Presseerklärung vom 6. Mai 2004

Frau Merkels Pirouetten in Sachen Krieg und Frieden

Zu dem Interview der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zum Thema Amerika, Europa und Irak-Krieg in der ZEIT erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Frau Merkel versucht etwas Unmögliches: Taktisches Zurückrudern weiter als volle Fahrt voraus auszugeben.

Die CDU-Vorsitzende bringt in Sachen Irak-Krieg nicht die Kraft auf zum Eingeständnis einer Fehleinschätzung. Ihre Viertel-Distanzierung vom Irak-Krieg segelt voll am Problem vorbei: Ihre Kritik erschöpft sich in der Klage, "zu großer Optimismus" hätte das militärische Eingreifen der USA begleitet. Wenn die Demokratisierung des Irak heute weiter wäre, so lautet ihre Botschaft, wäre alles in Ordnung.

SPD und Grüne haben die amerikanische Entscheidung für den Irak-Krieg aber abgelehnt, weil sie völkerrechtswidrig war, die Vereinten Nationen beiseite stieß, sich auf die unbewiesene und den Erkenntnissen der UN-Inspektoren zuwiderlaufende Behauptungen in Sachen Massenvernichtungswaffen stützte, den notwendigen Kampf gegen die Netzwerke von Al Quaida eher schwächen musste und das Risiko einer gefährlichen Destabilisierung der gesamten Nahost-Region enthielt.

Alle diese Nein-Gründe haben sich bestätigt und bleiben weiter relevant für die Politik der Bundesregierung. Zu all diesen Fragen schweigt Frau Merkel, und das wundert auch nicht. Denn sie hat die Irak-Politik der Bundesregierung immer kritisiert und abgelehnt. Die CDU-Chefin sprach vielmehr von einer "historisch falschen Entscheidung des Kanzlers" (26.1.2003) und malte die internationale Isolierung eines Deutschland ohne weitere politische Einflussmöglichkeiten an die Wand (1.1.2003). Und sie sprach sich klar für eine deutsche Beteiligung an der militärischen Intervention der Vereinigten Staaten aus - so in ihrer Rede vor der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik am 8.8.2003, wo sie wörtlich erklärte: "Wenn am Ende aber die friedliche Entwaffnung fehlschlagen und als letztes Mittel nur die angedrohten Zwangsmaßnahmen verbleiben sollten, dann befürworten wir um der internationalen Sicherheit und der Autorität der UN-Charta willen auch ein militärisches Vorgehen. Deutschland sollte sich in diesem Fall nach seinem Vermögen und in europäischer und transatlantischer Abstimmung beteiligen". Niemand konnte und hat das anders verstehen können, als dass die CDU Soldaten geschickt hätte.

Frau Merkel setzt, wenige Wochen vor der Europa-Wahl auf das Kurzzeitgedächtnis der Deutschen. Es ist schon dreist, dem Bundeskanzler die Verhinderung europäischer Einigkeit in der Irak-Frage vorzuwerfen, wenn man selber seinerzeit bekannte, bei einer CDU an der Macht "hätte Deutschland den Brief der Acht unterzeichnet", also jenes Instrument gestärkt, mit dem die Bush-Administration damals die Aufspaltung Europas zu betreiben versuchte.

Und dann hofft Frau Merkel noch, mit Desinformation von dem Irak-Debakel der Union ablenken zu können. In ihrem ZEIT-Interview setzt sie allen Ernstes die im Dezember 2003 beschlossene "Europäische Sicherheitsstrategie" mit ihrer Betonung ziviler und präventiver Konfliktlösungen mit der Bush-Doktrin des militärischen Erstschlags ("preemptive strike") gleich und erweckt den Eindruck, der Bundeskanzler habe einer solchen Doktrin zugestimmt. Die Wahrheit ist, es war gerade Deutschland, das jeden auch nur sprachlichen Bezug in dem von Solana entworfenen europäischen Strategie-Dokument zu der Erstschlags-Philosophie der von Bush genehmigten "Nationalen Sicherheits-Strategie" der USA vom September 2002 abwehrte!

Wer heute nicht imstande ist, offensichtliche Fehleinschätzungen von gestern in Fragen von Krieg und Frieden einzugestehen, wer hier entweder offenbart, dass er zwischen "preventive" und "preemtive" nicht unterscheiden kann oder in plumper Polemik dem Bundeskanzler das Gegenteil von dem unterstellt, was er mit breitester Unterstützung der Menschen in Deutschland getan hat, der sollte von jeder Verantwortung für die Zukunft unseres Landes ferngehalten werden.

Nicht wir, sondern Frau Merkel macht dies zum Wahlkampfthema.