Wahlen in der Ukraine. Interview mit Gernot Erler im WDR 5 Morgenecho, 2. November 2004

Wahlen in der Ukraine

Moderator (Achim Schmitz-Forte): Gernot Erler ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Fachmann für Außenpolitik. Guten Morgen, Herr Erler.

Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie.

Moderator: Herr Erler, diese Wahl in der Ukraine wurde massiv von Wladimir Putin aus Moskau beeinflusst. Er hat seinen Kandidaten Janukowitsch massiv unterstützt. Wird die Bundesregierung das jetzt offen und klar kritisieren?

Erler: Ich rechne nicht damit, dass die Bundesregierung sich in irgendeiner Weise dazu äußert, aber es ist natürlich auf der ganzen Welt aufgefallen, dass es hier ein sehr starkes Interesse von Moskau an einem Sieg Viktor Janukowitschs gibt, der als Moskau-treu gilt und der eben vor allem die Ostukraine vertritt, hier, wo es sehr viele russischsprachige Bürger gibt und der in seinem Programm hat, Russisch zur zweiten Amtssprache in der Ukraine zu erheben und womöglich sogar eine doppelte Staatsbürgerschaft zwischen Russland und der Ukraine einzurichten. Das ist natürlich ein sehr gefährliches Vorgehen von Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten, denn das Gefährliche an der Situation jetzt in der Ukraine ist, dass wir praktisch eine Teilung des Landes haben. Im Osten sollen bis zu 90 Prozent Janukowitsch, den Kandidaten Moskaus, gewählt haben, im Westen entsprechend hohe Prozentzahlen den Oppositionellen Viktor Juschtschenko und das ist natürlich eine schwere Hypothek jetzt für die nächsten drei Wochen und auch für die Zukunft der Ukraine insgesamt.

Moderator: Sie sagen so ganz selbstverständlich, dass die Bundesregierung die Einmischung aus Moskau, die Einmischung Wladimir Putins, nicht kritisieren wird. Wieso denn nicht?

Erler: Na ja, es ist im Westen auch üblich, dass Staatschefs eingeladen werden von den jeweiligen Parteien und auch auf diese Weise präsentiert werden im Wahlkampf.

Moderator: Aber Moskau hat massiv versucht, diese Wahl zu beeinflussen, Herr Erler. Das war doch nicht einfach eine Einladung.

Erler: Das ist natürlich formal so gewesen. Dass es eine Einladung des Janukowitsch-Lagers gewesen ist und das war eine Art und Weise, die eben, wie ich gesagt habe, in der spezifischen Situation höchst gefährlich ist, aber solche Nutzung von prominenten ausländischen Besuchern kommt natürlich bei westlichen Wahlkämpfen auch vor.

Moderator: Das heißt, dass die Bundesregierung sich hier auf eine formale Darstellung
zurückzieht, die dem entspricht, was Janukowitsch behauptet?

Erler: Moment mal, ich habe gar nicht davon gesprochen, ich habe auch gar nicht Gelegenheit gehabt, die Bundesregierung zur fragen, ob sie hier irgendetwas tun wird. Ich rechne nur nicht damit, eben, weil wir zwar sehr große Sorgen haben, ich auch diese Sorgen habe, aber es jetzt hier nicht üblich wäre, einen solchen Wahlkampfauftritt jetzt von außen in irgendeiner Weise zu bewerten.

Moderator: Gerade diejenigen, die den als pro westlich geltenden Kandidaten Juschtschenko unterstützen, beklagen, dass die Europäische Union dieses Lager in der Ukraine nicht unterstützen würde, nämlich dadurch, dass die Ukraine keine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union bekommt. Herr Erler, ist das eine falsche Politik?

Erler: Nein. Zunächst einmal ist es ja so, dass Beitrittsperspektiven nicht dazu da sind, irgendwelche politischen Kräfte in irgendeinem Land zu unterstützen, sondern das sind nun wirklich grundsätzliche Überlegungen der Europäischen Union über die eigene Zukunft. Und da gibt es eine spezifische Strategie, die sich „neue Nachbarschaft" für vier osteuropäische und zehn Mittelmeerländer nennt. Diese „neue Nachbarschaft" richtet sich in sehr starker Weise an die Ukraine, enthält sehr interessante Möglichkeiten von vertiefter Zusammenarbeit. Es gibt da einen Aktionsplan, der ausgearbeitet wird mit der Ukraine, der dazu führen soll, dass im Bereich von Wirtschaft und Binnenmarkt, aber auch von Hilfen bei der Reform erhebliche Leistungen auch von der Europäischen Union kommen. Es enthält aber ausdrücklich eben für Russland, für Weißrussland, für Moldawien und eben für die Ukraine keine Beitrittsperspektive.

Moderator: Erstaunlich wieder, Herr Erler, Sie sagen es sei nicht Aufgabe der Europäischen Union, die Innenpolitik anderer Länder zu beeinflussen. Nun wird gerade im Fall Türkei , nun wird gerade im Fall Beitrittsperspektive für die Staaten im Balkan genau damit argumentiert, dass die Europäische Union damit ja dazu beitrage, diese Region zu stabilisieren, Reformen zu unterstützen.

Erler: Aber trotzdem muss man vielleicht mal feststellen, dass in der Türkeipolitik seit 41 Jahren über die Beitrittsperspektive von der Türkei geredet wird. Da haben wir sehr viele Regierungen gesehen. Man kann also nicht sagen, dass diese Strategie der EU, der Annäherung der Türkei an europäische Werte und dann letztlich an dem Beitritt irgendetwas mit einer bestimmten Regierung zu tun hat. Wir sind sehr erfreut darüber, dass die türkische Regierung, die jetzige türkische Regierung, so riesige Anstrengungen zur Veränderung, zur Reform gemacht hat. Das ist sicherlich auch ein ganz entscheidender Punkt gewesen, jetzt, zu diesem Zeitpunkt zu sagen: Wir sind bereit, Verhandlungen aufzunehmen. Das ist ja die Empfehlung der Kommission. Aber letztendlich kann das ja nicht von einer aktuellen Entwicklung in einem Land abhängen. Also, andere osteuropäische Länder, die jetzt am 1. Mai der EU beigetreten sind, die hatten sehr unterschiedliche Regierungen in den letzten zwölf Jahren, und das ist nicht entscheidend dafür, ob eine Beitrittsperspektive ausgesprochen wird, oder nicht.

Moderator: Gernot Erler war der stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Herzlichen Dank.