Erler: Kompromiss im SPD-Reformstreit möglich. Interview mit NDR Info, 22. April 2003

Erler: Kompromiss im SPD-Reformstreit möglich

Gernot Erler, SPD-Fraktionsvize im Bundestag und Sprecher der Parlamentarischen Linken im Interview mit NDR Info, 22. April 2003.

In der SPD geht der Reformstreit munter weiter. Die Kritiker innerhalb der Partei haben ja klar gemacht, sie würden unter anderem die Kürzungen beim Arbeitslosengeld und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe so nicht mitmachen, und drängen auf substantielle Veränderungen. Geklärt werden soll dies endgültig auf einem Sonderparteitag der SPD, und zwar am 1. Juni. Fragen an den stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Gernot-Erler, er ist einer dieser Kritiker und Sprecher der einflussreichen Abgeordnetengruppe Parlamentarische Linke.

NDR Info: Herr Erler, Sie haben ja schon vorsichtig durchklingen lassen, sie sähen eine Kompromissmöglichkeit, wie soll die denn aussehen ?

Erler: Es gibt die Möglichkeit, die Zeit, die wir bis zum Parteitag haben, noch zu nutzen, um den Konsens über diesen Reformweg zu verbreitern. Und das ist auch im Sinne des Bundeskanzlers.

NDR Info: Aber wo gibt es denn tatsächlich noch Möglichkeiten, das Reformpaket wieder aufzuschnüren?

Erler: Es geht gar nicht darum, es wieder aufzuschnüren, weil über die grundsätzliche Richtung zumindest die parlamentarische Linke, für die ich sprechen kann, sich einig ist und das auch niedergelegt hat in einem ausführlichen Papier, das dem Bundeskanzler vorliegt. Es gibt aber an einigen Punkten Möglichkeiten, den Konsens zu verbreitern durch Ergänzungen, durch bessere Übergangsregelungen und auch Änderungen. Und darüber müssen wir sprechen.

NDR Info: Das heißt, Sie werden also bei diesem Kompromiss zustimmen in Sachen Arbeitslosengeld und bei der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, ist das so zu verstehen?

Erler: Es ist so zu verstehen, dass wir konkrete Vorschläge gemacht haben. Und "wir" heißt hier, dass sich mehr als 60 Abgeordnete des deutschen Bundestages aus unserer Fraktion aktiv an diesen Vorschlägen beteiligt haben. Und wir müssen ja auch noch durch das Gesetzgebungsverfahren und uns dann auch noch mit der Opposition verständigen. Also insofern ist das ein Prozess, diese Agenda 2010. Und die hat eben noch viele Etappen zu überwinden, auch bis zu dem Parteitag. Am nächsten Montag haben wir schon jetzt eine Sitzung vom Parteivorstand und dem geschäftsführenden Vorstand der Bundestagsfraktion. Da soll der Parteitag und damit natürlich auch die Agenda 2010 vorbereitet werden. Am 26./ 27. April geht die SPD-Bundestagsfraktion dann in eine Klausur. Und parallel dazu finden diese Regionalkonferenzen ja auch noch statt. Also es gibt noch viel Gelegenheit, miteinander zu reden und sich zu verständigen.

NDR Info: Aber ich muss trotzdem noch mal fragen, werden Sie nun zustimmen bei der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe oder nicht?

Erler: Natürlich werde ich da zustimmen. Das ist ja auch eine Sache, die sogar schon im Parteiprogramm steht, also in dem Regierungsprogramm für diese vier Jahre. Es geht ja nicht um die Frage, ob man das grundsätzlich macht, sondern wie man das sozial so abfedert, dass die Leute das auch akzeptieren, dass wir auch davon überzeugt sind, dass das der richtige Weg ist.

NDR Info: Und das passiert bislang noch nicht?

Erler: Es gibt da einige Punkte, wo man Schwierigkeiten sieht in der sozialen Auswirkung von Einzelmaßnahmen, zum Beispiel bei längerfristigen älteren Arbeitslosen könnte es durchaus Einzelfallprüfungen geben, ohne dass damit weiterhin die Möglichkeit für Betriebe besteht, die Erneuerung ihrer Mitarbeiterschaft über die Bundesanstalt für Arbeit zu finanzieren.

NDR Info: Welche Signale haben Sie denn vom Kanzler bislang auf diese Vorstellungen bekommen?

Erler: Der Kanzler hat das Positionspapier der Parlamentarischen Linken in Händen. Er befindet sich im Augenblick in seinem wohlverdienten Oster-Urlaub. Aber wir haben Signale, dass ein Gespräch stattfinden soll - wahrscheinlich nicht nur eins, sondern mehrere. Aber das findet dann eben nicht mehr in dieser Woche statt, sondern später.

NDR Info: Der frühere SPD-Vorsitzende Lafontaine hat dem Kanzler vorgeworfen, Schröder würde seine Wähler "für dumm" verkaufen und er würde von ihnen verlangen, "Wortbruch" zu begehen. Wie sehen Sie das, müssen Sie Wortbruch begehen, und verkauft der Kanzler die Wähler für dumm?

Erler: Ach wissen Sie, je mehr von diesen gescheiterten "Have Beens" sich da zu Wort melden, desto schlechter werden die Chancen zum Beispiel für die Betreiber des Mitgliederbegehrens. Ich finde eine solche Unterstützung nützt ihnen nichts.

NDR Info: Aber es gibt auch Leute, die nicht gescheitert sind und trotzdem kritisieren, zum Beispiel das SPD-Fraktionsvorstandsmitglied Wend, der hat Ihnen als Kritiker der Reform Selbstverliebtheit vorgeworfen. Was ist denn los in der SPD, dass die Auseinandersetzungen schon ein solches Niveau erreicht haben?

Erler: Also mir hat so etwas meines Wissen niemand vorgeworfen.

NDR Info: Das hat er einer Zeitung gesagt.

Erler: Ich weiß es nicht, es kann ja sein, dass irgend jemand aufgeregt ist. Aber ich denke, wir sind an einer sehr ernsten Stelle hier. Wir haben ein großes Programm, das notwendig ist - das wird von der parlamentarischen Linken anerkannt -, das ausformuliert ist durch die Rede des Bundeskanzlers am 14. März im Bundestag, aber was natürlich jetzt in den vielen Wochen von dieser Ankündigung bis zur Umsetzung durchaus noch diskutiert werden muss, das kann ja niemand abstreiten. Zumindest was die Details angeht, ist da eine Diskussion nötig, und darüber braucht sich niemand aufzuregen.

Positionspapier der Parlamentarischen Linken