Erler begrüßt neue Töne Russlands zu Tschetschenien. Interview mit Gernot Erler im DeutschlandRadio, 21. Dezember 2004

Erler begrüßt neue Töne Russlands zu Tschetschenien

Moderation Bettina Klein: Deutsch-russische Konsultationen also heute im Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein. Am Telefon begrüße ich Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Er koordiniert für die SPD die Russland-Politik der Bundesregierung. Schönen guten Morgen Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen.

Klein: Welche Ratschläge haben Sie dem Kanzler vor den Gesprächen als Parlamentarier auf den Weg gegeben?

Erler: Der Kanzler braucht keine Ratschläge, weil er sich so intensiv mit den deutsch-russischen Beziehungen beschäftigt, aber wir haben darüber gesprochen und das wichtigste Ziel bei diesen Gesprächen, auch was den politischen Teil angeht, ist es, Russland möglichst in einen verbindlichen Dialog über die innere Entwicklung, über die Frage von Demokratie und die Frage Rechtsstaat und Stärke einer Gesellschaft, Mobilisierbarkeit einer Gesellschaft einzubeziehen, weil für die russische Seite die Frage der Auseinandersetzung mit den Terrorakten und dem Terrorismus im eigenen Land besonders wichtig ist. Das heißt an dieser Seite gibt es auch ein Interesse der russischen Seite.

Das zweite ist die Frage, ob es eine Kooperation zwischen Deutschland, der EU und Russland geben kann in der Region Kaukasus, wo uns eine Art regionaler Ansatz vorschwebt, den man nutzen könnte. Das Stichwort geistert schon seit vier Jahren herum, nämlich sich so etwas wie ein Stabilitätspakt für den Kaukasus zu überlegen. Das sind die beiden Ansätze.

Klein: Lassen Sie uns zunächst einmal beim zuletzt genannten Punkt bleiben. Wir haben von unserem Korrespondenten gehört, Putin habe sich gesprächsbereit gezeigt in Sachen Tschetschenien. Was heißt das genau?

Erler: Ja, das ist sehr interessant, weil das wirklich eine Veränderung gegenüber bisherigen Haltungen aus Russland ist. Diese Gesprächsbereitschaft bezieht sich eben genau darauf, dass offensichtlich der Präsident sich jetzt vorstellen kann, mit der EU in dieser Region zusammen zu arbeiten. Bisher gab es dort von russischer Seite stets ein Nein, weil man das unter Umständen als Einmischung in die eigenen Angelegenheiten angesehen hat und sowieso in der russischen politischen Klasse im Augenblick so eine Tendenz ist, in geographischen Einflusszonen zu denken, so nach dem Motto "wenn die Ukraine sich zum Beispiel mehr dem Westen zuwendet, dann ist das ein Verlust für Russland; wenn Georgien sich von innen revolutioniert und der neue georgische Präsident jemand ist, der mal in Amerika studiert hat, dann ist das ein Nachteil für Russland". Das ist so ein bisschen das Denken, was da ist, und das hat bisher auch verhindert, dass es zu einer Konkretisierung dieser Gedanken gekommen ist, nun in der Kaukasus-Region zusammen zu arbeiten. Insofern höre ich da auch sehr genau hin, was der Präsident jetzt sagt, weil man jetzt hoffen kann, dass sich in diesem Punkt etwas ändert.

Klein: Wie weit geht denn dieses Umdenken nach Ihrer Einschätzung? Welche Rolle genau kann die EU dann spielen?

Erler: Die EU hat ja diese drei südkaukasischen Republiken, Georgien eingeschlossen, in dieses Konzept neue Nachbarschaft einbezogen. Diese drei Republiken arbeiten also auch jetzt inzwischen enger mit der EU zusammen und das schafft natürlich auch Einflussmöglichkeiten. Das alleine muss für Moskau schon interessant sein, weil eben Russland im Augenblick große Schwierigkeiten vor allen Dingen mit Georgien hat. Da gibt es diese Regionalkonflikte. Man spricht gerne von eingefrorenen Konflikten. Die beziehen sich auf Südossetien und Abchasien. Da gibt es in beiden im Augenblick starke Spannungen zwischen Georgien und Russland und hier könnte alleine schon die EU einen positiven Einfluss ausüben durch die Möglichkeiten, auch einzuwirken auf die georgische Politik. Auch wir glauben, dass dort Fehler gemacht worden sind und dass dort auch unnötige Spannungen entstanden sind. Das könnte also für Russland interessant sein.

Aber dann geht es natürlich noch weiter. Es ist durchaus vorstellbar, dass die EU beiträgt auch im ökonomischen Bereich zur Stabilisierung in dieser Region. Das gehört durchaus auch zu diesem Konzept der neuen Nachbarschaft und das ist natürlich automatisch für Russland interessant, auch wenn das dort bisher nicht so gesehen wurde, weil eben eine Gesamtstabilität in dieser Region sich auch auswirken würde auf diese sieben südrussischen Provinzen im Nordkaukasus, die besonders unruhig sind und die auch genau der Herd sind - zu diesen gehört ja auch Tschetschenien - für diese Terrorakte, von denen Russland bedroht wird.

Klein: Herr Erler, lassen Sie mich bitte noch kurz fragen: Wie steht es um die Wahrscheinlichkeit, dass die EU eine Friedenstruppe nach Tschetschenien entsenden wird?

