Erler bei Tacheles, Deutschlandradio Kultur

Im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler, 19. April 2008

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, hält eine Ausgrenzung Chinas aufgrund der Tibet-Politik Pekings für falsch. Man dürfe die Erfahrung nicht ignorieren, dass "Ausgrenzung, Isolation, Kontaktsperre selten zu irgendeinem positiven Ergebnis geführt" hätten, sagte der SPD-Politiker. Nur im Dialog könne man die chinesische Führung dazu bewegen, die Vorgänge in Tibet aufzuklären, freien Zugang zu den Unruheprovinzen zu gewähren und Gespräche mit dem Dalai Lama zu beginnen.

Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns eine Zeitreise unternehmen in die Zukunft, in das Jahr 2014. Sollte ein Bundeskanzler, sollte eine Bundeskanzlerin in den russischen Badeort Sotschi zu den Olympischen Winterspielen fahren?

Gernot Erler: Die Voraussetzung dafür wäre, dass gerade in dieser Region dort und in Russland selbst einige Dinge anders sind als heute. Sotschi liegt 50 Kilometer von der abchasischen Grenze entfernt und gerade haben wir eine aktuelle Krise zwischen Russland, Georgien und Abchasien. Ich glaube, es wäre gut, diese Spiele mit den Erwartungen und auch mit den dringlichen Erwartungen an Russland zu verbinden, dass es nicht weitergeht mit dieser Problematik Abchasien, sondern dass mal diese sogenannten frozen conflicts, diese eingefrorenen Konflikte, in einer friedlichen Weise gelöst werden.

Deutschlandradio Kultur: Sagen wir mal, das wäre morgen. Dann könnte die Kanzlerin nicht zu den Eröffnungsfeiern nach Sotschi reisen.

Erler: Also, ich halte nichts davon, immer sozusagen nur symbolische Politik zu machen. Wir haben auch bei den Chinesen 2001 bestimmte Zusagen, bestimmte Erwartungen gehabt, die erfüllt werden sollten. Das, finde ich, gilt dann für alle Länder, übrigens auch für westliche.

Deutschlandradio Kultur: Messen wir mit zweierlei Maß? Messen wir die Russen anders als die Chinesen? Bei den Chinesen haben wir ja eine gewisse Euphorie gehabt in der Vergangenheit. Bei den Russen sind wir kritischer. Zu Recht?

Erler: Man muss ganz klar erkennen, dass in den Ländern dieses Gefühl von Doppelstandards - nicht nur bei den Politikern, sondern häufig auch bei den Menschen - vorhanden ist und dass deswegen da auch Unzufriedenheit herrscht, wie westliche Staaten mit ihnen umgehen. Insofern ist das ein schwieriges politisches Thema. Manchmal brauchen wir auch ein bisschen mehr Selbstkritik, wie wir mit der einen Sorte von Konflikten umgehen und wie wir uns dann mit schwierigen Situationen in diesen Ländern auseinandersetzen.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist doch komisch: Wir haben eine klare Vorstellung von Menschenrechten, von Grundwerten. Wir wollen nicht, dass es zu Hinrichtungen kommt in Ländern. Und dann finden diese Olympischen Spiele statt. Warum gibt es nicht eine klare Position, dass die internationale Staatengemeinschaft sagt: Wenn die Regeln nicht eingehalten werden, dann gehen wir da einfach nicht hin. Wäre das nicht die saubere Lösung?

Erler: Ich glaube, dass das eine wichtige Erfahrung auslassen würde, nämlich die, dass Ausgrenzung, Isolation, Kontaktsperre oder irgend so etwas eigentlich selten zu irgendeinem positiven Ergebnis geführt hat. Das ist einfach eine politische Erfahrung.

Deutschlandradio Kultur: Dann überlassen wir es den Athleten?

