben AA und Kanzleramt auch die wichtigsten Ministerien an. Dort wird vor allen Dingen über Rüstungsgüter beraten, Ausfuhrgenehmigungen. Sehen Sie denn selbst hier Reformbedarf?

Erler: Nein, den will ich gerade hören. Derjenige, der Änderungsvorschläge macht, der muss ja erst mal begründen, weshalb diese Änderungen notwendig sind. Und dann muss natürlich auch eines bedenken. Wenn es tatsächlich um eine Kompetenzverlagerung und wichtige Festlegung in inhaltlichen Fragen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geht, dann ist immer ein gutes Auskunftsmittel der Koalitionsvertrag. Ich habe noch nicht gehört, dass da von einem nationalen Sicherheitsrat die Rede ist. Insofern, und da wir wissen, dass die Kanzlerin immer großen Wert darauf legt, dass das, was verabredet wird, auch umgesetzt wird, gehört das eben zu den Dingen, die nicht zur verabredet sind. Dann wird das immer stärker eine parteipolitischer Vorstoß der CDU/CSU.

Engels: Parteipolitischer Vorstoß, das ist ein gutes Stichwort. Ist das der Versuch, von CDU-Chefin Merkel, einen möglichen Kanzleramtskonkurrenten, nämlich Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD zu entmachten?

Erler: Wissen Sie, wenn es das ist, dann wie gesagt werden wir auf den Koalitionsvertrag verweisen und damit ist auch klar, dass erst mal eine Mehrheit gesucht werden müsste für so einen Vorschlag. Aber dann werden wir auch sehr genau die Inhalte angucken. Und, ehrlich gesagt, die SPD hat gar keine Angst davor, dass sicherheitspolitische, außenpolitische Themen dann auch, und das wäre dann der Zweck der Übung, zum Thema des Wahlkampfes werden. Wenn das wirklich stimmt, dass die CDU erneut einen Vorstoß machen will, um einen stärkeren Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu ermöglichen, wenn es wirklich so ist, dass sie den Parlamentsvorbehalt, diese Tradition in Deutschland, das Parlament über jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr entscheiden zu lassen, wenn es wirklich so ist, dass jetzt ein positive Äußerung zur Aufrüstung, nämlich mit der Raketenabwehr da drinsteht, dann können wir das gerne zum Thema des Bundestagswahlkampfes machen. Da wird die SPD keineswegs Angst davor haben.

Engels: Herr Erler, Sie haben die wesentlichen Inhalte schon angesprochen. Einsatz der Bundeswehr im Inneren, klares Nein der SPD. Da ist auch nichts zu machen?

Erler: Nein, wir haben noch nie verstanden, was das soll und was eigentlich für eine Philosophie steht dahinter, weil bisher die strikte Trennung zwischen Aufgaben der Polizei und der, der Bundeswehr, die ja durchaus Rechte hat, auch bei nationalen Katastrophenfällen, hier eingesetzt zu werden, diese Unterscheidung halten wir aufrecht. Und sie hat sich übrigens auch bewährt in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik.

Engels: Raketenschild der USA. Das soll unterstützt werden. Sind Sie da auch kategorisch mit dem Nein?

Erler: Ja, wissen Sie, es ist ja die Frage, wieso eigentlich die europäischen Staaten, allen voran Frankreich, Großbritannien und Deutschland, seit 2003 einen Versuch machen, diese Herausforderung durch mögliche iranische Programme auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Es ist ja ein regelrechter Defätismus, jetzt dann plötzlich zu sagen, nein, das klappt nicht mehr, sondern wir brauchen jetzt eine militärische Lösung über die Aufrüstung. Das ist der eigentliche Gegensatz, der sich hier abspielt. Und da weiß ich sehr genau, wie meine Freunde in der SPD sich da entscheiden werden.

Engels: Der wichtigste Punkt ist möglicherweise in dem von der Union geplanten Konzept, dass der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen verändert werden soll. Zitat, soweit es aus Medienberichten bekannt ist, lautet hier: "Die Bundeswehr müsse bei multinationalen Einsätzen auch dann kurzfristig einsatzfähig sein, wenn eine Entscheidung des Deutschen Bundestages nicht herbeigeführt werden kann." Zitat Ende. Ist da nicht was dran, für Notfälle muss es schneller gehen?

Erler: Nein, das ist wirklich nun Unfug, weil wir sogar auch belegen und beweisen können, dass der Bundestag innerhalb von außerordentlich kurzer Zeit in der Lage ist, eine solche Entscheidung über den möglichen Einsatz der Bundeswehr zu fällen. Das ist innerhalb von Stunden und nicht von Tagen möglich. Und das ist auch schon in sehr kurzer Frist abgewickelt worden. Ich kann mir überhaupt keinen Fall vorstellen, wo man nicht mal selber die Zeit sich nimmt und dem Parlament gibt, über die Sinnhaftigkeit eines Bundeswehreinsatzes nachzudenken. Für uns steht der Parlamentsvorbehalt, übrigens ein Gesetz, das in der letzten Legislaturperiode hier im großen Einvernehmen modernisiert worden ist, überhaupt nicht zur Debatte.

Engels: Herr Erler, nehmen wir einmal an, die angesprochenen Punkte werden von der CDU in ihrem Konzept so beschlossen. Ist dann die Koalition gefährdet?

Erler: Nein, das sehe ich nicht. Wie gesagt, es ist durchaus möglich, dass Parteien hier eigene Positionen einnehmen, das Recht haben wir auch. Die Frage ist natürlich dann, wie wird sich die Bundeskanzlerin eben auch wegen der Nichtverankerung dieser Forderungen im Koalitionsvertrag dazu verhalten. Bisher hat die Bundeskanzlerin immer großen Wert darauf gelegt, dass wir das Programm, was wir gemeinsam beschlossen haben, auch umsetzen und hat Störfeuer von der Seite da stets abgewehrt. Das hoffe ich, dass das so bleibt. Und ich kann nur noch mal wiederholen. Wenn wir über die Frage Verhandlungslösungen oder militärische Lösungen über Aufrüstung, wenn wir über Fragen des Parlamentsheeres in Deutschland, wenn wir über die Frage der richtigen Definition von Polizeiaufgaben und Militäraufgaben einen Wahlkampf haben sollen. Wenn das die CDU/CSU will, wir sind bereit dazu.

Engels: Das heißt, die SPD antwortet mit einem Gegenkonzept?

Erler: Die SPD wird die Forderungen, wenn sie dann überhaupt so kommen und beschlossen werden, in der Öffentlichkeit entsprechend so diskutieren, dass jeder versteht, worum es da tatsächlich geht.

Engels: Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt von der SPD. Ich bedanke mich für das Gespräch!