Bundeswehr darf nicht zerfleddert werden

Vor der Münchner Sicherheitskonferenz warnt Gernot Erler vor einem Auseinanderreißen der Bundeswehr in Afghanistan, wenn sie auch im Süden eingesetzt würde. Interview mit FOCUS-Online, 7. Februar 2008.

Von Fabian Löhe 

FOCUS Online: US-Verteidigungsminister Robert Gates hat Deutschland in einem Brief aufgefordert, auch in den umkämpften Süden Afghanistans Truppen zu schicken. Die Bundesregierung ist dagegen. Mit welcher Begründung soll die Bundeswehr keine Soldaten in den Süden Afghanistans schicken?

Erler: Wir haben als eines der wenigen Länder eine Gesamtverantwortung für den Norden übernommen und sind in Afghanistan der drittstärkste Truppensteller. Die Bundeswehr darf nicht auseinandergerissen werden in ein Engagement im Norden und eines im Süden. Das würde den schwierigen Aufgaben im Norden - der Stabilisierung und der Vertrauensbildung bei der Bevölkerung - Schaden zufügen.

FOCUS Online: Aber Kanada zieht doch seine Truppen ab, der Druck wird daher vermutlich größer werden. Wie lange werden Sie dem noch standhalten können?

Erler: Es ist ja nicht so, dass allein Deutschland hier eine Auskunftspflicht hätte. Die Frage nach dem Umgang mit den 3200 zusätzlichen Soldaten, die die USA stellen und die im Herbst aber von einem anderen Land ersetzt werden müssen, muss durch das übliche Nato-interne Verfahren geklärt werden. Wir gehen davon aus, dass das auch so gemacht wird.

FOCUS Online: Werden im Süden denn überhaupt mehr Soldaten gebraucht?

Erler: Die Amerikaner haben beschlossen, dass sie im Süden ihre Präsenz verstärken. Wir müssen uns also überlegen, welche Nato-Einheiten diese zusätzlichen Kräfte ablösen sollen, denn sie werden dort in der Tat gebraucht. Es geht aber nur um den Ersatz dieser noch nicht entsandten 3200 Soldaten - von noch mehr Truppen ist überhaupt nicht die Rede.

FOCUS Online: Wenn Deutschland keine weiteren Truppen in den Süden entsendet, wer sollte denn dann in die Bresche springen?

Erler: Die Nato hat doch deutlich mehr als 20 Mitglieder, und Deutschland ist bereits der drittstärkste Truppensteller. Deshalb kann sich die Frage nicht nur an Deutschland richten.

FOCUS Online: Nennen Sie doch mal ein konkretes Land!

Erler: Ich werde mich bestimmt nicht an einem Schwarzer-Peter-Spiel beteiligen. Wir haben einen Prozess der Ermittlung der Truppensteller innerhalb der Nato. Das findet sinnvollerweise nicht auf öffentlichen Zuruf statt.

FOCUS Online: Wenn sich kein Land findet, das ab Herbst Truppen in den Süden Afghanistans sendet, könnte das doch aber das Nato-Engagement in Afghanistan generell in Gefahr bringen. Der Organisator der Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, hält bereits jetzt ein Scheitern der Nato in Afghanistan für durchaus möglich ...

Erler: Natürlich sind der Druck und die Probleme gewachsen. Aber eine Dramatisierung führt uns überhaupt nicht weiter. Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat erst am Mittwoch zugesagt, dass Deutschland mehr Soldaten in den Norden senden wird. Wir verstärken unser Engagement auf Wunsch der Nato damit deutlich. Deshalb sehe ich nicht, dass das Bündnis bereits am Rande der Möglichkeiten steht. In gemeinsamer Anstrengung wird es sicher möglich sein, die Aufgabe in Afghanistan insgesamt adäquat zu lösen.

FOCUS Online: In den USA wird nächstes Jahr ein neuer Präsident regieren. Vermutlich wird dieser dann - egal ob Demokrat oder Republikaner - den Druck auf Deutschland in puncto Afghanistan verstärken. Wie wollen Sie dem begegnen?

