Neuer UN-Resolutionsentwurf zu Irak-Einsatz. Interview mit Gernot Erler im Deutschlandfunk, 4. September 2003

Neuer UN-Resolutionsentwurf zu Irak-Einsatz

Stefan Heinlein: Eine multinationale Truppe für den Irak unter US-Kommando und ein Zeitplan für Wahlen und die Rückkehr zur irakischen Souveränität. Das sind die Kernpunkte des von den USA überraschend formulierten UN-Resolutionsentwurfs. Man wolle, so US-Außenminister Powell, weitere Länder fragen, ob sie sich an dem multinationalen Einsatz beteiligen werden. Am Telefon ist der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzender Gernot Erler. Herr Erler, glauben Sie, dass Berlin von Washington gefragt werden wird, sich an dieser Truppe zu beteiligen?

Erler: Das ist schwer zu sagen. Ich halte es nicht für besonders wahrscheinlich, weil es ja von Amerika auch aus eine Anerkennung dafür gibt, dass Deutschland im Prinzip einer internationalen Arbeitsteilung folgt und mit Anerkennung auch des amerikanischen Präsidenten besondere Aufgaben in Afghanistan übernommen hat, was durchaus im amerikanischen Interesse ist, weil Amerika unter den gegebenen Umständen gar nicht mehr die Möglichkeit hat, sich so auch auf diese sehr schwierige Lage in Afghanistan zu konzentrieren, wie das eigentlich notwendig wäre.

Heinlein: Aber mit Joschka Fischer hat Powell nach eigenen Worten gestern ja bereits telefoniert. Warum?

Erler: Ja, ich meine, das ist ja ein interessanter Vorgang insgesamt, mit dem man nicht unbedingt rechnen konnte. Es hat sich jetzt in dem inner-amerikanischen Ringen offensichtlich die Gruppe um Colin Powell durchgesetzt, die schon lange diesen Weg, der jetzt beschritten werden soll, vorgeschlagen hat, und zwar gegen die Gruppe um Donald Rumsfeld, der genau das vermeiden wollte, dass man international Hilfe anfordert, dass man schneller zu einer Irakisierung, also zu einer Mehrverantwortungsübertragung an die Iraker selbst geht, und ich bin sicher, dass die beiden darüber gesprochen haben.

Heinlein: Ist dies eine Niederlage für Donald Rumsfeld?

Erler: Ich denke, dass die Kommentare in diese Richtung gehen werden.

Heinlein: Worum geht es, Herr Erler, den USA mit dieser Resolution? Soll der eigene Etat und das eigene Militär entlastet werden, geht es darum in erster Linie?

Erler: Ich würde zwei Dinge im Hintergrund hier sehen. Das Eine ist die außerordentlich prekäre Sicherheitslage und die Tatsache, dass ganz offensichtlich hier bestimmte Überforderungserscheinungen sichtbar werden. Im August hat es drei katastrophale Anschläge gegeben, am 7. August den Angriff auf die jordanische Botschaft, am 19. August die opferreiche Attacke gegen das UN-Hauptquartier und am 29. August, am letzten Freitag, die Attacke auf die Moschee, die Ali-Moschee mit dem Tod des Ajatollahs, die die ganze schiitische Welt, also die Mehrheit der Bevölkerung, in Angst und Schrecken versetzt hat. Das sind dramatische Ereignisse und die Amerikaner müssen jetzt handeln. Sie müssen etwas tun, weil sie immer mehr dem Vorwurf ausgesetzt werden, dass sie ihrer Verpflichtung zur Herstellung von Ordnung und Sicherheit im Lande nicht nachkommen, und wir haben hiermit jetzt die Reaktionen. Aber im Hintergrund steckt auch ein Bericht des CBO, das ist so eine Art Rechnungsprüfungshof, der gesagt hat, wir halten das gar nicht so lange durch mit den 150.000 Soldaten vor Ort. Die haben den Amerikanern vorgerechnet, dass bei gleichbleibendem Geldfluss es nur für 38.000 bis 64.000 Soldaten dauerhaft reicht vor Ort, und dass spätestens im März nächsten Jahres die bisherige Stationierung nicht mehr möglich ist, auch aus Gründen der Kapazität der amerikanischen Armee. Und da muss auch gehandelt werden, also diese beiden Dinge stecken ganz offensichtlich hinter dieser Wendung der amerikanischen Politik.

