Erler hält an deutschem Afghanistan-Engagement fest

Staatsminister: Auftrag am Hindukusch noch nicht erledigt • Interview im Deutschlandfunk, 23. Juli 2007 • 

Moderation: Christiane Kaess

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, verteidigt vor dem Hintergrund des aktuellen Entführungsfalles das deutsche Engagement in Afghanistan. "Wir haben einen noch nicht erledigten Auftrag", sagte der SPD-Politiker. Diese Aufgabe werde "nicht weniger sinnvoll und auch nicht weniger bedeutend durch das tragische Geschehen, das wir in diesen Tagen erleben".

Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen!

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Kaess!

Kaess: Herr Erler, gibt es mittlerweile genaue Erkenntnisse über die Todesursache des deutschen Bauingenieurs?

Erler: Nein, das gibt es nicht, sondern wir sind darauf angewiesen, dass eine Klarheit darüber durch eine Obduktion hergestellt wird, die vorgesehen ist.

Kaess: ZDF-Informationen zufolge gab es telefonischen Kontakt zwischen den Behörden in Kabul und dem zweiten Entführten. Gibt es Neues bei der Entwicklung in diesem Fall?

Erler: Ich glaube, Sie werden Verständnis haben, dass ich zu Einzelheiten bei den Bemühungen, und die sind sehr intensiv, nicht nur Kontakt herzustellen, sondern auch alles Mögliche zu tun, damit der zweite Ingenieur freikommt, hier am Telefon nichts sagen kann.

Kaess: Herr Erler, der viel zitierte Satz von damals, noch Verteidigungsminister Peter Struck, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, stammt aus dem Jahr 2002. Wird Deutschlands Sicherheit im Jahr 2007 vom Hindukusch her gefährdet?

Erler: Ich glaube, dass man aufpassen muss, dass man diesen sehr tragischen Vorgang, unter dem wir alle, glaube ich, gemeinsam sehr leiden, nicht zu einem zu starken Mittel über die bisherige Politik nachzudenken gestaltet wird, weil man immer wissen muss, in wessen Interesse das ist. Wir haben einen noch nicht erledigten Auftrag in Afghanistan, und der lautet, nach über 20 Jahren Bürgerkrieg einer Regierung eine Chance zu geben, sich selbst zu verteidigen und das eben auch gegen die radikalen Kräfte der Taliban und der sie unterstützenden Warlords. Und diese Aufgabe wird nicht weniger sinnvoll und auch nicht weniger bedeutend durch das tragische Geschehen, das wir in diesen Tagen erleben.

Kaess: Die Situation verschärft sich aber trotz des ISAF-Einsatzes und den ständigen Kämpfen der Operation "Enduring Freedom" und trotz des zivilen Aufbaus und der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Ist die bisherige Strategie falsch?

Erler: Es ist nach wie vor darauf hinzuweisen, dass die Entwicklung ganz verschiedene Tendenzen hat. Wir haben durchaus Erfolge auch bei den internationalen Bemühungen, was die Ausbildung von Polizisten und Soldaten angeht, obwohl das sicherlich noch verstärkt werden muss.

Kaess: Was, Entschuldigung, wenn ich hier unterbreche, was sind die Erfolge genau?

Erler: Die Erfolge sind, dass immer mehr afghanische Kräfte auch erfolgreich teilnehmen an der Sicherung des Landes und dass eben, wenn die Zahlen auch noch nicht befriedigend sind, es vorangeht. Denn das ist ja das eigentliche Ziel, die afghanische Regierung zu befähigen, selber für Sicherheit zu sorgen. Und wir haben natürlich auch sichtbare Aufbauleistungen. Es ist ja gerade interessant, zu sehen, dass diese beiden Deutschen, die dort entführt worden sind, an einem Wiederaufbauprojekt, in diesem Fall an einem Dammprojekt, eingesetzt worden sind. Und das ist das Entscheidende, dass die Bevölkerung sieht, dass die internationalen Bemühungen, aber auch die Aktivität der eigenen Regierung zu ihrem Vorteil ist und dass das, was die Taliban versucht, eine Zerstörung dieses Aufbauwerks darstellt.

Kaess: Bundeswehrgeneralinspekteur Wolfgang Schneiderhan ist besorgt über die Sicherheitslage, weitere Angriffe auf die Bundeswehr seien nicht auszuschließen, sagt er. Im Norden des Landes sei die Situation zwar vergleichsweise ruhig, die Betonung liege aber auf noch. Wird auch der angeblich sichere Norden immer unsicherer?

Erler: Wir haben nie gesagt, dass der Norden sicher ist, sondern wir haben auf die immer noch gültigen Unterschiede, was die Zahl der Übergriffe, der Überfälle, angeht, zwischen dem Norden und Westen einerseits und dem Süden und Osten andererseits hingewiesen. Aber es ist richtig, dass die Sicherheitslage sich in den letzten Monaten insgesamt im Land verschlechtert hat, so dass also insgesamt die sicherheitsrelevanten Vorfälle zugenommen haben, aber der Abstand zwischen diesen von mir genannten Regionen, der ist dabei geblieben.

