Erler mit neuer Irak-Resolution zufrieden. Interview mit Gernot Erler im Deutschlandfunk, 8. Juni 2004

Erler mit neuer Irak-Resolution zufrieden

Friedbert Meurer: In gut drei Wochen soll der Irak wieder souverän werden. Dann wird aus einer Übergangsregierung ein Regierungsrat und das Land gilt als nicht mehr besetzt. Im UNO-Sicherheitsrat ist die neue Irak-Resolution praktisch unter Dach und Fach. Heute Abend soll sie verabschiedet werden, auch mit Hilfe Deutschlands, das zur Zeit einen Sitz im Sicherheitsrat hat.


Frankreich wird der Resolution entweder zustimmen oder sich der Stimme enthalten. So heißt es am East River und Deutschland wird zustimmen. So verlautet aus informierten Kreisen. - Am Telefon begrüße ich jetzt den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Gernot Erler. Schönen guten Morgen Herr Erler.

Gernot Erler: Guten Morgen Herr Meurer.

Meurer: Sind Sie damit einverstanden, dass Deutschland heute im Sicherheitsrat ja sagt zur Irak-Resolution?

Erler: Ich bin aus drei Gründen einverstanden. Es ist gelungen, jetzt in diesem vierten Entwurf der Resolution zu erreichen, dass Amerika die eigenen Interessen stark zurückgestellt hat und erklärt hat, dass es doch eine Mitsprache und eine Verständigungspflicht gibt bei größeren militärischen Operationen dieser neuen "multinational force", wie sie jetzt heißen soll, gegenüber Aufständischen oder Terroristen im Irak.

Der zweite Punkt ist, dass eine klare Bestimmung dafür gemacht worden ist, wann diese internationale Truppe mit ihrem Auftrag enden soll. Das wird spätestens eben dann sein, wenn eine demokratische Regierung gewählt ist, das heißt also Ende 2005 oder Anfang 2006, und dass die Interimsregierung auch das Recht haben soll, vorzeitig, also davor das Mandat enden zu lassen, den Antrag bei den Vereinten Nationen dazu zu stellen.

Der dritte Punkt ist: es gibt ja einen Briefwechsel zwischen Colin Powell, dem amerikanischen Außenminister, und Herrn Alawi, dem designierten Ministerpräsidenten im Irak, darüber, wie die Kooperation zwischen den Sicherheitskräften stattfinden soll. Dieser Briefwechsel signalisiert, dass die irakische Seite voll einverstanden ist mit der UN-Resolution, und dort sind Einzelheiten enthalten, wie die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitskräften und den Militärausschüssen stattfinden soll. - Das sind drei Gründe, wo man sagen kann, dem kann man zustimmen.
Meurer: Nur andererseits wird es so sein, Herr Erler, über einen Abzug der Truppen entscheidet der UNO-Sicherheitsrat und damit dann doch wieder die USA?

Erler: Das ist richtig, aber man muss ja gucken, von welchem Zustand das Ganze jetzt herkommt. Bisher hat es ja eine eindeutige und alleinige Entscheidung von Herrn Bremer über alles was im Irak passiert gegeben. Der UN-Sondergesandte Brahimi hat sogar von einem Diktator Bremer gesprochen, um die Situation zu beschreiben. Jetzt haben wir eine ganz klare Autorität der UNO hier. Die Amerikaner lassen sich jetzt wieder auf die Entscheidungskompetenz des Sicherheitsrates ein. Dort wird jetzt in Zukunft entschieden, ob dieses Mandat weitergeht oder nicht. Da hat natürlich Amerika seit Gründung der UNO eine ganz entscheidende Rolle mit dem eigenen Vetorecht wie die vier anderen Atommächte auch, aber das ist ja eigentlich das, was die internationale Gemeinschaft immer gewollt hat und was auch Deutschland immer gewollt hat. Deswegen finde ich es richtig, dass der Bundeskanzler gesagt hat, wir werden diesem vierten Entwurf so wie er jetzt ist zustimmen.

Meurer: Der Einfluss der USA wird bleiben. Steht die Souveränität des Irak auch nach dem 1. Juli nur auf dem Papier?

Erler: So weit würde ich nicht gehen, aber es ist völlig klar: in einem Punkt hat sich die französische und deutsche Position nicht durchgesetzt. Das ist eben ein komplettes formelles Vetorecht gegenüber militärischen Operationen dieser "multinational force". Das ist eine Einschränkung von Souveränität und jetzt wird alles davon abhängen, ob eigentlich die irakische Öffentlichkeit, das irakische Volk akzeptieren wird, dass diese neue Übergangsregierung tatsächlich eine neue Qualität darstellt, denn das hoffen wir ja alle, dass dies sich nun darauf auswirkt, dass die Anschläge weniger werden und dass die Autorität dieser Übergangsregierung wachsen wird.

Meurer: Wird mit dieser Irak-Resolution im Nachhinein der Einmarsch der US-Amerikaner im Irak sanktioniert?

Erler: Das kann man auf keinen Fall so sagen, sondern ich möchte noch einmal betonen, dass jetzt um ein neues Kapitel im Irak-Fall aufgeschlagen wird und das führt dazu, dass eben die UNO wieder in ihre Rechte eingesetzt wird, wie das viele Nationen sich schon von Anfang an gewünscht haben. Ich möchte daran erinnern, dass es ja eben keine UNO-Legitimation für das amerikanische Vorgehen gibt. Das gibt es auch jetzt nicht, sondern jetzt ist es nicht mehr allein in der Hand der Amerikaner. Es gibt zwar ein Oberkommando in der Hand der Amerikaner, aber die irakische Übergangsregierung kann ab sofort sich an die UNO wenden und kann versuchen, dieses Mandat zu beenden, wenn es das Gefühl hat, dass dies sinnvoll ist und dass es im Sinne der irakischen Bevölkerung ist, und das ist doch eine qualitative Veränderung.