Erler: Nein, die Chance ist doch gerade, dass man in einen kritischen Dialog reinkommt, wenn man eben nicht Isolierung anstrebt, wenn man nicht ausgrenzt. Darauf hat sich das Olympische Komitee eingelassen. Übrigens habe ich damals 2001 wenig Kritik gelesen, als diese Entscheidung zugunsten Chinas kam. Und das ist mit allen anderen Entscheidungen auch so, dass eigentlich dieses Instrument Ausgrenzung kein großes Glück gebracht hat in der Vergangenheit.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, wir machen dann doch eine richtige Arbeitsteilung. Der Sport fährt nach Peking, so wie er nach Sotschi fahren wird, und die Politik entscheidet, ob das politische Klima es angeraten sein lässt, dass auch die Politiker erscheinen, zum Beispiel zur Eröffnungsveranstaltung. Wenn es nicht sein sollte, wie jetzt mit der Tibet-Frage, hat man als Politiker immer die Möglichkeit zu kritisieren, während die Sportler fahren.

Erler: Die Hauptauseinandersetzung findet doch nicht darüber statt, wer nun zu dieser Eröffnungsfeier fahren wird oder nicht. Für die Menschen, für die wir Politik machen wollen, ist das keine so große Frage, sondern die ist eher: Wie nutzen wir eigentlich jetzt die Situation, was Tibet angeht, die entstanden ist? Schaffen wir es, unseren Einfluss geltend zu machen, dass zum Beispiel diese drei Erwartungen, die gegenüber Peking erhoben worden sind, auch wirklich vorankommen? Das ist eben die Erwartung, dass die eigentlichen Vorgänge aufgeklärt werden, dass wieder freier Zugang zu den verschiedenen Provinzen, nicht nur der autonomen Region Tibet, hergestellt wird und dass es zu einem Dialog kommt, zu einem Dialog über die Zukunft von Tibet, möglichst mit dem, der da die höchste Autorität hat. Und das ist der Dalai Lama.

Deutschlandradio Kultur: Und da ziehen die Kanzlerin und der Außenminister an einem Strang? Ich nenne mal ein Beispiel: Im vergangenen Herbst hat die Kanzlerin den Dalai Lama hier empfangen. Außenminister Steinmeier sprach von "Schaufensterpolitik", von "zerschlagenem Porzellan". Also, da gibt es doch einen Dissens, der nicht klar deutlich macht, dass man an einem Strang zieht.

Erler: Das ist völlig klar. Da hat es Spannungen darüber gegeben. Man kann das ja auch von zwei Seiten anschauen. Auf der einen Seite war das natürlich eine Handlung, aus großer Souveränität heraus zu sagen, ich entscheide das hier, wen ich empfange und wo ich empfange. Es ging ja auch sehr um die Frage der Begleitumstände, nicht nur um die Tatsache, dass der Dalai Lama empfangen wurde, sondern dass er - was eben von chinesischer Seite sehr stark in den Vordergrund gestellt wurde - am Wochenende im Kanzleramt empfangen wurde.

Deutschlandradio Kultur: Sie hätten es nicht gemacht?

Erler: Ich schaue auf einen anderen Punkt dabei. Ich frage mich, was waren denn die Auswirkungen davon? Wir haben seit 1999 in der rot-grünen Regierungsphase einen sehr, sehr intensiven Dialog mit China aufgebaut, und zwar einen strategischen Dialog, einen Rechtsstaatsdialog, einen Menschenrechtsdialog. Inzwischen sind noch bei anderen Ministerien, bei anderen Feldern weitere Dialoge dazu gekommen. Wir haben also eine kritische Einbindungspolitik mit China betrieben. Und die erste Reaktion nach dem Besuch des Dalai Lama war, dass sämtliche Termine in diesem Zusammenhang - also, über Menschenrechte, über Rechtsstaat usw. - abgesagt wurden.

Deutschlandradio Kultur: Also war es ein politischer Fehler der Kanzlerin?

Erler: Ich sage nur, das hat diese zwei Aspekte. Man weiß und man konnte das auch wissen, dass das die Folge sein wird, und man entscheidet dann, dass das eine eben wichtiger ist als das andere. Da kann man feststellen, dass wahrscheinlich die Kanzlerin hier eine andere Priorität gesetzt hat, als sie vielleicht ein sozialdemokratischer Kanzler gesetzt hätte.

