Mögliche Folgen nach einem Tod des Palästinenserpräsidenten Arafats. Deutschlandfunk-Interview, 5. November 2004

Mögliche Folgen nach dem Tod des Palästinenserpräsidenten Arafats

Elke Durak: Jassir Arafat, der Palästinenser-Präsident wird am Leben gehalten, politisch aber scheint er bereits tot zu sein. Die Verwirrung um seinen Gesundheitszustand hat gestern lange angehalten, aber es gibt nichts Neues zu berichten, er liegt im Koma, wird künstlich am Leben gehalten. Welche Folgen nun sind nach seinem Tod für den Nahen Osten zu erwarten? Wie muss die Politik in Deutschland, in Europa darauf reagieren? Die israelische Regierung hat sich ja bisher relativ zurückgehalten, aber doch bereit gezeigt, lässt offensichtlich der palästinensischen Führung Zeit, die sie dringend braucht, um die Machtnachfolge zu regeln und kein Machtvakuum zu zulassen. Die Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen ist ja immer wieder beschworen worden. Die Frage ist also für Europa, für Deutschland, wie kann jetzt im Augenblick und vor allen Dingen auch künftig geholfen werden? Welches ist denn nun der richtige, der erfolgreichste Weg, die Krise im Nahen Osten zu lösen? Am Telefon sind wir verbunden mit Gernot Erler, Fraktionsvize der SPD im Bundestag und außenpolitischer Experte. Herr Erler, Israel und die Palästinenser brauchen offensichtlich Hilfe von außen, allein können sie sich aus ihrer Umklammerung nicht befreien. Das hat ja die Vergangenheit gezeigt. Was kann zunächst mal Deutschland, was können wir akut tun?

Gernot Erler: Ich glaube, dass die Aufgabe in zwei Dingen jetzt liegt: Das eine ist, diese ganz schwierige Übergangsphase mit Einfühlungsvermögen zu begleiten. Das heißt, anzuerkennen, dass hier wirklich ein Symbol gewesen ist, das wie kein anderes in dieser Person und die ganzen Leiden aber auch die ganzen Hoffnungen des palästinensischen Volkes verkörpert hat, und dass man deswegen Verständnis dafür aufbringen muss, dass jetzt die ganze Frage, wie diese Ära Arafat zu Ende geht und wie eine neue Führung geschaffen wird, dass die akzeptiert werden muss. Auch wenn man vielleicht ungeduldig wird und es sehr wichtig ist, wie diese konstitutive Phase einer neuen Epoche, anders würde ich es nicht nennen, jetzt organisiert wird. Das ist die erste Aufgabe. Die zweite ist natürlich: Wir wissen, dass so eine neue Epoche, und die beginnt ja zweifellos, immer einen gewissen konstitutiven Charakter hat. Das heißt, das was am Anfang passiert, kann die ganze Epoche, und das heißt jetzt praktisch die Nach-Arafat-Epoche, prägen. Insofern wäre es von außerordentlicher Wichtigkeit im richtigen Moment dann einen Versuch zu machen, eine neue Führung einzubinden in einen neuen Friedensprozess, der natürlich auf der Basis der erarbeiteten Pläne, dieser berühmten Roadmap zum Nahen Osten beruhen muss, der aber vor allen Dingen auch sehr konkret von Israel ausgehen müsste, aber eben auch gerade von George W. Bush. Jeder weiß, dass ohne den amerikanischen Präsidenten ein solcher Friedensprozess nicht möglich ist und dass ohne das, was er macht, auch praktisch Israel nichts tut. Und da wir ja nun gerade einen wiedergewählten Präsidenten haben, könnte es sogar sein, gestern gab es sogar in Amerika schon Andeutungen dafür, dass der gewillt sein könnte, einen solchen neuen Anlauf zu machen.

Durak: Die amerikanische außenpolitische Wahlpause ist ja beendet, Sie haben es gesagt. Woraus entnehmen Sie denn, dass George Bush außer aus dieser mehr oder weniger kurzen Ankündigung, dass George Bush sich vielleicht doch wieder dem Nahen Osten zuwendet? Der Nahe Osten ist ja auch ein Schlüssel im Anti-Terror-Programm.

Erler: Gestern wurde der wiedergewählte Präsident mit dem Tod Arafats konfrontiert, obwohl das noch gar nicht offiziell war, und da gab es eben eine solche Andeutung und es ergibt sich auch aus der Analyse der amerikanischen Interessen. Es wurde dort auch in letzter Zeit gerade von Bush immer wieder gesagt, dass Arafat ein Teil des Problems ist. Er hat sich ja auch standhaft geweigert, in seiner ganzen ersten Regierungszeit auch nur einmal diesem entscheidenden Palästinenserführer die Hand zu drücken und ihm zu begegnen. Daraus ergibt sich fast logisch, dass jetzt Amerika in der Pflicht ist, wenn Arafat nicht mehr da ist, einen neuen Anlauf zu machen, denn jetzt kann ja dieses Argument, dass Arafat im Wege steht, nicht mehr gelten.