Meurer: Die große Hoffnung, Herr Erler, ist ja jetzt die, dass in einem souveränen Irak die Gewalt nachlässt und das Land sich stabilisieren kann. Wie groß glauben Sie sind denn die Chancen dafür?

Erler: Ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft jetzt alles das, was sie dafür tun konnte, dass die Voraussetzungen für eine solche Verbesserung, die wir uns wünschen, da sind, geschaffen hat. Aber natürlich bleibt eine große Unsicherheit. Man muss natürlich sehen: faktisch heißt das, die 138000 Soldaten amerikanischer Herkunft bleiben im Irak. Sie bekommen eine neue Bezeichnung. Sie sind nicht mehr Okkupationstruppen, sondern sie sind jetzt Teil der multinationalen Kräfte, wie das heißt, "multinational forces". Für viele Iraker wird sich nichts ändern. Sie werden eine neue Übergangsregierung haben.

Meurer: Und die Aufständischen werden sagen, das ist ein Etikettenschwindel, und werden genauso Bombenanschläge machen wie jetzt.

Erler: Nein, so kann man das nicht sagen. Es ist aber die Frage, wird diese neue Regierung Autorität haben. Auch da finden wir ja viele Personen wieder, die in der bisherigen Übergangsregierung schon gewesen sind, in dem "goverment Council" gewesen sind. Also auch hier haben wir einen großen Teil von Kontinuität. Herr Brahimi hat es nicht geschafft, sage ich mal, eine Expertenregierung zu bilden. Er ist damit auch an dem Widerstand Amerikas gescheitert. Das hatte er ursprünglich vor. Jetzt ist also die Frage, wird diese Regierung Alawi akzeptiert werden als eine neue Übergangsregierung mit mehr Autorität und wird erkannt werden, dass doch ein Unterschied eingetreten ist, dass nicht mehr Herr Bremer das Regiment führt, sondern dass der neue Chef vor Ort Herr Negroponte ist, der bisher in der UNO für Amerika gearbeitet hat. Das ist eine neue Qualität, aber ob das auch von den Irakern so gesehen wird, davon wird die Chance für mehr Stabilität und weniger Anschläge einfach abhängen.

Meurer: Es wird heute im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels in den USA ein Treffen des amerikanischen Präsidenten Bush mit Bundeskanzler Gerhard Schröder geben. Was kann Deutschland für den Irak leisten, außer auf einen Teil der Auslandsschulden zu verzichten?

Erler: Es sind ja doch mehrere Punkte. Deutschland leistet weit mehr als andere Länder an humanitärer Hilfe. Deutschland hat sich auch schon bemüht, bei Infrastrukturmaßnahmen mitzuwirken, und hat stets die Bereitschaft bekundet, hier auch noch mehr zu machen, was allerdings von der Sicherheitslage vor Ort abhängt. Deutschland ist dabei, Sicherheitskräfte, Polizeikräfte im Irak auszubilden, und dann kommt die von Ihnen erwähnte Bereitschaft, einen Teilschuldenerlass zu machen. Das sind doch vier sehr wichtige Punkte. Dazu kommt die konstruktive Mitwirkung, die wir jetzt beobachtet haben, im Sicherheitsrat. Das ist der fünfte Punkt. Es gibt überhaupt keinen Grund - und die Amerikaner tun das auch nicht -, hier Deutschland etwa zu kritisieren, dass es zu wenig tut im Irak. Dazu kommt ja die enorme Belastung, die wir nun an anderer Stelle übernommen haben, etwa in Afghanistan, wo es wirklich um den Kampf mit dem Terrorismus geht. Insofern kann man also sagen: wenn alle Länder so viel machen würden im Irak und auch bei den anderen großen Auseinandersetzungskonflikten etwa in Afghanistan, dann gäbe es eine bessere Situation auf der ganzen Welt.

Meurer: Und wie soll der Kanzler antworten, wenn Bush fragt oder auffordert, die NATO soll helfen?

Erler: Der Kanzler wird dann mit Sicherheit noch einmal die großen Bedenken, die wir dort haben, formulieren. Es ist bisher nicht zu erkennen, dass ein Ersatz dieser multinationalen Truppen, die jetzt im Irak sind, durch andere, nämlich aus der NATO kommende Truppen möglich ist. Ob das eine Veränderung der Lage vor Ort geben wird, das kann niemand erkennen, weil natürlich auch im irakischen Bewusstsein die NATO eine Organisation ist, die von Amerika dominiert wird und ja ohnehin schon 17 verschiedene Mitglieder der NATO mit Truppen im Irak präsent sind, so dass daraus kein wirklich wirksamer Unterschied entsteht. Für die NATO, die ja schon Kommandoaufgaben in Afghanistan übernommen hat, die zusätzlich auch noch wichtige Aufgaben auf dem Balkan verrichtet, wäre die große Frage, ob es nicht eine Überforderung, eine Überdehnung der Aufgaben ist. Wenn das dann kein Erfolg wird, ist das eine Gefährdung des ganzen westlichen Bündnisses. Das sind die Argumente, die Deutschland zusammen übrigens mit anderen NATO-Mitgliedern hier vorträgt. Das würde der Kanzler auch machen, wenn der amerikanische Präsident hier Druck ausüben würde.

Meurer: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler bei uns im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank und auf Wiederhören Herr Erler!

Erler: Ich danke Ihnen!