Erler: Wir sind auf eine mögliche Verstärkung des Drucks gut vorbereitet, weil wir zeigen können, dass wir uns nicht nur stark engagieren, sondern unsere Aufgaben bisher auch mit Erfolg erfüllen. In den USA wird hoch anerkannt, was die Bundesrepublik in Afghanistan leistet. Dabei sollte man nicht nur auf die Militärpräsenz mit einer Obergrenze von 3500 Man schauen, sondern auch auf unser Konzept. Gerade die Kombination von Vertrauens- und Aufbauarbeit in der Bevölkerung und militärischer Absicherung ist ein Konzept, das wir nicht verlassen dürfen. Es ist beispielhaft für ganz Afghanistan. Auch deshalb darf die Bundeswehr nicht zerfleddert werden in ein Engagement im Norden einerseits und im Süden andererseits.

"Russland darf sich nicht eingekreist fühlen" 

FOCUS Online: Welche Szenarien ergeben sich nach den angekündigten (Teil-)Rückzügen für den Irak? Einige Analysten gehen davon aus, dass Rückzüge aus dem Irak auch Pakistan und den Iran destabilisieren könnten ...

Erler: Diese Erkenntnis hat die Bundesregierung dazu verleitet, die irakischen Nachbarn in den Gesamtstabilisierungsprozess einzubinden, und hat mit regionalen Konferenzen auch schon konkrete Ergebnisse gezeigt.

FOCUS Online: Wie können Indien und China stärker in die internationale Konfliktbewältigung eingebunden werden?

Erler: Wir versuchen immer wieder, diese aufstrebenden Staaten im Rahmen der G8-Treffen stärker einzubinden in die internationale Sicherheits-, Menschenrechts- und Klimapolitik. Das ist ein Prozess, bei dem man keine kurzfristigen Erfolge bekommt. China hat jedoch bereits Korrekturen an der Sudan-Politik vorgenommen und setzt neue Signale in der Afrika-Politik.

FOCUS Online: In der europäischen Sicherheitspolitik wurde in der Vergangenheit die geplante Raketenabwehr der Amerikaner heiß diskutiert. Könnte es da auf der Sicherheitskonferenz zu einer Annäherung kommen, da Polen nun einen neuen Präsidenten hat und auch in Russland die Präsidentschaft bald wechseln wird?

Erler: Wir haben uns bei der Frage der Raketenabwehr immer für einen Dialog zwischen den USA, Russland, der Tschechische Republik und Polen eingesetzt. Es hat hier seit der letzten Münchner Konferenz erhebliche Fortschritte gegeben. Wir freuen uns, dass die neue polnische Regierung realistisch vorgeht bei der eigenen Interessensvertretung. Es wäre wünschenswert, dass am Ende die Spannungen vor allem zwischen Amerika und Russland gelöst werden. Dafür brauchen wir ein Konzept, wie man die Befürchtung von Russland zerstreut, so dass sich Russland nicht bedroht oder gar eingekreist fühlt.

FOCUS Online: Könnte Deutschland da eine Vermittlerrolle spielen?

Erler: Nein. Wir sehen unsere Rolle darin, vor allem bei den USA dafür zu werben, den Dialog in dieser Frage fortzusetzen. Wenn wir damit erfolgreich sind, ist das schon eine ganze Menge.

FOCUS Online: Horst Teltschik wird diese Jahr zum letzten Mal die Sicherheitskonferenz leiten. Welche Erwartungen haben Sie an seinen Nachfolger?

Erler: Horst Teltschik hat sehr viel erreicht durch seine persönlichen Kontakte. Er hat die Münchner Konferenz zu einer Art Familientreffen in der Außen- und Sicherheitspolitik gemacht, wie es auf der Welt kein zweites gibt. Von seinem Nachfolger hoffe ich daher, dass er in ähnlicher Weise vernetzt ist, um an diese Besonderheit anknüpfen zu können.