Terrornetzwerk überzieht die ganze Welt

Interview mit Gernot Erler im Deutschlandradio, 12. April 2007 • Moderation: Doris Simon

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, hat sich nach den Terroranschlägen von Algier besorgt geäußert. Es sei das Tückische am Netzwerk des internationalen Terrorismus, dass es trotz aller Erkenntnisse der Geheimdienste kaum möglich sei, sichere Prognosen darüber zu bekommen, wann und wo der nächste Anschlag erfolgt, sagte der SPD-Politiker.Doris Simon: Herr Erler, schaut die Bundesrepublik - die hat ja derzeit den Ratsvorsitz in der Europäischen Union - der Zuspitzung dieses Konfliktes zu?

Gernot Erler: Wir sind natürlich besorgt über das, was da vor sich geht und was vor allen Dingen auch an verbaler Radikalität da vorgetragen wird, und wir werben sehr dafür, diesen Konflikt, auch den Hauptkonflikt, nämlich um die Region Kirkuk, möglichst im Konsens auszutragen, sich zu verständigen und nicht eskalieren zu lassen.

Simon: Sie sprechen Kirkuk an. Dort soll bis Ende des Jahres ein Referendum entscheiden, ob diese öl- und erdgasreiche Stadt, die ganze Gegend, zu Kurdistan kommt, also zum Norden des Irak. Das wiederum will die Türkei um jeden Preis verhindern, aber die Abhaltung des Referendums ist in der irakischen Verfassung festgeschrieben. Absehbarer Sprengstoff. Was tun Sie denn konkret, um den zu entschärfen?

Erler: Das, was ich eben gesagt habe. Wir wirken sowohl auf die türkische Seite ein wie auch auf die irakische Seite. Wir haben tatsächlich zu erwarten, dass ein solches Referendum stattfindet. Und das Problem ist dabei, dass Kirkuk eben eine multinationale Stadt ist mit ungefähr 55 Prozent kurdischer Bevölkerung, 20 Prozent Arabern, 20 Prozent Turkmenen, als deren Schutzmacht die Türkei auftritt, und dann noch 5 Prozent Asyrern. Aber die Zusammensetzung hat sich in den letzten 30 Jahren verändert. Hier ist auch eine bewusste Politik des Regimes von Saddam Hussein der Ausgliederung, der Vertreibung von Kurden betrieben worden, mindestens 120.000 davon betroffen. Die Forderung der Kurden ist nun, dass diese Vertriebenen zurückkehren, dass die dafür angesiedelten Araber, damals aus dem Südirak kommend, wieder zurückkehren, und dass schließlich dann eine Volkszählung und eine Volksabstimmung eben gemacht wird über den Status von Kirkuk. Und das alles findet natürlich jetzt im Wahljahr in der Türkei eine große Aufmerksamkeit. Sie haben schon richtig gesagt, man befürchtet eben, wenn es tatsächlich bei diesem Referendum dann zu einer Angliederung von Kirkuk an Kurdistan/Irak, also an diese einzige bisher im Irak funktionierende Region nach der Verfassung erfolgt, dass dann eine so wirtschaftliche Stärke, auch energiepolitische Stärke da ist, dass der Anreiz, selbstständig zu werden, und der wird ja von einigen kurdischen Politikern sehr aktiv betrieben, noch größer wird.

Simon: Sie sprechen den Nordirak an, wie Sie sagten, die einzige relativ friedliche, florierende Region des Irak. Was bedeutet es für den Irak, wenn es jetzt auch dort möglicherweise zu einem bewaffneten Konflikt mit der Türkei kommt?

Erler: Das wäre natürlich eine weitere Katastrophe für die ganze Region. Man kann sich das eigentlich nicht richtig vorstellen, und wir gehen auch nach wie vor davon aus, dass es eben Teil auch des Wahlkampfes ist. Auch die internationale Gemeinschaft rechnet jetzt wirklich nicht damit, dass tatsächlich ein Krieg stattfindet. Aber man muss sehr ernst nehmen die Ängste der Türkei. Man muss auch natürlich sehen, dass die Türkei Forderungen erhebt, dass die Aktivitäten der PKK, die sich eben zum Teil in den Nordirak zurückgezogen haben, dort eigene Basen unterhalten, vorgegangen wird. Das fordern sie sowohl von der amerikanischen Seite wie von der irakischen Seite, und in dem Augenblick natürlich, wo die PKK aktiver würde als sie jetzt im Augenblick ist, wo sie womöglich auch die Grenze überschreitet, Aktivitäten im türkischen Wahljahr in der Osttürkei machen würde, in dem Augenblick könnte man sich auch konkrete Militäraktionen der Türkei vorstellen. Aber wir wollen das nicht hoffen und wollen dafür werben, dass man eben auch hier, was die PKK-Aktivitäten angeht, eine Konsenslösung findet.

