Militarisierung der russischen Politik
Berliner Zeitung (BZ): Herr Erler, der russische Präsident Wladimir Putin hat vor kurzem überraschend die Regierung umgebildet. Ist das ein Zeichen für einen Kurswechsel?
Erler: Ich erwarte weder in der nationalen noch in der internationalen Politik Russlands einen Kurswechsel. Eher zeichnet sich ab, dass wir jetzt Kontinuität in der Regierungsarbeit haben werden - auch, was die Personen angeht.
BZ: Es wird aber spekuliert, dass Ministerpräsident Michail Fradkow nur ein Übergangskandidat ist.
Erler: Übergangslösungen erweisen sich manchmal als sehr haltbar. Auch Putin selbst galt einmal als Übergangslösung. Die Regierung in Russland ist ohnehin in einem so starken Maß Ausrührungsorgan des Präsidenten, dass es in der Hand von Putin selbst liegt, die Politik zu gestalten.
BZ: Aber Putin selbst sendet Signale aus, die auf einen Kurswechsel deuten. Er besucht demonstrativ ein Manöver der Nordmeerflotte, er lässt Boden-Luft-Raketen in Weißrussland stationieren. Ist das eine neue Konfliktbereitschaft gegenüber dem Westen?
Erler: Es ist schwer zu beurteilen, was Wahlkampfmanöver sind und was langfristige Festlegungen. Vieles, was jetzt geschieht, ist einfach nur Getöse. Auch hier geht es um Wahlbeteiligung.
BZ: Hat die im Irak zustande gekommene Partnerschaft - manche nannten sie sogar eine Achse - zwischen Russland, Deutschland und Frankreich eine Zukunft?
Erler: Eine Achse hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Es gibt eine erfreuliche Kongruenz zwischen den Zielen in der internationalen Politik. Dazu zähle ich die Vorliebe für multilaterale Vorgehensweisen, die hohe Achtung der Vereinten Nationen, das gemeinsame Interesse an einer Friedenslösung im Nahen Osten und die Kooperation im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
BZ: Diesen Kampf nutzt Putin, um mit mindestens fragwürdigen Methoden in Tschetschenien vorzugehen.
Erler: Putin hat es geschafft, die internationale Kritik an seiner Politik in Tschetschenien nach dem 11. September entscheidend zu reduzieren. Der Preis für Russlands Kooperation war die Anerkennung des Westens, dass auch in Tschetschenien zum Teil gegen den internationalen Terrorismus gekämpft wird. Das stimmt auch, darf aber nicht dazu führen, dass wir Putins Vorgehen nicht mehr kritisieren dürfen. Im Gegenteil: Wir müssen schon sagen, dass wir besorgt sind.
BZ: Ist Russland denn eine Demokratie?
Erler: Putin verwendet einen anderen Begriff. Er spricht von der „Diktatur des Rechts". Das mag befremdlich klingen. Aber unbestritten ist, dass es ihm gelungen ist, Russland zu stabilisieren. Das Land ist wieder verlässlich und berechenbar. Das ist zweifellos ein Fortschritt und in unserem Interesse.
BZ: Muss man um dieses Fortschritts willen die Augen verschließen vor den offenkundigen Rückschritten?
Erler: Der kritische Dialog darf nicht aufhören. An erster Stelle steht die Frage der Demokratie, die sich nach den Duma-Wahlen vom Dezember neu stellt. Russland hatte auch schon davor kein ausgeprägtes pluralistisches Parteiensystem. Doch jetzt kam es zu einem gefährlichen Rückschritt. Es ist Besorgnis erregend, wie die Kreml-Partei „Einiges Russland" von ihrer Zweidrittel-Mehrheit überreichlich Gebrauch macht. Die Bedeutung der Opposition ist ganz bewusst auf Null reduziert worden. Weder in der Duma noch außerhalb des Parlaments gibt es noch funktionierende oppositionelle Parteien. Das muss Anlass für kritische Fragen an Putin sein. Wir sorgen uns aber auch, dass es nur eine Quelle für die Besetzung der höchsten Posten gibt: die Sicherheitsorgane. Man kann durchaus von einer Militarisierung der russischen Politik sprechen.
BZ: Durch Putin ist Russland selbstbewusster geworden. Kann der Westen damit umgehen?
Erler: Das ist ein Vorteil. Russland ist dann ein schwieriger Partner, wenn es frustriert ist, wenn es von den Schalthebeln der internationalen Politik abgedrängt wird. Das größte Verdienst Putins ist, dass er sein Land nach dem 11. September wieder zu einem wertvollen Partner in der internationalen Politik gemacht hat. Er hat Russland auf Augenhöhe mit den USA und der EU gebracht. Dazu kommt die ökonomische Stabilisierung. Das ist gut, weil es einfacher ist mit einem Partner umzugehen, der weder frustriert ist, noch sich gedemütigt fühlt.
Das Gespräch führten Damir Fras und Frank Herold