Kaess: August Hanning, Staatssekretär im Innenministerium, sagt, es werden in Afghanistan vermehrt und gezielt deutsche Ziele angegriffen. Ist das auch Ihr Eindruck?

Erler: Na ja, man kann das ja nicht so ganz von der Hand weisen, auch wenn man darauf guckt, dass hier eben Deutschland eine zunehmende Rolle übernimmt, nicht? Und eben gerade auch bei dem Wiederaufbau ganz bewusst wir uns sehr stark einsetzen durch private Firmen, aber auch durch internationale Hilfsorganisationen. Und wenn die Zahl der Übergriffe zunimmt, dann muss das nicht sich irgendwie gegen die Deutschen richten, wenn auch immer wieder leider auch Deutsche davon betroffen sind.

Kaess: Unterscheidet denn die afghanische Bevölkerung noch zwischen den deutschen Soldaten und den amerikanischen, die ja nach den Luftangriffen mit vielen zivilen Opfern immer mehr abgelehnt werden?

Erler: Ich glaube, man unterscheidet sehr genau zwischen den verschiedenen Missionen und vielleicht jetzt nicht unbedingt zwischen den einzelnen Nationalitäten. Und entscheidend ist doch vor allen Dingen, dass es nicht gelingt, den Taliban die Unzufriedenheit mit den Erfolgen, mit dem Wiederaufbau, auch vielleicht die Erschütterung über zivile Opfer, die bei den Kämpfen entstehen, zu instrumentalisieren und für ihre Zwecke zu nutzen. Das, das ist der entscheidende Punkt. Ob man das schafft, manchmal wird das etwas dramatisch als der Kampf um die Herzen der Afghanen beschrieben, das ist vielleicht kein angemessener Ausdruck. Aber dahinter steckt natürlich die Notwendigkeit, überzeugend hier diese Bemühungen zu machen und nicht das Gegenteil zu erreichen, nämlich, dass womöglich die Rekrutierungsbemühungen der Extremisten und Terroristen Erfolg haben können.

Kaess: Sie sprechen über den Wiederaufbau im Land. Was können denn die Bundeswehrsoldaten bei der angespannten Sicherheitslage im Land für den Aufbau überhaupt noch tun?

Erler: Die machen das nicht selbst, das ist ein Verbund sozusagen zwischen zivilen Aufgaben und militärischen Aufgaben. Das ist eben ein Modell, was wir aus diesen PRTs, aus diesen sogenannten Provincial Reconstruction Teams, entwickelt haben, dass eben die eingesetzten ISAF-Soldaten der Bundeswehr für einen sicheren Rahmen sorgen und in diesem sicheren Rahmen dann auf der einen Seite die Regierung aus Kabul ihre Fähigkeiten zeigen kann, aber auch die Infrastruktur aufgebaut wird auch mit Hilfe der internationalen NGOs, die dort tätig sind, und der humanitären Hilfe, die hinkommt. Und es hat sich eben gezeigt, da, wo eine solche Verbundlösung funktioniert, und das ist tatsächlich in der Region, wo wir die Verantwortung übernommen haben, doch über weite Flächen der Fall, dass dann eine doch Zustimmung entsteht der Bevölkerung. Und wir erleben das in jedem Fall, wo es irgend eine Attacke gegen deutsche Soldaten oder auch gegen deutsche Zivilisten gibt, dass ein ziemliches Entsetzen dann in der Bevölkerung ist und man auch dringend darum bittet, dass Deutschland weiter engagiert bleibt. Solche Aufrufe sind auch bis in die letzten Stunden hinein erfolgt.

Kaess: Herr Erler, wie viel Sorge bereitet Ihnen, dass die Taliban oder die Aufständischen bestens über die deutsche Politik informiert sind. Muss man vor der Diskussion der Verlängerung der Mandate im Herbst verstärkt mit Anschlägen rechnen?

Erler: Auf jeden Fall ist ganz erkennbar, hier ist ja auch ein zynischer Missbrauch dieses, dieser Entführung durch eine Gruppe, die ganz offensichtlich nicht identisch mit der Taliban ist, zu sehen, dass es ein strategisches Ziel gibt. Auf der einen Seite ist die große Frühjahrsoffensive, die mehrfach angekündigt worden ist, bisher jedenfalls von der Taliban ausgeblieben. Man könnte das auch als einen Rückgang der militärischen Fähigkeiten deuten. Aber umso wichtiger wird offenbar für die Taliban, zu versuchen, dass eben Risse in die internationale Gemeinschaft kommen, dass also durch solche brutalen Übergriffe einzelne Länder versuchen, sich aus dieser gemeinsamen Aufgabe zu verabschieden oder ihr Engagement zu verringern. Das ist ganz erkennbar.

Und Sie haben Recht. Das ist eher sogar der Beweis, diese Verbindung der Taliban zu dem internationalen Terrornetzwerk der El Kaida, dass man hier ganz offensichtlich über gute Informationen, über die Entwicklung der Stimmung in den einzelnen Ländern der internationalen Gemeinschaft auch ausgenutzt wird.

Kaess: Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Vielen Dank.