Brutale Gewalt in China: Müssen wir Olympia boykottieren?

Quergefragt, Sendung vom Mittwoch, 2. April 2008, 20.15 Uhr,  SWR Fernsehen

 

Brutale Gewalt in China

Das olympische Feuer ist in China angekommen, die Vorbereitungen für die Sommerspiele laufen auf Hochtouren. Gleichzeitig reißen die Proteste der Tibeter gegen die chinesische Unterdrückung nicht ab. Obwohl das Regime in Peking versucht, mit harter Hand für Ruhe zu sorgen. Die Tibeter selbst hoffen, dass die Drohung eines Boykotts der Spiele China zu Zugeständnissen im Konflikt um die brutale Unterjochung ihres Landes bewegen könnte. Doch die Sportfunktionäre des „Internationalen Olympischen Komitees" betonen, dass die Spiele einen unpolitischen Charakter hätten. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner allerdings schließt einen Boykott der Spiele auf europäischer Ebene nicht mehr aus. Die deutsche Bundesregierung dagegen hält davon gar nichts.

Ohne Olympia-Boykott wird Deutschland den Tibetern nicht helfen können, sagen mittlerweile immer mehr Kritiker der offiziellen Regierungshaltung. Vor allem die Grünen werfen Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier einen heuchlerischen diplomatischen Umgang mit der chinesischen Seite vor. Es reiche nicht aus, medienwirksam den Dalai Lama zu empfangen, zur Gewalt in Tibet aber aus wirtschaftlichen Gründen zu schweigen, so Grünen-Chefin Claudia Roth. Schließlich bedeute Olympia inzwischen ein Milliardengeschäft - auch für Deutschland.

Kann nur ein Boykott der Olympischen Spiele in China den Tibetern helfen?

Oder darf Olympia nicht politisch missbraucht werden?

Scheut Deutschland den Konflikt mit China, weil es unserer Wirtschaft schadet?

 

Querzitiert vom 2. April 2008

Yangzom Brauen, Hollywood-Schauspielerin und Tibet-Aktivistin

 „Wir sitzen da vor dem Fernseher und ich sehe diese Bilder und Machtlosigkeit, also was kann ich tun, was können wir hier tun, Tibeter hier ich denke manchmal, hätte man das vorher gewusst, dass so etwas passiert, dass die Medien vorher in Tibet waren, weil mittlerweile sehen wirt nicht, was passiert in Tibet, wir hören nur von Tibetern, die den Mut haben aus Tibet anzurufen damit ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Uns Informationen zu liefern, was noch passiert in Tibet, weil es gibt keine Journalisten mehr, die Internet wird beobachtet von chinesischen Polizisten, Internetpolizisten, die Telefonate, ich kenne von einige von Tibeter, die nach Tibet angerufen haben und die Tibeter sagen: bitte ruft nicht an, sie kommen nachts vorbei und durchsuchen die ganze Wohnung und wenn sie ein Bild vom Dalai Lama sehen oder einen Altar, dann werden sie einfach mitgenommen und in ein Arbeitsumerziehungslager gesteckt oder ins Gefängnis, man weiß ja nicht, wohin.
(...)
Damals war das ja so, man wusste ja fast, dass China die Spiele bekommen wird und das IOC hat uns ja auch versprochen und meint, es ist sehr gut, dass die Spiele nach China gehen, dann muss es sich öffnen m es müssen Fortschritte passieren, Menschenrechte, freie Meinungsäußerung in dem Land, genauso die Thematik mit Tibet. Und ich frage jetzt sie: Was hat sich verändert, verbessert? Gibt es Meinungsfreiheit? Nein. Es gibt immer noch Arbeitsumerziehungslager, genauso wie früher damals gab es vor sieben Jahren nach Schätzungen ungefähr 10000 Hinrichtungen, jetzt gibt es noch 8000. Ich meine, ist es eine Verbesserung? Und ich finde, in so einem Zustand und das sagt die olympische Charta ganz genau, das ist auch ein wichtiger Punkt für die Olympiade, dass: Können in einem Land, wo die Menschenwürde mit Füßengetreten wird, können auch keine olympischen Spiele und friedliche Spiele, wo Völker zusammen kommen, stattfinden, wenn in Tibet eigentlich heute Kriegsgebiet ist und es wird natürlich jetzt nicht ausgesprochen von der chinesischen Regierung wie damals 1989, weil dann könnten die Olympischen Spiele nicht stattfinden. Und ich bin zumindest, ich weiß, es ist sehr illusorisch, dass überhaupt ein Boykott passiert, weil alle sagen, die Olympiade hat nichts mit Politik zu tun. Nur man weiß ja von der Vergangenheit , es hat sehr viel mit Politik zu tun, das fing ja schon damals an, 1936, und es setzte sich dann auch fort. Und ich finde, die Politiker, und vor allem auch das IOC und die Sportverbände sollten dazu stehen, dass die Olympiade kommerzialisiert wird und für Wirtschaftszwecke benutzt wird."

