Presseerklärung vom 15. März 2004

Putin jetzt mit der vollen Verantwortung für alles

Zum Ergebnis der Präsidentenwahl in Russland erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, Gernot Erler:

Das Ergebnis spiegelt den Wählerwillen. Die Menschen in Russland setzen darauf, dass Wladimir Putin weiter für Wachstum in der Wirtschaft, für Reallohnzuwächse und ausgezahlte Renten sorgt. Sie finden richtig, dass er die Zentralregierung stärkt, seine Machtbefugnisse ausbaut und im Ergebnis die volle Verantwortung für alles übernimmt. Die Mehrheit der Wähler vertraut dieser einzigartigen Machtkonzentration mehr als jeder Machtbalance mit unsicherem Ausgang.

An diesem Grundinteresse der Wählermehrheit scheiterten bereits die Konkurrenten der Präsidenten-Partei in der Duma-Wahl und jetzt die fünf Mitbewerber für das Präsidentenamt. Die Unterlegenen werden außerhalb Russlands Gehör finden, wenn sie auf ihre Chancenlosigkeit bei der Auseinandersetzung mit den "administrativen Ressourcen" verweisen und ihren in unfairer Weise eingeschränkten Medienzugang beklagen werden. Aber Tatsache bleibt: Selbst bei noch so regelkonformen Rahmenbedingungen hätten sie nie den Wahlsieg Putins gefährden können.

Der russische Präsident startet in seine zweite und nach der Verfassung letzte Amtszeit mit einer politischen Gestaltungsmacht, die ihresgleichen sucht: Hinter sich mehr als 70 Prozent der Wähler, neben sich eine treu ergebene Duma und eine neue, handverlesene Regierung, die wie der Präsident selbst auf die eingeschüchterten Vertreter wirtschaftlicher Macht kaum noch Rücksicht nehmen muss, und um sich herum eine internationale Staatenwelt, die zwar weiterhin kritische Fragen zu Demokratie, Pressefreiheit und Tschetschenien artikulieren, ihr Interesse an einer strategischen Partnerschaft mit der wirtschaftlich wachsenden und rohstoffreichen Russischen Föderation aber nicht infrage stellen wird.

Wladimir Putin weiß, dass jetzt alle fragen, wie er diese Gestaltungsmacht nutzen will. Seine ersten Antworten liegen vor: Weiter gute Zusammenarbeit mit Europa, mehr Aufmerksamkeit für die asiatischen Nachbarn, das Mehrparteiensystem verteidigen, die Zivilgesellschaft stärken und die Pressefreiheit ausbauen. Wenn der Wahlsonntag eine Präsidentenmacht geschaffen hat, die diese politischen Ziele auch durchsetzen kann, werden es Putins Kritiker in Zukunft noch schwerer haben.