Simon: Herr Erler, Sie sagen, die Bundesregierung wirbt. Die Bundesregierung erlebt aber in der EU, dass die Beitrittsgespräche derzeit mit der Türkei stagnieren, Ankara sich sehr wenig bewegt, zum Beispiel auch nicht bei der Öffnung der Häfen und Flughäfen für zypriotische Unternehmen, obwohl das seit Monaten versprochen ist. Wenn Sie sagen, werben, einwirken, welche Mittel haben Sie denn wirklich?

Erler: Ja, ich meine, ich weiß nicht, welche anderen Alternativen hier wirklich für die Bundesregierung da sind, und ich kann nicht bestätigen, dass es im Augenblick noch einen Stillstand bei den Beratungen mit der Türkei gibt. Das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt. Ob auch in der Türkei für die türkische Bevölkerung sichtbar ist, dass es bei diesen Gesprächen vorangeht. Und gerade unter unserer Präsidentschaft haben wir uns bemüht, ohne großes Aufsehen doch wieder ein bisschen Fahrt in die Gespräche zu bringen, und es ist tatsächlich so, dass jetzt an neuen Kapiteln - Sie wissen ja, dass das kapitelweise gemacht wird - hier gearbeitet wird, so dass also wir doch wieder sprechen und wieder verhandeln über den Beitritt, wohl wissend, dass das natürlich noch eine sehr lange Zeit braucht, aber das ist natürlich auch ein Signal der Bereitschaft, auch auf türkische Interessen hier einzugehen.

Simon: Im Nordirak bemüht man sich, eben diese von Ihnen auch geschilderte explosive Situation im Vorfeld zu entschärfen. Gestern ist es in Algier zu mehreren Anschlägen gekommen. Ist da im Vorfeld vielleicht nicht genug passiert? Man wusste ja, dass es El Kaida im Maghreb gibt und dass sich diese Organisation formiert.

Erler: Wissen Sie, die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben das Problem ist, dass wir es hier mit einem Netzwerk zu tun haben, was praktisch über die ganze Welt sich zieht. Und es ist trotz aller Bemühungen, auch trotz aller Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden Spezialdiensten kaum möglich, sicher Prognosen darüber zu bekommen, wann, wo der nächste Anschlag erfolgt. Das ist das Tückische an dem Netzwerk des internationalen Terrorismus, und da muss man, glaube ich, mit Schuldzuweisungen über irgendwelche Auslassungen oder Verfehlungen sehr vorsichtig sein.

Simon: Das heißt also, Sie sehen die Anschläge eher als den traurigen Beleg, dass die El Kaida sich jetzt auch in dieser Gegend deutlich manifestiert?

Erler: Dafür gab es auch vorher schon Hinweise, und die reichen aber nicht aus, um eine sichere Prognose, wann wo etwas passiert, zu machen.

Simon: Heute läuft ein Ultimatum ab, das irakische Entführer der beiden Deutschen Hannelore Krause und ihres Sohnes Sinan gestellt hatten. Die Geiselnehmer im Irak fordern den Rückzug der deutschen Soldaten bei der internationalen Schutztruppe in Afghanistan, der ISAF. Gibt es, Herr Erler, in dieser Sache eine neue Entwicklung?

Erler: Ich kann nur noch mal zwei Dinge sagen: Deutschland wird sich nicht erpressen lassen in dieser Angelegenheit, und das andere ist aber genauso wichtig, der Krisenstab des Auswärtigen Amtes arbeitet mit Hochdruck weiter an einer guten Zukunft für die beiden gefangenen Geiseln, deren Schicksal uns außerordentlich berührt.

Simon: Das war der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler. Herr Erler, vielen Dank und auf Wiederhören.

Erler: Danke Ihnen.