Deutschlandradio Kultur: Aber wirkt sie da nicht auch überzeugender? Denn viele sind ja immer nach China gereist. Wirtschaftsinteressen standen ganz groß auf der Tagesordnung. Und sie sagt jetzt: Es gibt durchaus eine wertgebundene Außenpolitik. Sie sagt, wir müssen die Menschenrechte nicht den Wirtschaftsinteressen unterstellen, sondern sie gegeneinander abwägen und zumindest gleichrangig behandeln. Ist das nicht eine klare Aussage?

Erler: Es ist eine klare Aussage, aber ich will noch mal darauf hinweisen, es ist nichts Neues. Es ist ja wohl auch eine werteorientierte Außenpolitik, wenn man mit China einen kritischen Menschenrechtsdialog aufbaut, der hochrangig von beiden Seiten wahrgenommen wird, der übrigens nachweislich auch zu Verbesserungen in der Situation in China geführt hat. Insofern wäre es eine Verkürzung der Sichtweise, zu sagen, jetzt machen wir plötzlich werteorientierte Außenpolitik. Nein, das, was Schröder gemacht hat, was Fischer gemacht hat in Bezug auf China und auch auf andere Länder, war genauso wertegebundene Außenpolitik, vielleicht nicht so gut verkauft.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben gesagt sozialdemokratische Außenpolitik wäre etwas anders gewesen. Jetzt sagen Sie uns doch mal in Bezug auf China oder auch auf Russland, was denn diese Prägung "sozialdemokratisch" sein kann. Ist das eher die diplomatische Politik in den Hinterzimmern? Oder wie muss man sich das vorstellen?

Erler: Entscheidend ist doch, dass wir etwas erreichen. Das heißt, entscheidend ist, dass sich dort, wo wir das für notwendig halten, Veränderungen ergeben. Aber das ist nicht machbar mit dem erhobenen Zeigefinger, auch nicht mit Drohungen oder mit scharfen Worten, sondern das ist eben nur im Dialog erreichbar. Das ist ein typisches Zeichen auch von dem, was sieben Jahre von Rot-Grün in verschiedenen Weltregionen versucht worden ist, was eben aufgebaut ist. Man muss auch mal feststellen, dass dieser Dialog vorher, wo wir auch eine andere Regierung hatten, eine christdemokratisch geführte Regierung, nicht stattgefunden hat. Ich besinne mich noch, dass der ehemalige Kanzler Helmut Kohl eine Reise nach China gemacht hat, wo er sogar die chinesische Volksarmee besucht hat. Das hat damals sogar eine aktuelle Stunde im Bundestag gegeben. Ich weiß es noch, weil ich da selber geredet habe und ihn scharf kritisiert habe dafür.

Deutschlandradio Kultur: Aber Kohl ist Geschichte. Die Kanzlerin sagt: "Offenheit ist besser als vorgespielte Harmonie." Man muss mit klarer Kante sagen, was Sache ist. Das müsste Ihnen doch als Sozialdemokrat sehr sympathisch sein.

Erler: Das ist mir auch sympathisch. Nur als Politiker muss ich mich immer vergewissern, was die Folgen meines Tuns sind. Vielleicht ist es ja besser, diese offenen Worte in einem Dialog, der nicht in den Medien übertragen wird, zu machen. Vielleicht erreicht man da mehr, als wenn man ihn hier in der Öffentlichkeit macht. Man erreicht unter Umständen sehr viel für die eigene Popularität. Ich halte das ja auch für völlig berechtigt, dass man auch darüber nachdenkt, wie man Zustimmung der eigenen Bevölkerung kriegt. Aber es ist noch nicht entschieden, womit man mehr erreicht, ob man nicht mit diesen bilateralen, auf einem Minimum von Vertrauen aufbauenden kritischen Gesprächen mehr erreicht, als durch öffentlich ausgetragene Kritik.

