Erler: Medwedews Wahlprogramm hoch interessant

Interview im Deutschlandfunk, 3. März 2008 

Moderation: Jochen Spengler

Nach der Wahl von Dmitri Medwedew zum russischen Präsidenten hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, die Hoffnung auf eine intensivere Zusammenarbeit zwischen dem Kreml und der Europäischen Union geäußert. Medwedew habe stärker als der bisherige Amtsinhaber darauf hingewiesen, dass er Partner für die Modernisierung in Russland brauche, sagte der SPD-Politiker.

Jochen Spengler Am Telefon ist Gernot Erler, SPD und Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Spengler!

Spengler: Es war keine Wahl, so wie wir sie verstehen, oder?

Erler: Nein, das war eine Wahl, bei der die sogenannten administrativen Ressourcen voll eingesetzt wurden.

Spengler: Das ist aber hübsch formuliert.

Erler: Ja, das ist die übliche, sage ich mal, Formulierung, weil damit ist gemeint, dass eben die Möglichkeiten des stellvertretenden Ministerpräsidenten, des ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten Medwedew, in den letzten Wochen ständig im Fernsehen mit Regierungstätigkeit aufzutauchen, genutzt wurden, dass eben auch gesellschaftlicher Druck aufgebaut wurde, dass die anderen Kandidaten, die anderen drei offiziellen Kandidaten kaum vorkamen, und auf diese Weise die Stimmung natürlich weiter zugunsten von Medwedew verbessert wurde. Wobei aber auch nicht zu übersehen ist, das ist auch schon in den langfristigen Prognosen deutlich geworden, dass es eine große Bereitschaft gibt in Russland, den Kandidaten Putins hier zu unterstützen und damit für Kontinuität zu sorgen. Der Wunsch der Menschen war Kontinuität, ich glaube sogar, viele hätten am liebsten gesehen, wenn Wladimir Putin doch noch irgendeinen Weg gefunden hätte, eine dritte Amtszeit anzutreten. Das hat er entgegen den skeptischen Spekulationen im Westen ausdrücklich nicht getan. Er hat insofern auch Wort gehalten, dass er das nicht versuchen würde.

Spengler: Das heißt, wenn ich Ihre Worte richtig verstehe, die Bundesregierung wird nun nicht nachkarten, protestieren oder etwas anderes tun, sondern sie wird gratulieren und so reagieren, als wäre dies eine ganz normale demokratische Wahl gewesen?

Erler: Ich denke schon, dass es auf der Basis auch der Berichte der nicht allzu vielen Wahlbeobachter, die zugelassen wurden und bei denen man sich auf eine Arbeitweise verständig hat, Hinweise geben wird, kritische Hinweise auf die Vorbereitung, auf die Durchführung der Wahlen, eben auf diese ungleiche Chancenverteilung bei den Wahlen. Aber selbstverständlich wird man auch jetzt diesen politischen Wechsel nutzen, um zu testen, was denn an den Programmaussagen dran ist, die Medwedew gemacht hat, die eigentlich aus unserer Sicht, auch von unseren Interessen her hoch interessant sind.

Spengler: Ja, er hat ja in Reden mehr Freiheit, mehr Rechtsstaat, mehr Zivilgesellschaft und den Kampf gegen Korruption angekündigt. Nehmen Sie das ernst?

Erler: Ich würde davor warnen, hier, nachdem die ersten skeptischen Spekulationen alle falsch gewesen sind, jetzt von vornherein gleich dem eine neue anzuhängen und so nach dem Motto, er ist nur eine Marionette, es nicht ernst zu nehmen, was er macht, es geht nur um Putin. Ich glaube, das könnte eine große Fehlkalkulation sein. Auch die ersten Äußerungen von Medwedew zeigen, dass er sein Amt ernst nehmen wird, dass er die Machtfülle, die er damit hat, auch nutzen wird, aber möglicherweise auch entgegen von bestimmten Spekulationen, die man schon gehört hat, auch in engster Zusammenarbeit mit dem künftigen Ministerpräsidenten, denn dafür ist ja Putin vorgesehen.

