Presseerklärung vom 16. März 2004

Erler gegen Grundgesetzänderung zu Bundeswehreinsätzen

Klaus Remme: Kaum überraschend war das Abschneiden bei den russischen Präsidentschaftswahlen für Amtsinhaber Wladimir Putin. Alles war orchestriert und nach einer Mediencampagne, die nur auf den Präsidenten zugeschnitten war, waren die wenigen Konkurrenten, die es auf dem Papier gab, weitgehend chancenlos. 71 Prozent Zustimmung bei über 60 Prozent Wahlbeteiligung, so war es geplant. - Am Telefon ist nun Gernot Erler, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Erler, Sie kennen sich bei den Verhältnissen in Russland aus. Was wiegt schwerer bei diesem Sieg, der Sieg selbst oder die Art und Weise, wie er zu Stande kam?

Gernot Erler: Ich glaube, dass das wichtigste ist, dass Putin eine zweite Amtszeit mit einer doch relativ hohen Wahlbeteiligung - denn darauf hat sich zum Schluss die ganze Aufmerksamkeit konzentriert - erringen konnte, mit einer kleinen Überraschung, dass doch die Gegenkandidaten etwas besser abgeschnitten hatten als die Prognosen gewesen sind. Aber jetzt gibt es nur noch einen Verantwortlichen für die ganze russische Außen- und Innenpolitik und der heißt Wladimir Putin. Er kann in seiner zweiten Amtszeit nicht mehr auf andere Mehrheitsverhältnisse in der Duma verweisen. Er hat alle Fäden in der Hand mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der Duma, von der seine Partei einheitliches Russland auch offensichtlich sehr ausgiebig Gebrauch macht. Also insofern ist dieses Land jetzt völlig auf diese eine Person zugeschnitten.

Remme: Wenn Sie selbst schon sagen, dass sich am Ende alles nur noch auf die Wahlbeteiligung konzentriert hat, unterstreicht das nicht die demokratischen Defizite?

Erler: Solche Defizite gibt es ganz offensichtlich. Sie liegen natürlich nicht in den Wahlergebnissen; sie liegen eher in der Art und Weise, wie sie zu Stande kommen. Das war bei der Duma so, wo die internationalen Beobachter ja festgestellt haben, dass der Wahltag in Ordnung war, dass aber die Vorgeschichte nicht fair gelaufen ist, und auch in dem Präsidentschaftswahlkampf war es so, dass der Amtsinhaber sich geweigert hat, im Fernsehen mit den anderen Kandidaten zu reden, zu diskutieren, dass es eine Prozedur gab, die schwere Behinderungen enthielt für die anderen Kandidaten bei der Zulassung zur Wahl. Sie standen immer unter dem Druck, dass vielleicht doch noch festgestellt wurde, dass ihre Unterstützungsunterschriften nicht in Ordnung waren, so dass man sagen konnte, auch was die Presse angeht und die Allgegenwärtigkeit des Präsidenten in den vor allen Dingen elektronischen Medien, dass auch hier eine starke Begünstigung des Kandidaten Putin stattgefunden hat.

Remme: Ist es schlicht so, dass der Westen in Sachen Moskau oder Russland zwischen Stabilität und Demokratie wählen muss und ersteres als wichtiger betrachtet?

Erler: Man kann es so ausdrücken. Der Westen hat auf jeden Fall ein großes Interesse daran, eine enge Partnerschaft mit Putin zu halten, und er hat das auch gleich nach seiner Wahl wieder bestätigt. Sein erster Satz über seine künftige Politik war, dass er weiter die enge Zusammenarbeit mit Europa pflegen will. Er hat auch mit einem Auge nach Asien geblickt. Aber das ist natürlich das große Angebot, was er hat. Er führt Russland in die Richtung Europas, auch in die Richtung europäischer Denkweisen und er arbeitet in der internationalen Politik ganz eng mit Europa zusammen: beim Kampf gegen den Terrorismus, bei der Betrachtung der Rolle der Vereinten Nationen, bei regionalen Konflikten etwa im Nahen Osten, so dass er dadurch eigentlich ein unverzichtbarer Partner des Westens geworden ist.

