Presseerklärung vom 1. Oktober 2004

Offener Brief – geschlossene Augen

In dem „Offenen Brief" in Sachen Russlandpolitik an die Staats- und Regierungschefs von EU und NATO erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Dieser Brief enthält schwerste Vorwürfe gegen Präsident Putin. Er habe die Tragödie von Beslan dazu benutzt, die russische Demokratie zu unterminieren, er habe willkürlich echte und vermeintliche politische Rivalen eingekerkert, er habe willkürlich legitime Kandidaten von Wahllisten gestrichen, er nehme eine drohende Haltung gegenüber der europäischen Energiesicherheit ein und habe zu verantworten, dass Russland die Einhaltung internationaler Verträge zurückweise.

Wenn diese Behauptungen so stimmten, wäre die Kritik an „westlichen Führern" (gemeint ist vor allem der deutsche Bundeskanzler) am Festhalten eines partnerschaftlichen Verhältnisses zu Moskau nachvollziehbar. Belege für diese schweren Vorwürfe fehlen aber in dem offenen Brief.

Ich fordere deshalb die Autoren und Unterzeichner des Schreibens auf, auf folgende Fragen zu antworten:

Eine überzeugende Antwort auf diese berechtigten Fragen wird schwer sein. Die Vorwürfe sind derart irregeleitet und überzogen, dass sie mit den weit verbreiteten Sorgen über die politische Entwicklung in Russland nicht gerechtfertigt werden können. Wenn die Autoren mit einer so leicht widerlegbaren Kritik den Menschenrechtsorganisationen und der Zivilgesellschaft in Russland helfen wollten, dann hätten sie diesen Adressaten tatsächlich einen Bärendienst erwiesen. Die Autoren und Unterstützer des „open letter" verschließen ihre Augen vor den aktuellen Gefahren nach der Woche des Terrors in Russland. Unser großes Nachbarland steht unter Schock, es fühlt sich alleingelassen, unverstanden und ausgerechnet in dem Moment unter politischem Beschuss, wo es Hilfe bräuchte. Es ist völlig unverantwortlich, diese gefährliche Tendenz zur Einigelung und Selbstisolierung jetzt mit überzogenen Attacken von außen noch zu verstärken. Gerade jetzt müssen auf allen Ebenen Verbindungen des Dialogs - und zwar ausdrücklich eines kritischen Dialogs - aufrechterhalten und verstärkt werden. Rot-Grüne internationale Politik bekennt sich programmatisch bewusst zum Prinzip der Inklusion statt der Isolierung. Schade, dass auch ausgewiesene Bekenner zu diesem Prinzip diesen Brief unterschrieben haben: Er wird Schaden anrichten.

Offener Brief