Deutschlandradio Kultur: Wie gehen wir denn mit den Russen um? Die Russen sind ja ihrerseits aggressiver. Putin hat das ganze letzte Jahr über Kante gezeigt gegen Europa - in Abrüstungsfragen, im Kosovo, in anderen Fragen. Muss man dem nicht auch mal klar die Meinung sagen, ihn zurechtstutzen, wie man auf gut Deutsch sagt?

Erler: Ja gut, wenn das zum Erfolg führt, kann man das ja ruhig in Erwägung ziehen. Was haben wir denn zum Beispiel bei einem der Kernpunkte gemacht, die Putin etwa auf seiner berühmten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgetragen hat, in der aggressiven Form etwas überraschend, nämlich das mit der Raketenabwehr, auch mit den Stationierungen in Polen und Tschechien? Wir haben uns darum bemüht, dass über diese Frage zwischen Amerika und Russland ernsthaft diskutiert wird, dass ein ernsthafter, auch partnerschaftlicher Dialog hier entstanden ist. Dafür haben wir erfolgreich geworben. Dafür hat der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier geworben, aber das war auch eine gemeinsame Politik. Das finde ich eine vernünftige Reaktion.

Deutschlandradio Kultur: Aber es hat sich trotzdem was verändert seit der Zeit von Gerhard Schröder im Umgang mit Putin, diesem waschechten Demokraten, und der Kanzlerin. Die sagt beispielsweise diese Woche vor dem Europarat: "Russland solle nicht länger die Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte blockieren", eigentlich eine Position, wo man doch auch sagen kann, das muss man dem Putin, das muss man Russland sagen und die sollen sich da mal dran halten.

Erler: Das ist auch von niemandem kritisiert worden, dass dieses Problem auch mal - das war ja nun auch vor dem Europarat - angesprochen worden ist. Wir warten auf die Ratifizierung. Es gibt eine Zustimmung zu diesem 14. Zusatzprotokoll von der russischen Führung, aber es hat noch keine Ratifizierung davon gegeben. Darauf warten wir sehr lange. Das macht Sinn, darauf hinzuweisen. Und der Ort ist ja auch passend dazu, wenn man vor dem Europarat selber spricht.

Deutschlandradio Kultur: Wie gehen Sie derzeit wirklich mit dem Kreml um? Denn er sperrt sich ja in Menschenrechtsfragen, in Fragen der Wahlbeobachtung, in Fragen der konventionellen Abrüstung in Europa. Das sind hochkritische und für uns hochsensible Themen. Haben Sie dort diesen Dialog, von dem Sie sprechen, oder herrscht Sprachlosigkeit? Muss Berlusconi wirklich sagen, "wir müssen das Verhältnis zu Russland verbessern und ich, der Italiener, will es machen"?

Erler: Ich glaube, dass wir im Grunde genommen in der deutschen Politik hier erstens eine große Kontinuität haben. Auf der Arbeitsebene setzen wir auf die Zusammenarbeit mit Russland, setzen wir auf eine Politik auch der Verflechtung und der Regelung von Interessengegensätzen. Gerade im Energiebereich wissen wir, dass eine unauflösbare Verflechtung der europäischen und der russischen Interessen vorhanden ist. Man ist praktisch gegenseitig abhängig. Deswegen muss man über Regeln sprechen. Hier ist eine Art Frühwarnmechanismus gelungen, weil Russland ja auch Auseinandersetzungen mit Nachbarn, Ukraine, Weißrussland usw., über Energiepreise und Lieferungen hat, dass wir da nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Also, da sind auf der Arbeitsebene vernünftige Ergebnisse erzielt worden. Ich finde, das müssen wir fortsetzen. Auch die Kanzlerin spricht ja von "strategischer Partnerschaft" mit Russland. Also, hier gibt es keine ernsthaften Sachunterschiede in der Politik.

