Warum der Irak-Krieg nicht sein darf. Ein Gastkommentar von Gernot Erler im Handelsblatt vom 14. Februar 2003

Warum der Irak-Krieg nicht sein darf

Die Debatte um ein Für und Wider eines Irak-Krieges nimmt an Schärfe zu. Dies ist nicht weiter verwunderlich, rückt doch der Zeitpunkt einer klärenden Entscheidung immer näher.

Leider steigt mit dem Grad der Erregung nicht automatisch die Qualität der ausgetauschten Argumente. Der gestrige Gastkommentar in dieser Zeitung von Frederick Kempe (Wall Street Journal) ist ein Beispiel dafür.

Herrn Kempe gelingt das zweifelhafte Kunststück, sich wortreich über die vermeintlichen Ursachen und die Konsequenzen des belasteten deutsch-amerikanischen Verhältnisses zu echauffieren, ohne mit einer einzigen Silbe auf den eigentlichen Grund der gegenwärtigen, weltweit geführten Debatte einzugehen.

Kein Zweifel: In der Frage eines Für und Wider eines Irak-Krieges gibt es ganz offensichtlich einen Dissens zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und der Bundesregierung. Dieses Thema ist so ernst und von elementarer Bedeutung, dass die Diskussion darüber auf der Sachebene geführt werden und sich nicht mit Petitessen aufhalten sollte, wer wann was zu welchem Zeitpunkt gesagt haben soll. Wer erwartet, dass man Donald Rumsfelds fast schon im wöchentlichen Rhythmus erfolgende Invektiven gegen Deutschland und Europa nicht so ernst nehmen dürfe, von dem könnte man im Gegenzug auch ein klein wenig mehr Gelassenheit erwarten.

Im Kern geht es um die Frage, ob ein Krieg gegen den Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse völkerrechtlich legitimiert ist oder nicht. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen haben in dieser Frage eindeutig Stellung bezogen.

Nach unserer Auffassung sind noch längst nicht alle Mittel erschöpft, um den Irak auf friedlichem Wege abzurüsten und damit das Bedrohungspotential entscheidend zu reduzieren. Und mit dieser Auffassung ist Deutschland international keineswegs isoliert, wie der gestrige Gastkommentar suggerieren möchte. Anfang dieser Woche haben Frankreich und Russland, unterstützt von China, gemeinsam mit Deutschland eine Erklärung verabschiedet, in der exakt dieses Ziel festgeschrieben wird: die friedliche Entwaffnung des Irak. Das sind immerhin drei der fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Wer ist da eigentlich isoliert?

Seit Ende November arbeiten über 100 Waffeninspektoren im Irak auf der Suche nach Massenvernichtungswaffen. Noch nie wurde der Irak so gründlich durchleuchtet und an der Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen gehindert wie heute. Niemand, nicht einmal die USA, behauptet, dass vom Irak eine unmittelbare Bedrohung für die Nachbarstaaten in der Region ausgeht. Das bedeutet, dass die Tätigkeit der Waffeninspektoren weiter unterstützt, eventuell sogar ausgedehnt und auf lange Sicht institutionalisiert werden sollte.

Als der Irak 1990 das Nachbarland Kuwait okkupierte, musste die Weltgemeinschaft reagieren. Im 2. Golfkrieg wurde 1991 Kuwait befreit, Saddams Truppen erlitten riesige Verluste. Die Vereinten Nationen verboten anschließend dem Irak, Massenvernichtungswaffen und Trägersysteme mit größeren Reichweiten herzustellen oder zu besitzen. Strenge Sanktionen untermauerten dieses Verbot, eine Inspektionsmission der Vereinten Nationen vor Ort (UNSCOM) sollte es durchsetzen.

Acht Jahre lang (1991-1998) hat UNSCOM das Regime in den Schwitzkasten genommen. Dabei wurden mehr Waffen im Irak zerstört als im gesamten 2. Golfkrieg. Niemand fühlte sich in dieser Zeit vom Irak ernsthaft bedroht. Seit November 2002 ist eine neue UN-Inspektionsmission im Land (UNMOVIC) - stärker und weitaus besser ausgerüstet als die erste. Unter dem Druck der Sicherheitsrats-Resolution 1441 und den Inspektoren von Hans Blix und der IAEO ist das Regime in Bagdad vollständig in die Defensive gedrängt worden. Saddam kooperiert mit den Inspektoren, allerdings nicht in dem geforderten Ausmaß. Aber es besteht kein Zweifel: Das internationale Ziel einer gesicherten Entwaffnung des Irak ist über die Inspektoren und ohne militärische Intervention erreichbar. Und weil dies so ist, darf nach den Regeln der Weltzivilisation dasselbe Ziel nicht mit dem Mittel eines Krieges verfolgt werden, der Menschen tötet, vor allem wehrlose und unschuldige.

Der 11.September 2001 hat nicht nur Amerika, sondern die ganze Welt geschockt und herausgefordert. Das Neue der Bedrohung durch einen global operierenden Terrorismus wurde erkannt: Nicht ein Staat greift einen anderen an, sondern bewaffnete, geographisch kaum lokalisierbare Gruppen verüben brutale Terrorakte, ohne verhandelbare Forderungen zu stellen. Die Weltgemeinschaft ist noch dabei, sich auf die "Asymmetrie" dieser Bedrohung einzustellen, bei der die klassischen Abwehrstrategien von der präventiven Diplomatie bis zur bewaffneten Antwort weitgehend versagen. Die ungebrochene Aktionsfähigkeit der globalisierten Terrornetzwerke (Djerba, Bali, Mombasa) erzwingt eine neue Qualität beim internationalen Kampf gegen den Terrorismus. Nur eine global wirksame Gesamtstrategie der Weltgemeinschaft kann den Terrorismus der Netzwerke eindämmen. Folgende Prioritäten lassen sich dabei benennen: Die große politische Allianz gegen den Terrorismus, einschließlich der arabischen und moslemischen Staaten, muß aufrechterhalten und gestärkt werden, um überall auf der Welt die Netzwerke zu verfolgen. Regionale Konflikte (Nahost, Kaschmir, Tschetschenien) sind als gefährliche Quellen für Extremismus und Terrorismus erkannt und müssen entschlossener als bisher gelöst und beendet werden. In Afghanistan brauchen wir einen beispielhaften Erfolg - eine Rückkehr von Chaos, Taliban und Al Quaida hätte verheerende Folgen. Eine weltweite Politik der Armutsbekämpfung, Gerechtigkeit und Chancengleichheit muß als neue globale und strukturelle Präventionsstrategie die Rekrutierungschancen der Terrornetzwerke reduzieren.

Die Bush-Administration hat von Anfang an den geplanten Irak- Krieg als notwendigen weiteren Schritt im Kampf gegen den Terrorismus des 11. September deklariert. Trotz größter Bemühungen konnte eine direkte Beziehung Saddam - Al Quaida nicht nachgewiesen werden. Daran ändert auch das jetzt aufgetauchte Tonband nichts, in dem Bin Laden schon jetzt den geplanten Krieg gegen den "Ungläubigen", "Heuchler" und "Sozialisten" Saddam für seine Zwecke auszubeuten versucht.

Aber noch wichtiger ist: Ein Irak-Krieg birgt ernsthafte Risiken für die notwendige Fortsetzung und Intensivierung des Kampfs gegen den Terrorismus. So gefährdet er den Fortbestand der politischen Allianz gegen den Terrorismus und vor allem die unverzichtbare arabisch-moslemische Mitwirkung in dieser Allianz. Ein Irak-Krieg gefährdet auch die gemäßigten arabischen Regime und schafft in der Konfliktregion Nahost ein zusätzliches Problem mit der ungelösten Frage der Fortexistenz eines irakischen Staatswesens. Er verschlingt enorme Finanzmittel (die Rede ist von bis zu 200 Mrd. $) und beansprucht Fähigkeiten, die anderswo gebraucht werden - vor allem in Afghanistan, wo bereits neue Kämpfe ausbrechen. Eine Ausweitung oder gar Explosion von Antiamerikanismus als Folge eines als unbegründbar empfundenen Irak-Krieges - wie gerade gezeigt leicht ausbeutbar von den Al Qaida-Strategen - kann nicht ausgeschlossen werden.

Ein Irak-Krieg würde die weltweite Terrorbedrohung nicht verringern, sondern vergrößern. Wenn Washington auf die Provokationen des Regimes in Nordkorea mit Hinweis auf dessen atomare Potentiale einen Verhandlungsweg einschlägt, im Falle des Irak aber ein Exempel statuiert, gibt Präsident Bush damit nicht nur indirekt zu, dass er selbst nicht an einsatzfähige irakische Massenvernichtungswaffen glaubt, sondern er sendet eine verhängnisvolle Botschaft aus:

Sie lautet, dass nur ein Land, das über einsatzfähige Massenvernichtungswaffen verfügt, gegen militärische Interventionen von außen geschützt ist. Dieses Signal zerstört den Grundgedanken der Nonproliferation. Es wird einen richtigen "Run" auf diese Waffen auslösen, die einen Staat gegen eine Intervention von außen immun machen. Die Zukunft liegt dann in Präventivkriegen zur Verhinderung von gefährlichen Waffen-Fähigkeiten in amerikafeindlichen Staaten.

In diesem Kontext manifestiert der Irak-Krieg ein archaisches, dichotomisches Weltbild. Es gibt gute und böse Staaten. Die guten dürfen Massenvernichtungswaffen haben, die bösen nicht. Eine solche Weltordnung funktioniert nur, wenn es eine überlegene und zu jedem Kriegsrisiko bereite Superweltmacht gibt, die über Gut und Böse richtet. Eine solche Weltordnung führt unweigerlich zu jener Teilung der Welt, die Osama bin Laden mit seinen Anschlägen herbeizwingen wollte und die im "Kampf der Kulturen" endet.

In einer solchen Weltordnung wollen wir nicht leben. Deshalb darf der Irak-Krieg nicht sein.