Zeitplan für Übergabe der Souveränität an Iraker nötig. Interview im Deutschlandradio, 19. September 2003

Zeitplan für Übergabe der Souveränität an Iraker nötig

DeutschlandRadio Berlin: Deutschland lässt sich beim Wiederaufbau des Iraks jetzt doch etwas stärker in die Pflicht nehmen. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul beispielsweise hat sich als erstes Regierungsmitglied klar für eine Teilnahme Deutschlands an der Irak-Geberkonferenz ausgesprochen. Ihr Chef Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den USA kurz vor seinem geplanten Treffen mit George W. Bush Hilfe für konkrete Wiederaufbauprojekte angeboten. Gernot Erler ist stellvertretender SPD Fraktionsvorsitzender und in seiner Fraktion eigentlich für all das zuständig, worauf es jetzt ankommt, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Menschenrechte und Entwicklungspolitik. Gehen Sie, Herr Erler, denn auch davon aus, dass Deutschland jetzt bei der Irak-Geberkonferenz am 23. und 24. Oktober in Madrid dabei ist?

Erler: Deutschland wird dabei sein, aber die Frage ist, was bei dieser Geberkonferenz insgesamt herauskommt und was Deutschland da bieten kann. Es hängt von der Entwicklung der nächsten vier Wochen noch ganz entscheidend ab, denn auch Amerikaner sehen inzwischen, dass ohne eine Änderung der amerikanischen Politik möglicherweise diese Geberkonferenz zu keinem vernünftigen Ergebnis kommen wird. Es hängt vor allen Dingen hier davon ab, ob es einen Zeitplan zur Übergabe der Souveränität an irakische Autoritäten geben wird und wie die Fonds organisiert werden, in die die internationale Gemeinschaft Geld einzahlen soll. Bisher ist das so, dass die Kontrolle über diese Fonds ausschließlich die Amerikaner haben, die das Geld dann freihändig bisher ausschließlich an amerikanische Firmen vergeben. Da hat eigentlich kaum ein Land Lust, Geld einzuzahlen, das ist international nicht üblich, da gibt es überhaupt keine Kontrolle und auch keine Transparenz. Das ist ein ganz entscheidendes Thema im Hintergrund, über das aber wenig geredet wird.

DeutschlandRadio Berlin: Bisher hat die Regierung ja Wiederaufbauhilfe von Transparenz und internationaler Kontrolle abhängig gemacht, so wie Sie das auch gerade beschrieben haben. Aber das gilt ja offensichtlich nicht mehr, wenn die Entwicklungshilfeministerin sagt, wir sind dabei. Ist das jetzt die Demutsgeste an die USA, dass man nicht mehr drauf besteht?

Erler: Nein, es geht jetzt nicht darum, dass man mit der Forderung, dabei zu sein, auch schon große Geldmittel zusagt. Der Bundeskanzler hat in eine ganz andere Richtung hin Ankündigungen gemacht, er hat genau gesagt, wir sind in der Lage und Willens, uns an einzelnen Projekten zu beteiligen. Das heißt ja ganz genau, dass er nicht anonym in irgendwelche Fonds einzahlen will. Er hat konkret angeboten, Soldaten und vor allen Dingen Polizisten auszubilden, allerdings nicht im Irak sondern in Deutschland oder anderswo wegen der Sicherheitslage. Er hat zusätzlich auch zugesagt, bei der Wiederherstellung Trinkwasserversorgung zu helfen. Das ist also ein deutlicher Wink, dass nicht damit zu rechnen ist, dass wir größere Summen in anonyme Fonds einzahlen, aber einzelne Projekte durchaus anbieten werden.

DeutschlandRadio Berlin: Der Bundeskanzler sagt ganz deutlich, dieses Hilfsangebot gilt unabhängig von einer Resolution der Vereinten Nationen. Das ist doch eine Missachtung der UN.

Erler: Nein, es geht ja hier ganz bewusst um Angebote, die gar nicht in dem Land selber gemacht werden.

DeutschlandRadio Berlin: Zumindest die Wasserversorgung werden Sie nicht außerhalb des Iraks einrichten können.

Erler: Dabei handelt es sich im Augenblick um vier Spezialisten, die entsandt werden, um Beratungstätigkeit durchzuführen. Es handelt sich nicht um ein großes Wiederaufbauprogramm, was in der Tat international bisher immer davon abhängig gemacht worden ist, dass es unter UN-Regie geführt wird, sondern es handelt sich ja um einzelne Projekte, die vor allen Dingen außerhalb des Iraks gemacht werden, wenn man mal von der Beratung in Sachen Trinkwasser absieht. Das ist natürlich ganz im Rahmen des Üblichen, denn eine Ausbildungshilfe wird für sehr viele andere Länder auch in Deutschland gemacht und das ist natürlich nicht abhängig davon, ob das die UNO leitet.

DeutschlandRadio Berlin: Gilt also weiter das von der Entwicklungshilfeministerin ausgegebene Motto: Wer zerstört hat, trägt die Hauptlast beim Wiederaufbau?

Erler: Ich denke, das gibt in einer etwas holzschnittartigen Weise eine internationale Regel und auch die internationale Rechtslage wider. Die Vereinigten Staaten haben mit ihrem Okkupationsstatus, den sie selber in der Resolution 1483 noch einmal beschrieben und auch gewollt haben, die volle Verantwortung übernommen. Aber, sie bitten ja jetzt ausdrücklich um Hilfe und sind dafür auch bereit, die politischen Grundlagen zu ändern. Es gibt also jetzt ein Ringen in den Vereinten Nationen um eine neue Resolution. Ich rechne damit, dass hier die Amerikaner, weil sie wirklich die Hilfe von außen auch brauchen, jetzt den europäischen Vorstellungen auch entgegenkommen.

DeutschlandRadio Berlin: Das symbolhafte der deutschen Hilfsangebote haben sie unterstrichen, sie haben zum Beispiel das Angebot genannt, Polizisten aus dem Irak in Deutschland auszubilden. Reicht das denn, ist das genug, um den Brückenschlag über den Atlantik zu wagen vor dem Gespräch Schröder-Bush. Werden die USA sich mit so etwas zufrieden geben?

Erler: Diese Informationspalette ist nicht ganz vollständig. Deutschland hat bisher 75 Millionen Euro an humanitärer Hilfe zugesagt, ein Teil davon ist auch schon geflossen. Der andere Teil kann nicht fließen, weil auch einige Hilfsorganisationen im Augenblick gar nicht im Irak arbeiten können. Aber das ist eine sehr hohe Summe und zeigt ein sehr hohes humanitäres Engagement. Es ist die höchste Summe außerhalb der Mittel, die Amerika zugesagt hat. Und insofern ergänzt sich dieses Bild noch. Außerdem ist natürlich völlig klar, dass Amerika auch bereit ist, jetzt anzuerkennen, welchen hohen Einsatz die Bundesrepublik anderswo, da wo es tatsächlich auch um Terrorismusbekämpfung geht, leistet, nämlich in Afghanistan. Deswegen gibt es ja auch schon die klare Ankündigung des Außenministers Colin Powell, dass Forderungen an Deutschland, etwa in Richtung Entsendung von Soldaten, nicht gestellt werden.

DeutschlandRadio Berlin: Wenn Deutschland sich schon so engagiert, braucht es dann aus der deutschen Sicht, zumindest für die Praktikabilität der Hilfe überhaupt noch ein besonderes UN-Mandat, oder braucht man das jetzt nur noch, um politisch zu sagen: Wir haben Recht gehabt?

Erler: Das Zweite auf keinen Fall. Es wird meines Erachtens häufig nicht gesehen, dass es sich bei dieser Forderung nicht um irgendeine Umsetzung einer Grundsatzidee oder so etwas geht. Die Frage ist doch, wie kann sich denn überhaupt die Lage, die Sicherheitslage für Amerika im Irak, ändern. Da ist es eben so, dass dieser Status des Okkupanten, der ja bedeutet, dass die Bevölkerung bei allem was schief geht, immer die Amerikaner verantwortlich macht, überhaupt nur verändert werden kann, indem eben mehr Autorität an irakische Autoritäten und Institutionen übergeht. Das ist inzwischen die Hauptforderung der Europäer für diese Resolution, und natürlich, dass der Wiederaufbau unter die Leitung der UNO gestellt wird, vor allen Dingen auch die Vorbereitung von einer Verfassung und von Wahlen. Das ist das, was die UNO auch am Besten kann, wo sie die besten Erfahrungen hat. Das ist nicht die Verfolgung von Grundsatzzielen, sondern das ist eigentlich, und das sehen auch einige Amerikaner inzwischen so, die einzige Möglichkeit aus der Falle herauszukommen, in der die Amerikaner stecken, denen alles, was schief geht zum Vorwurf gemacht wird, was natürlich die Stimmung in der Bevölkerung anheizt.

DeutschlandRadio Berlin: Vielen Dank Gernot Erler, er ist der stellvertretende SPD Fraktionsvorsitzende im Bundestag.