Interview im WDR-5-Morgenecho zum Afghanistan-Einsatz

Interview vom 2. April 2008 

Moderator (Thomas Schaaf):

Rechtzeitig vor dem heute beginnenden Nato-Gipfeltreffen in Bukarest hat der

amerikanische Präsident also ein schweres Joch von den Schultern der

Bundesregierung genommen, was den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan

angeht. Die USA rücken von der Forderung ab, wonach die Deutschen sich nicht nur

im Norden, sondern auch im schwer umkämpften Süden des Landes militärisch

engagieren sollten. - Gernot Erler von der SPD ist Staatsminister im Auswärtigen

Amt. Guten Morgen, Herr Erler!

Erler:

Guten Morgen, Herr Schaaf!

Moderator:

Werden die Sticheleien von den übrigen Nato-Partnern gleichwohl weitergehen?

Erler:

Das glaube ich nicht. Dieser ganze Gipfel in Bukarest ist ein Gipfel, bei dem Viele um

Harmonie bemüht sein werden. Es ist ja der letzte, der Abschiedsgipfel sozusagen

von George W. Bush, dem amerikanischen Präsidenten. Und der Auftritt von

Wladimir Putin, dem ebenfalls scheidenden Präsidenten in Russland, wird auch eine

wichtige Rolle spielen. Da will man keinen Krach.

Moderator:

Hat die Bundesregierung, um diese Harmonie nicht zu stören, der amerikanischen Regierung

konkrete Zusagen gemacht, die Zahl der Bundeswehrsoldaten im Norden Afghanistans

aufzustocken?

Erler:

Das haben wir ja in der Vergangenheit schon gemacht. Wir haben ja die Obergrenze

erhöht auf 3500. Und der größte Teil von dieser Obergrenze wird auch genutzt vor

Ort. Und insofern haben wir, wie andere Nationen auch, unsere Kräfte verstärkt in

Afghanistan.

Moderator:

Welche neue Obergrenze von einzusetzenden Soldaten strebt die Bundesregierung

an?

Erler:

Nein, ich sagte ja: Wir haben das schon gemacht. Es gibt keine konkreten Pläne, das

weiter aufzustocken.

Moderator:

Herr Erler, dass die 40 000 Soldaten der Schutztruppe ISAF unter Führung der Nato

hinten und vorne nicht ausreichen, um die Lage auch nur annähernd in den Griff zu

bekommen, das liegt auf der Hand und ist allen Nato-Regierungen klar. Man hilft sich

seit einiger Zeit gerne, indem man größere Anstrengungen ankündigt, die

afghanische Armee besser auszubilden. Aber selbst wenn das passiert, das braucht

Zeit, Zeit die man nicht hat. Also werden mehr Soldaten für ISAF benötigt - und das

kurz- und mittelfristig. Noch mal die Frage: Welche Marke für die Bundeswehr strebt

die Bundesregierung an?

Erler:

Ich kann auch nur wiederholen, wenn Sie die Frage wiederholen, die Antwort,

nämlich dass die Bundesregierung ja bereits etwas getan hat. Wir haben diese Quick

Reaction Force von den Norwegern übernommen, mussten deswegen auch die

Obergrenze noch mal erhöhen. Das ist passiert. Und jetzt sind Andere dran. Wir sind

der drittstärkste Truppen-Steller in Afghanistan. wir haben überhaupt nicht unseren

Beitrag hier zu verstecken. Wir freuen uns, dass andere Länder jetzt ernsthaft

darüber nachdenken, in ähnliche Kategorien zu gehen, zum Beispiel Frankreich.

Aber selbst wenn Frankreich seine Erhöhung, die es jetzt angekündigt hat, was

Truppen angeht, durchführt, wird es erst in die Nähe von den deutschen Zahlen

kommen.

Moderator:

Es sind Andere dran. Frankreich haben Sie genannt. Wer noch?

Erler:

Wir wollen jetzt hier nicht einzelne Nationen nennen. Ich sage bloß: Wir brauchen

uns mit unserem Beitrag nicht zu verstecken. Und insofern ist es auch vorher nicht

gerechtfertigt gewesen, immer vor allen Dingen auf die Deutschen zu gucken und

dort Forderungen zu stellen.

Moderator:

Muss die Bundesregierung vielleicht erst in den Bundestagsfraktionen ausloten, bis

zu welchem punkt eine Zustimmung zu mehr Soldaten drin ist?

Erler:

Ich glaube, das ist letzten Endes kein quantitatives Problem. Es ist das, was Sie

angesprochen haben, unerhört wichtig, nämlich dass tatsächlich die Ausbildung und

das Training der afghanischen Sicherheitskräfte - sowohl Polizei wie auch Militär -

verstärkt wird. Das ist übrigens auch die Überzeugung der afghanischen Regierung,

die durchaus bereit ist, hier zu sagen: Wir sind bereit, mehr Verantwortung auch

selber zu übernehmen. Und das ist das Gebot der Stunde. Darüber wird sicher auch

auf dem Gipfel geredet werden, wie man das verbessern und verstärken kann.

Moderator:

Welche Rolle spielt bei Ihrer eher zurückhaltenden Bewertung neuer Obergrenzen für

den Einsatz von Soldaten, dass der Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung hier in

Deutschland den Umfragen zufolge nicht mehr sehr viel Zustimmung findet?

Erler:

„Nicht mehr" ist vielleicht ein irreführender Begriff, weil es war von Vornherein so,

dass der Afghanistan-Einsatz skeptisch bei der Bevölkerung beurteilt wird. Das ist ja

auch verständlich und nachvollziehbar. Das ist ein gefährlicher Einsatz. Alles Gerede

davon, dass der Einsatz im Norden ein Spaziergang sei im Gegensatz zu dem, was

im Osten und im Süden passiert, ist nicht richtig. Das ist ja vor wenigen Tagen durch

den tragischen Unfall mit zwei Schwerverletzten auch noch mal deutlich unter Beweis

gestellt worden. Und insofern haben wir tatsächlich unsere Anstrengungen zu

verstärken zu erklären, warum eigentlich dieser Einsatz stattfindet, der ja keineswegs

nur ein militärischer ist, sondern der ja auch mit umfangreichen Aufbauleistungen, mit

umfangreichem zivilen Engagement in Afghanistan verbunden ist.

Moderator:

Auf wie viele Jahre sehen Sie die Bundeswehr noch in Afghanistan?

Erler:

Ich halte nichts von dieser Diskussion, da irgendwelche Zahlen zu nennen. Aber man

kann es vielleicht sachlich ausdrücken: Der Afghanistan-Einsatz kann erst reduziert

oder beendet werden, wenn es tatsächlich gelungen ist, die gewählte afghanische

Regierung instand zu setzen, sich selbst gegen die Taliban zu verteidigen. Und

daran arbeiten wir.

Moderator:

Der Einsatz der Nato in Afghanistan, eines der Hauptthemen beim Gipfeltreffen der

Nato-Staaten in Bukarest. Wir sprachen heute früh darüber mit Gernot Erler von der

SPD. Er ist Staatsminister im Auswärtigen Amt. Ich danke Ihnen!