Heinlein: Schafft denn dieser Resolutionsentwurf, wie wir ihn zur Stunde kennen, den notwendigen politischen Horizont für eine Befriedung und eine Stabilisierung des Irak?

Erler: Ich denke, es ist auf jeden Fall ein Schritt in die Richtung, die von mehreren Verbündeten und Freunden Amerikas immer wieder vorgeschlagen worden ist und wofür viele Länder geworben haben. Denn es ist immerhin dahinter die Idee, dass man einen etwas verbindlicheren Zeitplan dafür aufstellt, wie jetzt eigentlich der Übergang in die irakische Verantwortung aussehen soll. Es ist die Richtung, doch der UNO mehr politische Kompetenz zu geben, auch wenn bisher noch nicht klar ist, wie das im Einzelnen aussehen soll. Aber ich glaube, Colin Powell wird über die Details hier grade mit wichtigen Verbündeten Amerikas noch sprechen. Und es ist natürlich dahinter der Gedanke, letztlich ein UNO-Mandat zu erreichen für eine Sicherung des Irak. Ob es allerdings so einfach ist, viele neue Truppensteller zu bekommen, wenn das Ganze weiter unter der amerikanischen militärischen Führung stattfindet, und vor der Tatsache, dass es ja schon über 21.000 Truppen anderer Länder vor Ort gibt, ist die große Frage, die man sich auch in der amerikanische Öffentlichkeit stellt.

Heinlein: Wie würden Sie denn diese Frage beantworten? Werden Länder wie Frankreich, aber auch arabische Nationen oder Indien, Pakistan oder die Türkei, die ja im Gespräch sind, jetzt bereit sein, mit dieser UN-Resolution sich im Irak zu engagieren?

Erler: Ich glaube, dass das eher eine Frage ist, die Amerika in bilateralen Gesprächen jetzt in dem UNO-Prozess, der jetzt anläuft, klären wird, und dass es von diesen bilateralen Gesprächen mehr abhängt als von irgendwelchen idiomatischen Wendungen in dieser Resolution. Ich glaube, wie gesagt, dass das ein Schritt in die Richtung ist, die viele verlangt haben, ob er aber ausreicht und ob jetzt auch die Länder beim Wort genommen werden können, besonders die arabischsprechenden Länder, besonders die moslemischen Länder, die natürlich logischer Weise bessere Chancen hätten, hier vor Ort diese Sicherheitsaufgabe zu übernehmen, dass wird sich noch herausstellen. Es ist schwierig, dazu eine klare Perspektive aufzuzeigen.

Heinlein: Deutschland, die Bundesregierung hat ja auch immer diese neue Resolution gefordert. Muss jetzt, da dieser Entwurf vorliegt, neu nachgedacht werden über die deutsche Position?

Erler: Ich möchte darauf hinweisen, dass grade Deutschland sich zurückgehalten hat mit irgendwelchen Forderungen an die amerikanische Seite. Und ich will noch mal sagen, dass wir doch zunehmend Zustimmung für unsere Sichtweise bekommen. Wir sagen, es ist gefährlich, was im Ganzen jetzt passiert nach diesem Irakkrieg, nämlich dass sich die internationalen Ressourcen, vor allen Dingen aber auch die Ressourcen Amerikas, immer deutlicher auf den Irak konzentrieren und dabei eine Vernachlässigung anderer wichtiger Entwicklungen stattfindet, zum Beispiel im Nahen Osten und in Afghanistan, aber auch, was die Bürgerkriege in Afrika angehen, und der Balkan, der keineswegs ruhig ist. Wir haben neue dramatische Vorgänge in Mazedonien. Das heißt, auch hier ist Wachsamkeit geboten, und die deutsche Konzeption ist zu sagen, wir brauchen eine Art internationale Arbeitsteilung und wir konzentrieren uns in Deutschland im Augenblick ganz auf die Frage einer Erweiterung unseres Engagements in Afghanistan.

Heinlein: Also ein für alle Mal, Herr Erler, keine deutsche Beteiligung von deutschen Truppen im Irak, das Kanzlerwort gilt nach wie vor?

Erler: Das sehe ich so, und dass sehe ich auch so, dass der deutsche Bundestag dieser Position sehr viel abgewinnen kann und dieser Position voll unterstützt, jedenfalls kann ich das für meine Fraktion sagen.

Heinlein: Der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler war das heute morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch.