Presseerklärung vom 6. Oktober 2003

Tschetschenien: Beschränkte Wahl, beschränkte Wirkung

Zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Der Sieger der tschetschenischen Präsidentschaftswahlen stand bereits im Vorfeld fest: Es ist der bisherige Statthalter Moskaus in der abtrünnigen Republik, Achmat Kadyrow. Dabei hatte der Wahlkampf vor einigen Wochen verheißungsvoll begonnen. Neben Kadyrow und einer Reihe weiterer, zumeist unbekannter Gegenkandidaten, warfen auch drei Ernst zu nehmende Kandidaten ihren Hut in den Ring. Der Moskauer Unternehmer Hussein Dschabrailow, der Duma-Abgeordnete Aslambek Aslachanow und der russische Lotteriebetreiber Malik Sajdullajew.

Doch diesen drei Kandidaten erging es so wie den "zehn kleinen Negerlein" in dem gleichnamigen Lied. Am Ende blieb nur noch Achmat Kadyrow übrig, so dass bereits die Charakterisierung der Stimmabgabe als Wahl einen nicht zu überbietenden Euphemismus darstellt.

Konsequenterweise hatten Europarat und OSZE bereits im Vorfeld angekündigt, keine offiziellen Wahlbeobachter nach Tschetschenien zu entsenden. Auch der Umstand, dass 30.000 russische Militärangehörige, die zur Zeit in Tschetschenien stationiert sind, an der Abstimmung teilnehmen durften, trug nicht gerade dazu bei, Vertrauen in die Demokratietauglichkeit des gesamten Prozesses zu gewinnen.

Was hat Russland und mit ihm Präsident Putin mit dieser Wahlfarce gewonnen? Putin geht es in erster Linie darum, bis zu seiner eigenen Wiederwahl im März kommenden Jahres Ruhe in Tschetschenien einkehren zu lassen. Kadyrow scheint ihm dabei der sicherste Gewährsmann zu sein, die Moskauer Interessen am besten zu vertreten. Doch Kadyrow hat bereits klar gemacht, dass er für die Befriedung der Region und dem Verbleib in der Russischen Föderation entsprechende Gegenleistungen Moskaus erwartet. Dabei geht es um die Bildung freier Wirtschafts- und Zollräume und sogar das Recht Tschetscheniens, Erdöl und andere Rohstoffe auf eigene Rechnung verkaufen zu dürfen. Ob Moskau zu diesen Zugeständnissen bereit ist, wird sich zeigen.

In jedem Fall aber sind es die Menschen, die nach wie vor unter den unwürdigsten Bedingungen leben müssen und vor Übergriffen sowohl durch russische Sicherheitskräfte als auch durch lokale bewaffnete Einheiten leiden. Die im Zusammenhang mit dem Verfassungsreferendum vom vergangenen März angekündigten Verbesserungen der Lebensverhältnisse lassen bislang auf sich warten. Nicht die Wahl Kadyrows, sondern allein die Einhaltung dieser Zusagen bietet die Chance, Moskaus Ziel einer Stabilisierung Tschetscheniens näher zu kommen.