 

Heidi Schüller, ehemalige Olympia-Teilnehmerin (München 1972) und Kritikerin der Sommerspiele in China

„Einen Boykott fordert ja ernstzunehmend im Moment keiner. Das ist in Abstufungen zu sehen. Aber ich denke, er muss im Raume bleiben. Wenn es sich irgendwo militärisch zuspritzt. Sie können ja nicht im Ernst glauben, dass man junge Leute dann in Heerscharen nach Peking schicken kann. Also das bleibt offen, wenn weiter derartig mit Gewalt agiert wird. Das andere ist, und da möchte ich grundsätzlicher werden. Die Olympischen Spiele waren nie diese hehre Veranstaltung, als die sie sich immer verkauft haben. Es ist eine verlogenen Veranstaltung schon seit Jahrzehnten. Das IOC hat ab München die Olympischen Spiele und auch die Athleten veramscht und sie hat sie instrumentalisiert. Und das IOC setzt dabei die Trends und es kreiert die neuen Märkte. Das ist jetzt Peking und es wird demnächst Dubai sein. Das sage ich Ihnen voraus. (...) Sie sind wesentlich cleverer als sie immer tun, sie folgen dem Geld und die Athleten und der ganze Tross inklusive mancher dusseliger Politiker immer hinterher. Es ist doch ein Unding, wenn sie mal beobachten, wie viele Heerscharen von Bundestagssportausschussmenschen seit Jahrzehnten da nach Peking wandern und offensichtlich nichts mitbekommen haben, dass es jetzt erst wirklich seit ein paar Wochen richtig kriselt. Auf der anderen Seite und das weiß ich, ist China die Wirtschaftslokomotive, die die USA jetzt aus der Rezession retten soll und uns, die wir vielleicht bald hinterher folgen auch gleich mit. Also traut sich keiner so recht daran, aber dennoch bin ich der Meinung, man muss eine klare Haltung einnehmen. Es bekommt uns nicht besonders gut, wenn wir dauernd bäuchlings zu Kreuze kriechen und uns zur Huldigung eines autoritären Regimes dort zur Verfügung stellen."

 

Christian Reif, Deutscher Meister im Weitsprung und Mitglied im Team-Kader Peking

„Ich bin auch Student. Ich mache auch noch was anderes neben dem Sport. Ich bin nicht finanziell abhängig vom Sport, das kann ich ganz ehrlich sagen. Wir investieren Zeit für einen Traum, jetzt Olympische Spiele in Peking. Aber ich bin kein Instrument irgendwelcher Sponsoren, das kann ich schon mal ganz sicher sagen. Im schlimmsten Fall, vielleicht vom IOC, solange wir den Mund verbietet bekommen, dass wir da nichts sagen dürfen, das kann sein. Aber ich glaube, dass ein Boykott der Eröffnungsfeier möglich ist. (...) Das ist ja kein Boykott, es ist ein Fernbleiben, es ist ja kein Demonstrieren, das ist was anderes, das ist verankert in der Charta. Ein Fernbleiben müsste meines Wissens möglich sein, darüber könnte man nachdenken."

 

Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt

„Weil wir in der Tat nicht glauben, dass wir den Betroffenen, und wir haben ja gerade von den Schicksalen gehört, durch die Nutzung dieses Instrumentes in irgendeiner Weise helfen können. Wir glauben, dass das sogar gefährlich wäre, dieses Mittel jetzt zu ziehen. Weil ganz offensichtlich die Regierung in Peking unter großem Druck steht. Sie ist völlig konsterniert über die Situation, die da entstandnen ist nach dem 14. März, sie reagiert irrational geradezu. Wir haben letzte Woche diese zwei Schritte da erlebt, dass erst Journalisten eingeladen worden sind,  natürlich war das organisiert, das ist ein Fehlschlag gewesen. Dann sind 17 Diplomaten eingeladen worden, das ist wieder ein Fehlschlag gewesen, weil man die Situation gar nicht unter Kontrolle hat. Das heißt, wir machen uns Sorgen darüber, wie eigentlich die Reaktion wäre, wenn man jetzt einen Boykott aussprechen würde oder mit ihm droht, wenn das offiziell wäre, wenn das viele Staaten machen würden.

Es soll ja auch nicht sein, dass man gar nichts macht, ganz im Gegenteil: Wir sind selber tätig geworden. Zum Beispiel der deutsche Außenminister hat drei Forderungen aufgestellt. Er hat gesagt, die Abschottung der Gebiete muss aufgehoben werden, Transparenz  muss hergestellt werden, zweitens es muss aufgeklärt werden, was eigentlich das passiert ist im einzelnen und drittens er hat zum Dialog aufgerufen mit dem Dalai Lama und beide Seiten aufgefordert, auf Gewalt zu verzichten. Das ist glaube ich im Moment, das Vernünftigste, was man machen kann."

 

Claudia Roth, Bündnis 90/ Die Grünen, Parteichefin

„Ich bin nicht für einen Boykott, aber ich finde es völlig falsch, einen Boykott auszuschließen. Ich finde die Position vom Dalai Lama sehr richtig, der immer gesagt hat, es gibt ein großes Interesse, dass die Weltöffentlichkeit tatsächlich sich jenseits der sportlichen Aktivitäten sich ein Bild machen kann, über das, was in China passiert. Und da teile ich überhaupt nicht die Auffassung von IOC-Vertretern, die sagen, Peking ist Gastgeber. Nein, China ist Gastgeber. Und dann muss das garantiert werden, was 2001 versprochen worden ist und was auch die Erwartung war. Also heute zu sagen, Sport und die Olympischen Spiele sind unpolitisch, das widerspricht sich ja selber. Weil man gesagt hat, man vergibt die Spiele mit der Erwartung, dass es eine Dynamik der Veränderung gibt. Aber ich meine, ich sage, ich schließe den Boykott nicht aus, weil alles andere wäre ja ein Freibrief, zu sagen, wir sind bereit, eine Statisterie zu machen für eine Fassade und hinter der Fassade geht die Gewalt weiter. Und, lieber Gernot, ich finde nicht, dass sich die Bundesregierung sich besonders couragiert oder glaubwürdig sich in dieser Frage verhält. Frau Merkel empfängt den Dalai Lama im Kanzleramt, sehr medienwirksam, und jetzt schweigt sie. Und jetzt hätte sie sagen müssen, was sie erwartet. Und unser Außenminister tut sich sehr schwer, zu begründen, warum er nicht zur Eröffnungsfeier geht. Ja, warum sagt er denn nicht, ich gehe nicht zur Eröffnungsfeier, weil ich  nicht bereit bin, dass die Bundesregierung Fassade ist für Spiele, die möglicherweise

[Erler: Er ist ehrlich, er wollte ja sowieso nicht hin.]

Ja gut, das ist ja windelweich die Erklärung, wir wollten ja sowieso nicht hin und deshalb gehen wir auch nicht hin und deshalb ist es auch keine Absage."