Deutschlandradio Kultur: Spielt denn Russland irgendwo richtig mit? Wenn sie sich in Fragen des Kosovo und des Verhältnisses zu Serbien quer legen, wie ist es im Verhalten gegenüber dem Iran, dem Versuch, den Iran von einem Atomwaffenprogramm abzubringen?

Erler: Das sind unterschiedliche Erfahrungen, die wir da machen. Was den Iran angeht, muss man ja mal sagen, dass es bisher gelungen ist, zusammen mit Russland, zusammen mit China, mit den Vereinigten Staaten und den drei beteiligten europäischen Staaten, also Frankreich, Großbritannien und Deutschland, eine gemeinsame Politik zu formulieren und auch beizubehalten, auch in den Entscheidungen bis hin zu den Sanktionsentscheidungen der Vereinten Nationen. Das war immer ganz schwierig, aber das ist gelungen.

Leider ist das eben im Fall Kosovo nicht gelungen. Hier ist eine zeitlang zusammen mit Russland in der Balkankontaktgruppe gearbeitet worden. Aber dann bei dem entscheidenden Schritt, als es darum ging, die Vorschläge von Marti Ahtisaari hier zu bewerten und daraus die Konsequenzen zu ziehen, ist das leider auseinander gelaufen. Also, da gibt es schon Punkte, wo wir auch eben nicht mit der russischen Politik übereinstimmen können. Nur ist die Frage: Was schließen wir daraus? Und wie gehen wir damit um? Da, finde ich eben, sind öffentliche Mahnworte nicht immer die beste Antwort darauf, sondern auch da macht es Sinn, wie zum Beispiel auch, was das Thema KSE, also den wichtigsten Kontrollvertrag im Bereich der konventionellen Rüstung, angeht, da haben wir uns zum Beispiel auch vom Auswärtigen Amt sehr bemüht, zum Beispiel im Oktober letzten Jahres mit einer Konferenz, uns eben zur Rettung dieses wichtigen Vertrages einzusetzen und das natürlich mit Russland zu machen und nicht in Abgrenzung oder öffentlichem Protest.

Deutschlandradio Kultur: Man kann nicht alles nur harmonisch lösen. Kosovo haben Sie genannt. Die Russen haben immer klar gesagt: Wenn ihr Kosovo anerkennt, dann werden wir politisch reagieren. Haben die Europäer nicht lange genug mit den Russen verhandelt, um zu versuchen eine friedlichere, eine gemeinsame Lösung zu finden? Oder geht es irgendwann um die Frage: Schwarz oder Weiß?

Erler: Nein, ich glaube, dass sich hier der Westen gar nichts vorwerfen kann, weil gerade das Kosovo-Beispiel ein guter Beleg dafür ist, dass man bis an die Grenze gegangen ist, um einen Kompromiss zu finden. Mehrfach ist die Kosovo-Entscheidung auch mit Rücksicht auf die auch für Russland sehr wichtige innenpolitische Entwicklung in Serbien, auf Wahlen, die anstanden, verschoben worden. Aber dann gab es natürlich irgendwo mal einen Punkt, wo dann auch die eigene Glaubwürdigkeit in dieser Politik berührt war. Dann muss man natürlich auch mal erkennen, dass man es eben nicht schafft sich zu verständigen. Dann ist es eben leider zu diesem Auseinanderdividieren der Positionen mit Russland gekommen.

Aber wir bemühen uns weiter. Es hat gar keinen Sinn, jetzt den Bettel hinzuschmeißen. Das geht auch gar nicht in der internationalen Politik. Im Augenblick haben wir große Sorgen, weil Russland tatsächlich die Ankündigung wahr macht, dass es politische Reaktionen gibt. Und wir beobachten mit großer Sorge, wie im Augenblick Russland die eigene Politik gegenüber Abchasien und Südossetien, zwei weiteren örtlichen eingefrorenen Konflikten, die etwas mit dem schwierigen Verhältnis auch zwischen Russland und Georgien zu tun haben, da verändert, was in Georgien als Provokation empfunden wird. Das macht uns große Sorgen, weil wir diese zusätzlichen Spannungen, die jetzt da auftreten, überhaupt nicht gebrauchen können.

