Presseerklärung vom 20. Juli 2004

Die Zukunft von Palästina hängt von der Entwicklung in Gaza ab

Zur innenpolitischen Krise in Palästina erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Wieder einmal scheint eine der wenigen Chancen im verfahrenen Israel-Palästina-Konflikt vertan zu werden. Noch vor wenigen Tagen zeichnete sich ab, dass der angekündigte Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen die hoffnungsvolle Möglichkeit einer ersten Teilstaatlichkeit für die Palästinenser eröffnet. Dies allerdings nur unter der international allgemein anerkannten Bedingung, dass die Selbständigwerdung Gazas nur ein erster Schritt für einen gesamtpalästinensischen Staat sein kann. Damit aber bestand für die Palästinenser erstmals die greifbare Chance, zu zeigen, dass sie in der Lage sind, ein selbstverwaltetes stabiles Staatswesen an der Seite Israels aufzubauen.

Was sich nun aber in Gaza abspielt, weckt nicht nur Zweifel, sondern auch große Befürchtungen. Jedermann wusste, dass das von den Israelis hinterlassene Vakuum zu internen Machtkämpfen führen könnte und dass der Generationenwechsel von Arafat auf seine Nachfolger nicht unproblematisch sein würde. Was nun aber erschreckt, ist die Heftigkeit, mit der diese Probleme nun schon vor dem israelischen Abzug ausbrechen und den Gaza-Streifen gefährlich destabilisieren.

Viele Beobachter sprechen nun von einer "Götterdämmerung" für den "Rais", den gegenüber Israel machtlosen, im Innern aber autokratisch und selbstherrlich regierenden Patriarchen Jassir Arafat. Offensichtlich hat der alte und kranke Palästinenserführer den Bogen überspannt, nicht merkend, dass die palästinensische Bevölkerung seinen autoritären Führungsstil bei gleichzeitiger Duldung einer immer weiter um sich greifenden Korruption seit langem satt hat. Selbstkritisch muss sich der Westen nun eingestehen, dass er aus Angst vor dem Anwachsen der islamistischen Radikalen unter den Palästinensern viel zu lange nur auf Arafat gesetzt und dabei demokratische Alternativen sträflich vernachlässigt hat.

Es würde aber viel zu kurz greifen, würde man die Verantwortung für das sich im Gaza-Streifen abzeichnende Desaster nun allein Arafat zuschreiben. Ohne seine Rolle zu beschönigen, darf dabei nicht vergessen werden, in welchen Lebensverhältnissen die Menschen im Gaza-Streifen leben müssen. Über eine Million Menschen auf einer minimalen Fläche, mit die weltweit höchste Bevölkerungsentwicklung und -dichte, hohe Arbeitslosigkeit und dies alles gepaart mit weitgehend eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten und der repressiven israelischen Militärpräsenz führten zu einer explosiven Mischung.

So ist es nüchtern betrachtet fast unvermeidlich, dass das Nebeneinander der rigiden israelischen Besatzungspolitik, einer schwachen Autonomie-Regierung und den immer mächtiger werdenden islamistischen Gruppen wie Hamas und Djihad eine demokratische Entwicklung in Gaza bislang und wohl auf längere Zeit verunmöglichen. Die Entwicklung Gazas aber wird entscheidend sein für das ganze Projekt Palästina. Versinkt Gaza im Chaos, hat die Road Map kaum noch eine Chance und ein palästinensischer Staat rückt in weite Ferne und mit ihm auch die dringend erforderliche friedliche Lösung des ganzen Kernkonfliktes des Nahen Ostens. So ist wie selten zuvor die internationale Gemeinschaft und dabei insbesondere das Quartett gefragt, zur Stabilisierung der Lage Initiativen zu ergreifen.