Gernot Erler zum Afghanistan-Einsatz und zum Olympia-Boykott

"Deutschland muss sich nicht rechtfertigen" - Interview in der Berliner Zeitung, 31. März 2008

Für den Nato-Gipfel in Bukarest erwarteten die Deutschen wieder Druck, sie sollten ihre Truppen auch in Südafghanistan einsetzen. Der SPD-Politiker Gernot Erler erklärt den Sinneswandel von US-Präsident Bush und nimmt Stellung zu einem Olympia-Boykott. Das Gespräch führte Damir Fras.

Damir Fras: George W. Bush hat offenbar seine Forderung nach einem deutschen Truppeneinsatz im Süden Afghanistans aufgegeben. Sind Sie überrascht?

Gernot Erler: Die Bundesregierung hat immer die Auffassung vertreten, dass der Schwerpunkt des deutschen Afghanistan-Engagements im Norden des Landes liegt und dass es keinen Sinn macht, ständig über mögliche neue Einsatzgebiete für die Bundeswehr zu spekulieren. Insofern sind die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten eine Bestätigung unserer Position.

D.F.: Was mag Bush bewogen haben? Noch Anfang März klangen seine Worte ganz anders.

Erler: Für George Bush ist dies der letzte Nato-Gipfel seiner Amtszeit. Er dürfte daher ein gesteigertes Interesse daran haben, dass von diesem Gipfel weitgehende Einigkeit und kein Streit ausgeht.

D.F.: Rechnen Sie also damit, dass Deutschland auf dem Gipfel vom innenpolitisch brisanten Thema eines Kampfeinsatzes im Süden Afghanistans verschont bleiben wird?

Erler: Ich bin überzeugt, dass nach Bushs jüngsten Äußerungen dieses Thema nicht mehr im Mittelpunkt des Gipfels stehen wird. Das heißt, es wird sicher über die Gesamtstrategie für Afghanistan geredet werden, aber nicht über einseitige Forderungen an Deutschland, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.

D.F.: Nicht alle scheinen es wie Bush zu sehen. Kanadas Außenminister Peter MacKay hat erst kürzlich erklärt, sogar Rumänien, Estland und Dänemark hätten Truppen entsandt, und sie verfügten über weniger militärische Kapazitäten als Deutschland.

Erler: Wir müssen uns nicht rechtfertigen. Wir können bis zu 3 500 Soldaten nach Afghanistan schicken. Wir haben die Eingreiftruppe von den Norwegern übernommen, und unsere Soldaten sind höheren Gefahren im Norden ausgesetzt. Tragischerweise hat sich das vor ein paar Tagen gezeigt, als zwei Soldaten bei einem Sprengstoffanschlag schwer verletzt wurden. Und dann gibt es noch die Drohung der Taliban, im Norden eine Frühjahrsoffensive zu starten. Damit sollte die Debatte, wonach die einen angeblich einen gefährlichen Einsatz haben, die anderen aber nicht, erledigt sein.

D.F.: Wie werten Sie das Vorgehen der chinesischen Sicherheitskräfte in Tibet?

Erler: Es ist ganz eindeutig, dass mit großem Einsatz von Gewalt vorgegangen wurde. Offenbar war die chinesische Obrigkeit auf die Proteste überhaupt nicht vorbereitet. Momentan erkennen wir aber, dass sich China bemüht, ein paar Maßnahmen schrittweise rückgängig zu machen. Immerhin durften wieder ausgewählte Journalisten und auch einige Diplomaten nach Tibet.

D.F.: Es scheint aber, dass es Wochenende im Umfeld des Diplomatenbesuchs wieder zu einem scharfen Vorgehen der Chinesen gegen protestierende Tibetergekommen ist. Verläuft Schadensbegrenzung nicht anders?

Erler: Auch die jüngsten Ereignisse zeigen, wie gespannt die Lage vor Ort tatsächlich ist. Dies unterstreicht um so mehr die Notwendigkeit eines politischen Dialogs.

D.F.: Die Bundesregierung appelliert an China, den Dialog mit dem Dalai Lama aufzunehmen. Wird Deutschland als Ratgeber noch gehört?

Erler: Solche Appelle entfalten ihre Wirkung dadurch, dass sie als gemeinsame europäische Position geäußert werden. China sollte eine Chance darin sehen, mit dem Dalai Lama einen Vertreter tibetischer Interessen zu haben, der für Gewaltfreiheit eintritt. Man muss sich vorstellen, wie die chinesische Lage wäre, wenn es den Dalai Lama nicht gäbe. Mit wem wollte Peking dann über eine politische Lösung des Tibet-Problems reden?

D.F.: Sollten die Olympischen Spiele in Peking boykottiert werden?

Erler: Es hat im Augenblick keinen Sinn, mit dem Boykott der Spiele zu drohen. Es gibt in Peking Hardliner, die nur auf ein Scheitern der jetzigen Führung in China warten.

D.F.: Sollte das Internationale Olympische Komitee Sportlern erlauben, sich bei den Spielen politisch zu äußern?

Erler: Ich habe dem IOC keine Ratschläge zu erteilen. Ich glaube aber, dass sich China darauf vorbereiten sollte, dass die Olympischen Spiele unmöglich harmonisch ablaufen können, wenn in anderen Regionen des Landes Gewalt herrscht. Die Olympischen Spiele werden ganz bestimmt auch den Hintergrund für politische Fragestellungen abgeben. Das Thema Tibet lässt sich von den Spielen nicht mehr trennen.