Deutschlandradio Kultur: Wir sind ja fixiert, auch in unserem Gespräch, auf unser Verhältnis zum Kreml. Vernachlässigen wir demgegenüber das Verhältnis zur russischen Gesellschaft? Sie sind ja ein Russland- und ein Osteuropakenner. Sind die aktuellen Kontakte der Europäer in die russische Gesellschaft, zur Opposition, zu vielen gesellschaftlichen Gruppen ebenso stark oder vernachlässigen Sie dies?

Erler: Da würde ich schon gerne auf die Entwicklung der letzten acht Jahre hinweisen. Das war ja gerade das Jahr 2000, wo Gerhard Schröder und Wladimir Putin einen neuen Anlauf beschlossen haben, der eben genau außerhalb der offiziellen Politik liegt. Ich meine hier den Petersburger Dialog. Die Arbeit vom Petersburger Dialog kenne ich sehr gut, weil ich seit Anfang an Mitglied des Lenkungsausschusses bin. Das war ein ganz schwieriges Geschäft, aber die Idee war ja, die deutsche und die russische Zivilgesellschaft stärker in Interaktion, in Kontakt zu bringen. Das war am Anfang ganz schwierig, weil es überhaupt keine identische Definition von Zivilgesellschaft gab. Am Anfang hatten wir es eher mit deutschlandorientierten ehemaligen wichtigen Politikern da zu tun. Aber nach großen Anstrengungen ist es doch gelungen, inzwischen ist das sehr lebendig geworden, auf ganz verschiedenen Gebieten, von den Medien bis zur Kultur, zur Wissenschaft, zu den jungen Menschen, einen echten Dialog zustande zu bringen. Es ist auch gut, dass das über die rot-grüne Regierungsphase weiter bewahrt wurde.

Deutschlandradio Kultur: Ich will noch auf den Kreml zu sprechen kommen. Wladimir Putin wird im Mai aus dem Präsidentenamt ausscheiden, wahrscheinlich neuer russischer Premier werden. Und er hat diese Woche erklärt, dass er sich mit Fragen der Außenpolitik in seiner neuen Funktion nicht mehr beschäftigen möchte. Wird es da Veränderungen geben? Wissen Sie schon genau, wer Ihr Ansprechpartner sein wird? Oder war das so, dass man sagte, mit Putin kann man reden, bei allen anderen wissen wir nicht, was sie wollen?

Erler: Wir müssen einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass alle diese Prognosen, die wir hier gekriegt haben, wie dieser Wechsel in Moskau stattfindet, sich nicht realisiert haben. Es wurde angekündigt, Putin würde die Verfassung ändern, er würde die Verfassung austricksen, er würde sie umgehen. Er würde dann vielleicht hinterher sämtliche Macht plötzlich auf den Premierminister vereinen und auf diese Weise Medwedjew zu einer Marionette machen. All das hat nicht stattgefunden. Die Verfassung ist weiter in Kraft. Dieser Wechsel hat in einer sehr kontrollierten Weise mit Wahlen, an denen man auch Kritik üben kann, stattgefunden, aber alle diese Negativprognosen sind nicht umgesetzt worden. Auch jetzt wird es so sein, dass sich Putin an die Verfassung hält. Und nach der Verfassung hat der Präsident die entscheidende Rolle in der Außenpolitik. Insofern ist es nur konsequent, aber auch wieder im Gegensatz zu den Prognosen, die man lesen konnte, dass Putin sich an die Verfassung hält und sagt, er wird sich überwiegend mit Innenpolitik beschäftigen.

Deutschlandradio Kultur: Nun werden wir ja auch in den Vereinigten Staaten zu Beginn des neuen Jahres einen Präsidentenwechsel haben. Egal, ob es ein Republikaner wird, ein Demokrat oder eine Demokratin. Erwarten Sie da Änderungen in der amerikanischen Außenpolitik? Man sagt ja immer, die sei sehr kontinuierlich, jedenfalls gegenüber Europa. Wird sich für die Europäer etwas ändern?

