Gernot Erler erwartet Impulse für Irak-Politik. Interview im DeutschlandRadio, 3. November 2004

Gernot Erler erwartet Impulse für Irak-Politik

Wuttke: Gernot Erler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Einen schönen guten Morgen.

Erler: Guten Morgen Frau Wuttke.

Wuttke: War das für Sie eine lange Nacht oder wird es für Sie erst richtig spannend, wenn der Sieger fest steht?

Erler: Es ist eine Nacht, die sich unterscheidet von denen vor vier oder acht Jahren. Ich finde, es ist nicht so spannend. Das liegt vielleicht auch daran, dass eine gewisse, gar nicht so leicht erklärbare Gelassenheit in Deutschland und auch in Europa - so beobachte ich das jedenfalls - an diesem Wahltag vorherrscht. Es gibt nicht dieses Fiebern für den einen oder für den anderen Kandidaten. Das mag in Amerika anders sein.

Wuttke: Beschäftigen wir uns vielleicht mit dem Thema Außenpolitik. Der Wahlkampf in den USA ist selten so stark von diesem Feld geprägt worden. Nun weiß man aber auch: John Kerry - würde er Präsident der Vereinigten Staaten werden - hätte nur einen begrenzten Handlungsspielraum zum Beispiel im Irak im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Welche Szenarien haben Sie für die amerikanische Außenpolitik durchgespielt, je nachdem ob der Demokrat gewählt wird oder George Bush bleibt?

Erler: Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass die Bandbreite der Möglichkeiten und der Varianten begrenzt ist. Aber trotzdem fällt natürlich auf, dass gerade in diesem Feld doch Unterschiede da sind. Wir haben von John Kerry gehört, dass er größeren Wert auf Dialog mit den Verbündeten, auf gemeinsame Überlegungen für die Zukunft nicht nur des Irak, sondern der ganzen Region legen würde. Das kommt sicher europäischen Ansätzen entgegen. Ich denke nur an dieses Konzept des so genannten "Broader Middle East", also einfach zu sagen, wir brauchen ein Gesamtkonzept für diese große Nahost-Region inklusive Irak, inklusive der arabischen Staaten und müssen versuchen, auch mit Amerika gemeinsam hier ein Konzept zu entwickeln. Es sieht so aus, dass Kerry das aufgreifen würde, stärker als es bisher Bush gemacht hat. Kerry hat ja selber die Idee einer Irak-Konferenz für die Zukunft dieses Landes in die Welt gesetzt. Das klingt so, als würde er da auch hören wollen, was eigentlich die Verbündeten denken. Das ist eigentlich ein wichtiger Unterschied. Bush hat immer wieder die Eigenständigkeit amerikanischer Entscheidungen betont, er hat es ja auch so gemacht. Er hat auch entschieden, wenn die Weltmeinung in eine andere Richtung gegangen ist, wenn die UNO anders entschieden hat und das sind doch nicht ganz unbedeutende Unterschiede.

Wuttke: Nun muss man natürlich abwarten, wer der Sieger sein wird, aber selbst wenn es John Kerry würde, dann steht natürlich ein republikanisch geprägtes Repräsentantenhaus dem ein oder anderen Plan entgegen. Aber wie immer diese Wahl auch ausgeht, Herr Erler, in welche internationalen Politikfelder wird Ihrer Meinung nach schnell wieder Bewegung kommen, sobald ein Sieger fest steht?

Erler: Zunächst mal wird sich doch alles weiterhin um den Irak drehen. Das hängt schon alleine damit zusammen, dass ja für Januar dieses Jahres Wahlen vorgesehen sind und sich hier vor allem die amerikanische Seite aber auch die Übergangsregierung im Irak selber so fest gelegt haben, so fest halten an dieser Idee trotz der prekären Sicherheitslage, dass uns ganz automatisch diese Frage in den nächsten Wochen, ob diese Wahlen dann nun wirklich statt finden können, beschäftigen wird. Insofern wird der Fokus, die Prioritätensetzung weiterhin auf dieser Region liegen. Dann haben wir natürlich diese völlig unsichere Situation im Nahen Osten. Niemand weiß, wie sich das mit der Krankheit von Arafat weiter entwickeln wird. Aber es ist durchaus denkbar und das gehört ja zu dieser Großregion dazu, dass auch hier von Amerika erwartet wird, die Gunst der Stunde zu nutzen, nämlich hier vielleicht doch wieder ein Gespräch in Gang zu setzen und irgendeinen Fortschritt im Sinne dieser Road Map, die als Plan für einen künftigen Frieden im Nahost-Thema vorhanden ist. Das wird die Weltpolitik in den nächsten Wochen und Monaten nach meiner Einschätzung prägen.

Wuttke: Was bedeutet das für Europa, für die Bundesregierung?

Erler : Das bedeutet für die Bundesregierung, dass sie gute Gründe hat auf einen Präsidenten zu setzen, der diese Themen aufgreift. Es ist ja immer so, dass - selbst wenn ein Präsident weiter macht - eine ganze Weile so etwas wie eine Ruhepause in der amerikanischen Politik eintritt. Aber ich glaube, dass weder ein Präsident Kerry, noch ein Präsident Bush eine lange Zeit hätte, um einfach diese Fermate von Weltpolitik wirklich durchzuhalten, die üblich ist nach einer Wahl in Amerika, in Washington. Insofern erwarten wir eigentlich, dass schnell Aktivitäten bei diesen beiden Feldern von Amerika kommen, egal ob es schon eine komplette Regierungsbildung gibt oder nicht.