Presseerklärung vom 10. Dezember 2003

Genfer Abkommen: SPD begrüßt neue Hoffnung für Nahen Osten

Zu der neuen israelisch-palästinensischen Friedensinitiative erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Lange Zeit sah es so aus, dass die Konfliktparteien im Nahen Osten nicht mehr die Kraft finden, den Israel-Palästina-Konflikt alleine lösen zu können. Der Ruf nach einem neuerlichen Anstoß von außen wurde daher immer lauter. Daher regte sich große Hoffnung, als im April 2003 das sog. "Quartett", das Zweckbündnis der EU, der USA, der Russischen Föderation und der Vereinten Nationen, einen international abgestimmten Friedensplan, die sog. "Road Map" vorlegte. Allgemein wurde diese Initiative als ein wirklich gangbarer Weg zur Befriedung dieses jahrzehntealten Konfliktes gewürdigt. Leider aber ergab die darauf folgende Entwicklung, dass die Umsetzung so große Schwierigkeiten bereitete, dass momentan diese Initiative auf Eis liegt.

Wieder einmal zeigte sich damit, dass die Konfliktparteien, also die Regierung Israels und die palästinensische Führung, immer noch viel zu wenig kompromissbereit sind, um wirklich als sich gegenseitig respektierende Konfliktpartner Zug um Zug einen von außen vorgeschlagenen Friedensplan wie die "Road Map" umsetzen zu können.

Auf der einen Seite steht Israel, das sich im Lauf seiner Geschichte in mehreren Kriegen durch Eroberungen, Annexionen und Besetzungen von Nachbarterritorien kontinuierlich zu einer ökonomischen und militärischen Mittelmacht entwickelte. Daher und nicht zuletzt aufgrund seines Nuklearpotentials kann Israel inzwischen mit allen realen und vermeintlichen Bedrohungen der bevölkerungsmäßig weit größeren arabischen Staatenwelt eher gelassen umgehen. Dieser Zustand ist aber kein der regionalen Entwicklung förderlicher Frieden, sondern nur eine auf Abschreckung beruhende Koexistenz. Was die unmittelbare Nachbarschaft angeht, wird aber weiterhin von Teilen der israelischen Gesellschaft der Anspruch auf die Westbank aufrechterhalten und somit ein Palästinenserstaat abgelehnt. Die derzeitige Regierung unterstreicht diesen Anspruch seit Jahren mit ihrer völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik. Alle Ansätze für eine tragfähige Zweistaatenlösung sind daher bisher gescheitert.

Auf der anderen Seite entwickelten sich die seit über 30 Jahren besetzten Gebiete, also die Westbank und Gaza, aufgrund dieser israelischen Siedlungspolitik zu einem Gebilde, das kaum noch ein funktionierender Staat werden kann, sondern allenfalls eine Zukunft als ein von Israel abhängiges "Bantustan" hat. Die immer desolater werdende Lebenssituation der Palästinenser führt zu einer sich rapide verschärfenden Radikalisierung, die auch ihrerseits alle Kompromisslösungsansätze immer wieder zunichte macht. Die nach dem Oslo-Prozess sich anfangs durchaus positiv entwickelnde palästinensische Selbstverwaltung zeigt inzwischen alle typischen Merkmale eines "failed state". Die menschenverachtenden Selbstmordattentate der zweiten Intifada werden zu Recht scharf verurteilt, isolieren die Palästinenser international immer mehr und diskreditieren zunehmend ihre berechtigten Anliegen. Die meist unschuldigen Israelischen Opfer führen in Israel verständlicherweise zu weiteren Verhärtungen, dann leider aber zu noch brutalerem Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte und damit zu neuen Opfern auf der palästinensischen Seite.

Was nötig ist, um diese Spirale der Gewalt zu stoppen, ist ein fundamentales Umdenken in beiden Gesellschaften, was oft schmerzhaft sein wird und lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Es ist somit zu begrüßen, dass unabhängig von den offiziellen Führungseliten der so unterschiedlichen Konfliktpartner immer mehr Menschen auf beiden Seiten und zunehmend auch gemeinsam über alternative Lösungsversuche nachdenken.

Die kürzlich vorgestellte Friedensinitiative von Jossi Beilin und Jasser Abed Rabbo, die mit Unterstützung der Schweizer Regierung entstand, ist ein beachtenswerter Neuansatz aus der Mitte der Zivilgesellschaften beider Länder. Das "Genfer Abkommen" ist daher vollauf zu begrüßen und zu unterstützen. Natürlich kann es die notwendigen offiziellen Verhandlungen nicht ersetzen. Die darin festgelegten Prinzipien und Lösungsansätze können aber eine gute Grundlage für eine Wiederaufnahme der Umsetzung und Weiterentwicklung der festgefahrenen "Road Map" sein.

Die Ablehnung dieser Initiative durch Teile des israelischen Establishments sowie durch radikale palästinensische Organisationen sollte die Initiatoren und Unterstützer nicht irritieren. Wenn die Vertreter der meist unrealistischen Maximalforderungen auf beiden Seiten Kritik üben, zeigt dies nur, dass mutige Lösungsansätze vorgeschlagen wurden, zu denen die Hardliner beider Seiten bisher nicht bereit waren. Es gibt aber ermutigende Hinweise darauf, dass die Zivilgesellschaften auf beiden Seiten zunehmend bereit sind, auch schmerzhafte Kompromisse zu akzeptieren, um endlich den Frieden zu erreichen.

Die Initiatoren des "Genfer Abkommens" sind nach Deutschland eingeladen. Bundesregierung und Bundestag werden ihre Initiative bei ihrem Besuch Mitte Januar gebührend würdigen.