Erler: Alle drei Kandidaten - und einer von den dreien wird es ja werden - haben eigentlich angekündigt, dass sie eine stärkere Zuwendung zu Europa, zur EU vorhaben. Aber alle drei scheinen das auch verbinden zu wollen mit der Forderung, dass Europa mehr Verantwortung auch in globalen Fragen übernimmt. So eine Vorstellung, dass hinterher alles leichter wird, dass viele Probleme, die wir in der Vergangenheit hatten, sich einfach erledigen werden, teile ich nicht. Ich glaube schon an eine starke Erwartungshaltung, was die Zusammenarbeit mit Amerika bei der Lösung von internationalen Konflikten und Problemen angeht. Darin ist aber auch eine Chance enthalten, denn auch wir glauben ja, dass wir Amerika zu einem stärkeren Engagement drängen sollten, zum Beispiel bei dem, was immer mehr in den Vordergrund kommt, Fragen von internationaler Sicherheit, die bedroht wird durch den Klimawandel. Gerade in dem Bereich setzen wir auch große Hoffnung auf eine neue Präsidentschaft in Amerika.

Deutschlandradio Kultur: Also, die Amerikaner erwarten etwas von den Europäern, vielleicht auch von den Deutschen mehr Engagement. Die Europäer wollen was reinbringen. Ein Schlüsselbegriff ist für sie dieser erweiterte Sicherheitsbegriff Abrüstung. Wenn die Amerikaner jetzt sagen, sie würden beispielsweise bei Atomwaffen abrüsten, das machen wir, äußert der Bundesaußenminister die Hoffnung, dass dann auch Schwellenländern möglicherweise zurückhaltender sein sollten. Warum soll das zusammengehen, wenn die einen, die Supermacht etwas abspeckt, warum sollen die anderen Regionalmächte dann sagen, okay, wenn die das tun weit weg, dann sind wir auch etwas gezähmter? Das leuchtet mir nicht ein.

Erler: Der Hintergrund ist ganz einfach die internationale Vertragslage. Der wichtigste Vertrag im Bereich der atomaren Abrüstung ist der NPT, der Nichtverbreitungsvertrag, der von Anfang an zwei Regeln hatte. Eine ist, dass die Nichtatomstaaten, die sich dazu erklären, ein Recht auf die zivile Nutzung der Atomkraft haben. Aber dieser Verzicht bedeutete ja, dass trotzdem eine bestimmte Zahl von Ländern weiterhin offiziell Atomwaffen behalten dürfen. Die wurden aber in diesem Vertrag zur Abrüstung verpflichtet. Und mit Recht sagen viele Länder, die Mitglieder des Atomwaffensperrvertrages sind, die sich selbst bereiterklärt haben, auf Atomwaffen zu verzichten: Wo bleibt denn eure Erfüllung des Vertrages?

Das ist eine gefährliche Situation. Ein Politiker, wie Ahmadinedschad, der iranische Präsident, nutzt das. Und er polemisiert - von der Sache her aber nicht so ganz zu Unrecht - und sagt: Warum eigentlich akzeptieren wir, als diejenigen, und dazu gehört auch der Iran, die diesen Vertrag unterschrieben haben, also keine Atomwaffen anzustreben, warum akzeptieren wir, dass der andere Teil dieses Vertrages offensichtlich nicht erfüllt wird, nämlich die Verpflichtung zur vollständigen Abrüstung mit atomaren Waffen. Das ist eine gefährliche Situation. Das ist der Grund, weshalb Frank Walter Steinmeier, der deutsche Außenminister, immer wieder und mit großen Nachdruck versucht, Abrüstungsfragen, ganz besonders eben auch die der atomaren Abrüstung, auf die Tagesordnung zu setzen.

