Kein Ende des Blutvergießens in Tschetschenien in Sicht
Zum tödlichen Anschlag auf den tschetschenischen Präsidenten Kadyrow erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:
Der tödliche Anschlag auf den tschetschenischen Präsidenten Kadyrow zeigt, dass die von Moskau postulierte „Normalisierung" in Tschetschenien eher einem Wunschdenken als der Realität entspricht. Der im vergangenen Jahr mit enormem propagandistischen Aufwand in sein Amt gebrachte Kadyrow hatte vom Kreml die Aufgabe übertragen bekommen, Tschetschenien aus den Negativschlagzeilen heraus zu bringen.
Ein Stück weit schien es ihm auch gelungen zu sein. Die Nachrichten aus der Unruheprovinz wurden spärlicher. Wer jedoch geglaubt hatte, dass damit der Frieden eingekehrt sei, wurde ausgerechnet am 9. Mai, dem 59. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, eines Besseren belehrt.
Unabhängige Beobachter und Menschenrechtsorganisationen hatten erst unlängst darauf hingewiesen, dass sich die Situation in Tschetschenien für die dort lebende Bevölkerung nicht wirklich verbessert habe. Zwar hatte sich die russische Armee weitgehend aus dem Alltagsleben der Tschetschenen zurückgezogen. Die Schmutzarbeit übernahmen jetzt andere, nicht zuletzt die dem tschetschenischen Präsidenten unterstellten Einheiten. Nach wie vor wurden unschuldige Menschen verhaftet, verschleppt und ermordet. Von der Rückkehr zu rechtsstaatlichen Verhältnissen war und ist Tschetschenien meilenweit entfernt.
Von Kadyrows Tod profitiert niemand: Nicht die Bürgerinnen und Bürger, die einfach nur in Frieden leben wollen und die jetzt wieder Vergeltungsmaßnahmen seitens der russischen Armee zu befürchten haben, aber auch nicht die nach mehr Unabhängigkeit und Autonomie strebenden Kräfte. Statt dessen droht erneut eine Eskalation der Gewalt, solange bis eine politische Lösung gefunden ist.