Remme: Kommen wir auf das andere Thema, das die innenpolitische Diskussion, auch die außenpolitische bewegt, nämlich die Gefahr, die uns durch den möglicherweise erstarkten islamistischen Terror droht nach dem Anschlag in Madrid am vergangenen Donnerstag. In den vergangenen Tagen wurde mitunter argumentiert, Deutschland sei aufgrund seines Widerstandes gegen den Irak-Krieg weniger bedroht. Überzeugt Sie das?

Erler: Nein, das überzeugt mich nicht und offensichtlich auch die Bundesregierung nicht. Die Anschläge in Madrid bedeuten nicht etwa, dass Deutschland sich auf die Tribüne setzen und sagen kann, seht ihr, das haben sie davon und wir nicht, sondern das ist eine Bedrohung, die für alle europäischen Länder, für die ganze westliche Welt gilt, und so hat auch die Bundesregierung reagiert. Was ich sehr erschreckend finde ist, dass die bisherige konservative Regierung in Spanien aus durchsichtigen taktischen, wahltaktischen Gründen offensichtlich sogar die ganze Weltöffentlichkeit erst in eine falsche Richtung orientiert hat und erst viel zu spät mit den tatsächlichen Hinweisen auf El Kaida rausgerückt ist. Das ist eigentlich wirklich unverantwortlich gewesen und das muss einen erschrecken, dass bei einem solchen Anschlag solche taktischen Gesichtspunkte wichtiger sind, als die ganze Weltöffentlichkeit aufzuklären über das, was hier offensichtlich passiert ist.

Remme: Zeigt die Entwicklung seit dem 11. September 2001, dass George Bush mit seiner Art, den Terror zu bekämpfen, gescheitert ist?

Erler: Man muss, wenn man aus der heutigen Sicht die Sache anguckt, schon sagen, dass die großen Hoffnungen, die mit dieser Militärintervention verbunden waren, was Bekämpfung des Terrorismus angeht, sich nicht erfüllt haben. Sie haben sich weder im Irak selbst erfüllt, noch in der internationalen Szene. Es hat schreckliche Anschläge danach gegeben, die beweisen, dass die terroristischen Netzwerke nach wie vor in der Lage sind, solche Anschläge durchzuführen und die ganze westliche Lebensweise zu bedrohen. Das heißt, ich glaube nicht, dass die Welt heute besser oder sicherer ist als vor dem Irak-Krieg.

Remme: Es wird über die Möglichkeit diskutiert, dass die Bundeswehr für ein Mehr an Sicherheit auch innerhalb Deutschlands in bestimmten Fällen herangezogen werden kann. Eine Grundgesetzänderung wäre die Voraussetzung. Ist das für Sie vorstellbar?

Erler: Diese ganze Diskussion geht meines Erachtens von falschen Voraussetzungen aus, jedenfalls was die betrifft, die sie jetzt betreiben. Es wird so getan, als könnte die Bundeswehr im Augenblick gar nicht in einem äußersten Notfall herangezogen werden. Aber das Grundgesetz sieht das durchaus vor, dass wirklich in einem extremen Fall von Bedrohung auch die Bundeswehr eingesetzt wird.

Remme: Damit ist aber ein kriegerischer Konflikt gemeint?

Erler: Damit ist durchaus auch ein Katastrophenfall oder ein Fall des Terrorismus gemeint. Das heißt natürlich nicht, dass sie regelmäßig zum Schutz von Gebäuden oder zu anderen polizeilichen Aufgaben herangezogen werden kann, sondern nur in einer Ausnahmesituation. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sinnvoll ist, dass man Bundeswehrsoldaten, die ja für solche polizeilichen Aufgaben nicht die gleiche Ausbildung haben wie etwa die Polizei, im Kampf gegen den Terrorismus einsetzt. Deswegen bin ich eigentlich ziemlich sicher, dass es für eine Grundgesetzänderung hier keine Mehrheit gibt.

Remme: Das war der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler, vielen Dank für das Gespräch.