Spengler: Ist Medwedew eine Chance für Deutschland, für Europa?

Erler: Ja, er ist eine Chance deswegen, weil er vielleicht noch stärker, als Putin das getan hat, sagt, ich brauche die Europäische Union, ich brauche auch den Partner Deutschland für das, was ich mir für Russlands Zukunft vorstelle, nämlich eine Modernisierung der Gesellschaft und der Wirtschaft. Er hat ja auch diese berühmten vier "I's" da formuliert, Stärkung der Institutionen, bessere Infrastruktur, Innovationen für eine Modernisierung der russischen Wirtschaft und Investitionen. Das ist sozusagen die kürzeste Formulierung seines Programms. Und wenn er das umsetzt, dann würde es sogar zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit Europa und auch mit der Bundesrepublik kommen können.

Spengler: Was wird sich denn verändern in dieser Intensivierung? Was sollte sich verändern?

Erler: Na ja, ich meine, die große Frage, die jetzt am Horizont steht, ist, nachdem wir doch in den letzten Monaten eine ganze Reihe von politischen Spannungen und auch von Auseinandersetzungen mit der russischen Regierung, mit dem Präsidenten hatten, was ist davon eigentlich dem Wahlkampf zuzuschreiben. Ist das jetzt, wenn der Pulverrauch sozusagen sich verzieht, eine Chance, mit einigen dieser Konflikte besser zurande zu kommen? Das ist, glaube ich, eine der spannendsten Fragen der nächsten Tage. Dann ist natürlich sehr interessant, wie wird dieses Tandem im Ganzen funktionieren. Wird es tatsächlich zu einer Abgrenzung der Kompetenzen kommen, die dann trotzdem am Ende zu einer Zusammenarbeit führt? Und schließlich wird es eben spannend sein, was von diesem anspruchsvollen Wahlprogramm, auch wenn es nicht sehr detailliert war von Medwedew, wird denn tatsächlich unmittelbar umgesetzt.

Spengler: Was glauben Sie denn, wer künftig der Hauptansprechpartner der Bundesregierung sein wird, der künftige Regierungschef und ehemalige Präsident Putin oder der künftige Präsident Medwedew?

Erler: Ich könnte mir gut vorstellen, dass Wladimir Putin sich jetzt stärker auf innenpolitische, also auch auf diese Reformprojekte konzentriert. Das wäre auch eigentlich die typische Zuständigkeit eines russischen Ministerpräsidenten, der das, was er machen kann, auch wirklich wahrnimmt. Während sich möglicherweise Medwedew auf die strategische Ausrichtung des Landes, auch was die internationale, was die globale Politik angeht, konzentriert. Das widerspricht zwar dem, was er bisher gemacht hat, aber das würde der russischen Verfassung und der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Ministerpräsident und Staatspräsident entsprechen.

Spengler: Herr Erler, zum Schluss, sind Sie als SPD-Politiker, als Außenpolitiker eigentlich froh, dass Sie sich derzeit nicht so sehr um den Zustand Ihrer Partei kümmern müssen?

Erler: Es ist durchaus interessant, internationale Politik zu machen.

Spengler: Das heißt, Sie vermissen da nichts?

Erler: Nein, es ist ja nicht so, dass ich davon unberührt wäre. Aber, wie gesagt, es gibt sehr viele interessante internationale Themen im Augenblick.

Spengler: Nun ist ja Ihr Chef, der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, im Gespräch, möglicherweise Kanzlerkandidat zu werden. Wäre er ein vorzeigbarer Kanzlerkandidat der SPD?

Erler: Ich glaube, er hat mit vollem Recht diese Spekulationen zurückgewiesen und auch klar gesagt, dass es solche, irgendwelche Vorabsprachen, von denen da in er Öffentlichkeit die Rede war, nicht gegeben hat. Und ich glaube, dass ist eine zutreffende und auch glaubwürdige Aussage.

Spengler: Danke schön! Gernot Erler, SPD und Staatsminister im Auswärtigen Amt.