Deutschlandradio Kultur: Tun die Deutschen da genügend? Denn die Friedensforschungsinstitute haben ihnen ja das genau vor einem Jahr empfohlen. Sie sollen die Initiative ergreifen als Deutsche, weil die Deutschen hier keine Atommacht sind, aber die ersten unter den Nichtatomstaaten.

Erler: Ja, ich meine, Deutschland hat hier naturgemäß eine interessante Rolle, weil wir eben einer der wichtigeren größeren Staaten sind, die aber schon sehr frühzeitig auf jede Anstrebung von Massenvernichtungswaffen verzichtet haben. Insofern steht uns hier auch zu, dass wir eine glaubwürdige Position vertreten können, weil wir sozusagen mit gutem Beispiel vorangegangen sind.

Deutschlandradio Kultur: Okay, dann sind wir die Guten und die Norweger machen auch mit. Zumindest hat Herr Steinmeier gemeinsam mit den Norwegern diese Abrüstungsinitiative innerhalb der Nato ins Leben gerufen. Aber sie brauchen die Großen. Die Großen müssen mitmachen. Bewegt sich da im Moment was? Oder sitzen wir, die Guten, am Katzentisch und die anderen machen was sie wollen?

Erler: Wir haben hier im Augenblick gar keine andere Möglichkeit als zu werben. Es wird auf Dauer nicht funktionieren, dass die offiziellen Atomstaaten sagen: Wir denken sogar über Erneuerung, über Modernisierung nach. Wir stecken Milliardenbeträge in neue Waffensysteme, auch wenn es vielleicht nicht mehr sind, als wir bisher haben, aber verlangen, dass alle anderen Staaten, die auf der Basis diese Nichtverbreitungsvertrages erklärt haben, sich keine Atomwaffen anzueignen, ihren Vertrag einhalten. Beide Seiten müssen den Vertrag einhalten.

Wir versuchen vor allen Dingen die politische Argumentation, um zu sagen: Wir sehen an dem Beispiel Iran, wir sehen aber auch an Dingen, die wir von anderen Ländern hören, dass die Unruhe wächst. Es kann nicht sein, dass auf Dauer von den einen verlangt wird, dass sie den Vertrag einhalten, und die anderen setzen sich über das, was sie selber unterschrieben haben, hinweg.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben in diesem Gespräch dargestellt, dass Sie in der Großen Koalition sozialdemokratische oder auch gemeinsame Außenpolitik mit der Union durchaus machen konnten. Sie haben am Beginn der Großen Koalition nicht für die Bundeskanzlerin als Bundestagsabgeordneter gestimmt. Würden Sie heute anders entscheiden?

Erler: Ich kann bestätigen, wir haben zusammen eigentlich gute Erfahrungen gemacht. Ich würde das natürlich auch einfließen lassen in meine künftigen Bewertungen, was ich für politische Erfahrungen gemacht habe. Das muss ich dann auch in ehrlicher Auseinandersetzung mit mir selber tun.

Deutschlandradio Kultur: Ich versuche das mal zu übersetzen. Das heißt: So schlecht macht die Kanzlerin ihren Job dann auch in der Außenpolitik nicht.

Erler: Man muss dazu eins wissen, dass wir ja nicht ohne Grundlage arbeiten. Wir arbeiten auf der Grundlage eines Koalitionsvertrages. Wenn man da mal reinguckt, wird man sehen, dass sehr, sehr vieles von der rot-grünen Außenpolitik und Friedenspolitik da Eingang gefunden hat. Und eins muss ich wirklich sagen: Die Bundeskanzlerin nimmt diese Grundlage unserer Großen Koalition ernst und sie versucht auch gelegentliche Anstrengungen aus diesem Koalitionsvertrag, gerade was auch die internationale Politik angeht. Ich denke hier zum Beispiel nur an die Fortführung der Verhandlungen mit der Türkei über eine spätere Integration in die Europäische Union. Das wehrt sie ab und verweist dann immer auf den Koalitionsvertrag. Ich finde, das ist eine sehr solide Basis für unsere Zusammenarbeit.

Deutschlandradio Kultur: Herr Erler, wir danken für das Gespräch.