Durak: Ist es nicht irgendwie auch bitter für das palästinensische Volk just in dem Augenblick, wo ihr Führer, ihr Idol stirbt und nicht mehr politisch aktiv sein kann, sich möglicherweise eine Lösung ihres Problems auftut?

Erler: Deswegen ist der erste Teil auch so wichtig, dass man jetzt nicht eilt, dass man jetzt Ruhe bewahrt, dass man jetzt ein bisschen diese Prozesse begleitet mit Einfühlungsvermögen, die jetzt in den nächsten Tagen, wenn nicht sogar nächsten Wochen bevor stehen, denn man muss einfach Rücksicht nehmen auf diese Gefühle des palästinensischen Volkes, dass wirklich schon viel gelitten hat, dass aber auch schon einiges Leid selber produziert hat, dass man jetzt einfach Zeit gibt, dass diese neue Ära begründet wird. Wir sind natürlich sehr daran interessiert, dass jetzt eine stabile, eine handlungsfähige, neue Führung aufgebaut wird. Das wird gar nicht so einfach, weil im Grunde genommen die Interessengruppen, die Kräftegruppen in der palästinensischen Gesellschaft sehr stark zersplittert sind.

Durak: Welche Kräfte gehören denn Ihrer Meinung nach nicht hinein, wenn es eine stabile Führung sein soll?

Erler: Das ist jetzt, glaube ich, nicht der richtige Moment, um von außen Ratschläge zu geben, aber wir haben eigentlich eine gewisse Hoffnung, dass die erfahrenen Männer, die jetzt bereit stehen, auch wenn sie formal nicht automatisch in die Nachfolge von Arafat rücken, zum Beispiel Machmut Abbas, einen größeren Einfluss bekommen können. Er wäre wahrscheinlich jemand, mit dem man gut verhandeln könnte. Das ist jetzt kein Ratschlag, dass ist nur eine der Möglichkeiten, die Hoffnung machen können.

Durak: Eine ganze palästinensische Generation ist ja aufgewachsen mit dem Bild des Präsidenten, dann ihres Volkes, ist geprägt durch Arafat, verehrt ihn trotz aller Widersprüche und weist - das haben wir heute morgen aus einer Reportage aus Bethlehem gehört - weist eigentlich den Personen neben Arafat die Schuld zu für das, was sich sozusagen nicht lösen lässt. Ist es denn wirklich ausgeschlossen, dass diese jungen Leute mit der neuen Führung, zu der sie dann vielleicht kein Vertrauen haben werden, gegen diese neue Führung kämpfen wollen?

Erler: Man kann das tatsächlich nicht ausschließen, und deswegen ist es wirklich ganz wichtig, dass jetzt diese Übergangsphase gelingt. Ich glaube auch, dass die Ereignisse in Percy bei Paris so zu verstehen sind, dass es hier einen sehr, sehr engen Kontakt gibt und dass es einen gemeinsamen Konsens darüber gibt, dass jetzt Unruhen vermieden werden müssen, dass ein ruhiger Übergang in eine neue Führung gesucht wird. Da kann man nur sagen, dass kann man nur unterstützen. Es ist völlig klar, ein ganzes Volk verliert hier das Symbol für die eigene Existenz und dafür muss man auch Verständnis haben, dass da große Trauer ist. Arafat konnte praktisch alles machen, auch jeden Fehler machen, ihm wurde alles verziehen. Man kann sicher sein, dass das bei einer neuen Führung nicht so wäre und das ist natürlich dann auch der mögliche Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen.

Durak: Und auch ein Hinweis darauf, dass es vielleicht demokratischer zu gehen könnte in der Autonomiebehörde. Das ist ja eine Forderung, die ja auch von außen an die Palästinenser immer wieder herangetragen wurde.

Erler: Gerade die Tatsache, dass eine neue Führung nicht so frei wäre, auch Fehler zu machen, oder auch andere Interessen als die des palästinensischen Volkes zu vertreten, ohne dass das geahndet wird. Gerade das könnte die Grundlage dafür sein, dass die Kontrolle über eine künftige Führung viel größer ist, als das bei Arafat der Fall war.

Durak: In welchen Bereichen hat denn Deutschland eigentlich die besten Kontakte und Möglichkeiten auch zu helfen?

Erler: Ich glaube, dass in Deutschland vor allen Dingen in der Person des Außenministers Joschka Fischer am ehesten Potentiale der Vermittlung da sind. Es gibt ganz wenige Menschen auf der Welt, oder Politiker auf der Welt, die in der Lage wären, im Falle eines Falles auch eine Mittlerrolle zu übernehmen. Beim deutschen Außenminister ist das der Fall, weil er das Vertrauen sowohl der israelischen Führung, als auch der palästinensischen bisher bewahren konnte, und da geht es darum, auf die Stunde zu warten, wo eine solche Funktion gebraucht wird. Ansonsten wissen natürlich die Palästinenser, was die EU, und was gerade auch mit den Mitteln von Deutschland an finanzieller Unterstützung gewährleistet worden ist. Das spielt natürlich auch eine Rolle.