Erler: Nein, davon kann überhaupt gar keine Rede sein. Das ist auch unvorstellbar, dass über eine solche Idee im Augenblick Konsens hergestellt werden könnte. Das gehört auch nicht zum Angebot des Augenblicks von der EU. Es geht eher um überhaupt das Angebot, in dieser Kaukasus-Region mit Russland im Sinne einer Stabilisierungspolitik zusammen zu arbeiten, und man tastet sich hier allmählich etwas näher heran. Es ist zum ersten Mal, dass wir dort ein positiveres Signal als bisher vom russischen Präsidenten gehört haben.

Klein: Wird denn die Frage, wer eigentlich hinter der Versteigerung der größten Tochter des Yukos-Konzerns gestanden hat, bei den Gesprächen heute eine Rolle spielen, wenn auch nur im Geheimen?

Erler: Ich kann das nicht ausschließen. Allerdings ist bekannt, dass es nicht auf der Tagesordnung steht und dass bisher auch von der deutschen Seite, insbesondere vom Bundeskanzler, die Auffassung vertreten wird, das ist eher eine innere Angelegenheit Russlands, in der es ja auch keine westliche Beteiligung direkter Art gibt. Deswegen ist es nicht vernünftig oder sinnvoll, darüber zu reden. Das ist die Auffassung des Bundeskanzlers. Ob trotzdem wegen der Aktualität, weil das ja nun gerade am letzten Sonntag passiert ist, man darüber reden wird, weil ja auch die interessante Frage ist, wer ist eigentlich diese eigenartige Firma, die bisher niemand kennt, die jetzt der Sieger dieser Versteigerung war, das kann ich nicht ausschließen.

Klein: Ist es denn eine Strategie des russischen Präsidenten, immer Fragen zurückzuweisen mit dem Argument, das sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten? Ist es eine Strategie, von der Sie glauben, dass Putin sie durchhalten wird und kann in den kommenden Jahren?

Erler: Ich weiß nicht, ob es eine Strategie ist. Auf jeden Fall muss man immer davon ausgehen, dass die russische Seite die Befürchtung hat, dass die eigene Rolle, die man ja eher in Richtung von Weltgeltung sieht, beeinträchtigt wird und dass immer auch Prestige-Fragen eine Rolle spielen. Hier muss man auch immer bedenken, dass Putin sich ja auch rechtfertigen muss gegenüber seiner eigenen Gesellschaft. Das ist nicht nur eine Frage, wie er persönlich das sieht. Das alles wird ja auch von seiner eigenen Öffentlichkeit beobachtet, was er da macht und worauf er sich einlässt. Das ist ja immer noch ein Prozess, dass diese ehemalige Superweltmacht Sowjetunion nun im Wandel begriffen ist und die übrig gebliebene russische Föderation längst nicht diesen Einfluss, diese Macht hat wie die ehemalige Sowjetunion. Das muss politisch verkraftet werden, auch jetzt noch nach praktisch anderthalb Jahrzehnten.

Klein: Also Russland muss auch besonders psychologisch vorsichtig behandelt werden, weil es das Gefühl des Abstiegs als Supermacht zu verkraften hat?

Erler: Ich finde deswegen darf man keinen Rabatt bei kritischen Fragen geben. Deswegen darf man nicht aus Rücksicht darauf bestimmte Fragen nicht anschneiden. Darum kann es nicht gehen, aber man muss immer damit rechnen, dass alle Themen, die dort besprochen werden, auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden wird es partnerschaftlich gemacht, wird es auf gleicher Augenhöhe gemacht, oder gibt es etwa Tendenzen, Ratschläge aus der Position des besser wissenden zu geben. Das ist nicht sehr klug, wenn man mit Russland Politik machen will.

Klein: Dennoch sagen Wissenschaftler, diese Art der Geheimdiplomatie es äußerst bedenklich. Es muss ein Verhältnis aufgebaut werden, in dem sachlich begründete Kritik auch öffentlich geäußert werden darf.

Erler: Ich finde, dass man Verständnis haben kann für diese Kritik, aber man muss am Ende auch mal überlegen wie ist die Bilanz. Und wenn ich mir jetzt gerade aus der jüngsten Vergangenheit die Bilanz angucke, dann ist doch deutlich, dass zum Beispiel Gerhard Schröder sein besonderes Vertrauensverhältnis zu Putin - und er ist der einzige in Europa, der ein solches besonderes Vertrauensverhältnis hat - doch in einer kritischen Situation sehr nutzbringend genutzt hat, nämlich in der Ukraine-Krise, wo er am dritten Tag nach den Wahlen und dann noch mal am 9. Tag nach den Wahlen durch seinen persönlichen Kontakt mit Putin sehr wichtige, auch für die Opposition in der Ukraine wichtige Zugeständnisse vom russischen Präsidenten erreicht hat und damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung dieser kritischen Situation geleistet hat. Also wer Kritik übt, der müsste dann eben auch, wenn er fair ist, sagen, in diesem Punkt hat sich diese besondere Vertrauenssituation zwischen den beiden ernsthaft politisch ausgezahlt.

Klein: Die Einschätzung des SPD-Außenpolitikers Gernot Erler zum deutsch-russischen Verhältnis. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören Herr Erler!

Erler: Ich danke Ihnen.