Erler: Serbien soll Abkommen mit der EU schließen

Interview im Deutschlandradio Kultur, 21. Februar 2008 

Moderation: Marcus Pindur

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, hat Serbien aufgefordert, das EU-Angebot zu intensiveren Beziehungen anzunehmen. Die Europäische Union habe dem Land ein Abkommen vorgeschlagen, das engere Beziehungen im Bildungsbereich vorsehe sowie Visa-Verkehr und Freihandel erleichtern solle, sagte der SPD-Politiker. Serbien dürfe nicht den Anschluss an Europa verlieren.

Marcus Pindur: Gestern hat auch die Bundesrepublik Deutschland das Kosovo anerkannt. Ein konsequenter Schritt, der nicht überraschend kam, aber ein Schritt, der einiges an Konsequenzen nach sich ziehen kann, besonders für die Europäische Union, aber auch die NATO, die jetzt beide in der Pflicht sind. Ich begrüße am Telefon Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Die EU trägt ja jetzt eine schwere Verantwortung für das Kosovo. Welche Taten lässt man jetzt denn auch den Worten folgen?

Erler: Die EU hat sich auf diese Situation gut vorbereitet mit zwei Dingen. Einmal ist sie bereit, die Spitze einer sogenannten internationalen zivilen Vertretung im Kosovo zu übernehmen. Das heißt, praktisch einen Stellvertreter von dem hohen Repräsentanten Solana vor Ort, der dort eben mit der Regierung zusammenarbeitet und natürlich auch auf die Umsetzung der Verpflichtungen des Kosovo achten wird, vor allen Dingen die Umsetzung des Ahtisaari-Plans. Und für die konkrete Arbeit wird gleich noch eine ungefähr 2.000 Mann große, zivile Mission hingeschickt, die EULEX Kosovo, wo vor allen Dingen viele Polizisten, aber auch Rechtsfachleute, Juristen und Verwaltungsfachleute helfen sollen, dass die sogenannten Standards auch eingehalten werden vor Ort, das heißt die Verpflichtungen ganz besonders im Umgang mit den Minderheiten.

Pindur: Wird dort auch Geld im nennenswerten Ausmaße reinfließen?

Erler:Das wird sich nicht ändern. Das ist nämlich bisher schon so, dass der Kosovo auch viel Hilfe von außen braucht.

Pindur: Die Angriffe auf die Kontrollpunkte im Norden des Kosovo erscheinen ja nicht als spontane Demonstration. Haben Sie auch diesen Eindruck, dass da etwas aus Belgrad gesteuert wird?

Erler: Zunächst einmal haben wir nur Hinweise darauf, dass hier die etwas radikalen örtlichen Anführer der Serben dahintergesteckt sind und dass die das vorbereitet haben. Aber man kann mutmaßen, dass das auch aus Serbien unterstützt wird, zumindest gab es auch offizielle Erklärungen in Belgrad, die ausdrücklich das gefeiert haben, was dort gemacht worden ist, und auch in der Presse einige Anfeuerungsrufe.

Pindur: Da kommen ja unterschiedliche Signale aus der Regierung in Belgrad. Der Außenminister hat sich in Brüssel relativ moderat gegeben. Aber insgesamt hat man den Eindruck, dass das Verhältnis zu Serbien schlechter ist als noch vor sechs, sieben Jahren. Wird Serbien den Anschluss an Europa verpassen?

Erler: Ich glaube, dass wir jetzt da an dem schwierigsten Moment sind im Augenblick, das ist ja völlig klar. Die Führer, die politischen Spitzen von Serbien, werden Gefangene ihrer eigenen Worte. Sie haben im Grunde genommen immer wieder in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass unter Umständen der Verlust des Kosovo noch zu verhindern ist, dass das vielleicht auch in der Gemeinschaft mit der russischen Föderation zu verhindern ist, und sie haben jetzt Erklärungsnöte. Und zum Teil führt das eben zu aggressiven Tönen auch gegenüber dem Westen, führt zu Handlungen, die auch nicht das Problem lösen werden, den Kosovo nicht zurückbringen werden. Aber das sind Rückzugsgefechte. Und ich glaube, wenn das einmal vorbei ist, wird ganz Serbien davon profitieren, dass dann beim nächsten Wahlkampf, bei der nächsten politischen Auseinandersetzung das Thema Kosovo nicht mehr instrumentalisiert werden kann zugunsten von radikalen und nationalistischen Kräften.

Pindur: Das ist aber noch nicht ausgemacht. Der erste Beauftragte für den Balkan-Stabilitätspakt, Bodo Hombach, der war stets der Ansicht, man könne den Balkan nicht stabilisieren ohne Serbien. Bodo Hombach ist seit Jahren nicht mehr im Amt, und seitdem hat sich auch in Serbien einiges verändert, man hat aber den Eindruck, nicht zum Guten. Wird man den Balkan auf Dauer ohne Serbien stabilisieren müssen?

Erler: Nein, das geht auf keinen Fall. Davon war auch die EU immer überzeugt, dass ohne ein stabiles Serbien der ganze Westbalkan nicht eine ordentliche Entwicklung machen kann. Und deswegen gibt es ja auch noch eine andere Politik der EU. Es gibt ja nicht nur diese Politik im Kosovo, damit dort tatsächlich auch die Garantien eingehalten werden für die Minderheiten, sondern es gibt ja auch ganz klare Angebote an Serbien. Nachdem leider der Plan, dieses Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen vorab mit Serbien zu beschließen, am Widerstand eines europäischen Landes gescheitert ist, hat man aber jetzt ein Vorab-Abkommen angeboten, was zum Beispiel intensivere Beziehungen im Bildungsbereich, was Erleichterungen im Visaverkehr vorsieht, aber auch Intensivierung von Nutzung von Freihandelsmöglichkeiten, wirklich ein interessantes Angebot. Und es liegt nur an der serbischen Seite, das jetzt zu akzeptieren. Die rechten Kräfte haben das bisher verhindert. Aber ich bin sicher, dass jetzt da ein neues Kapitel anfängt. Und das ist ganz wichtig, dass diese europäische Perspektive von Serbien, von der EU immer wieder deutlich auf dem Tisch bleibt, damit eben mit der Stabilisierung von Serbien, mit der europäischen Integration von Serbien auch der ganze Westbalkan eine positive Entwicklung nehmen kann.

Pindur: Aber der entscheidende Schritt muss jetzt erst mal von Serbien kommen?

Erler: Ja, die Angebote liegen ja auf dem Tisch. Bisher war es der Premierminister Koštunica, der, sage ich mal, mit ziemlich wilden Worten das verhindert hat. Aber ich glaube, dass eben, wenn erst mal das Kapitel Kosovo insoweit abgeschlossen ist, dass allmählich die serbische Öffentlichkeit nun auch gewahr wird, dass hier eine Entscheidung getroffen ist, die nicht mehr umstößlich ist. Dann wird man sich, glaube ich, der Tagesordnung zuwenden, und da wird man sehen, dass das eine große Chance für Serbien ist.

Pindur: Vielen Dank für das Gespräch!

Erler: Ich grüße Sie!

Pindur: Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt über das Kosovo, Serbien und die Stabilisierung des Balkan.