Interview mit Gernot Erler im WDR 5 Morgenecho, 27. Mai 2005

Bundestag entscheidet über Verlängerung des Kosovo-Einsatzes

Moderatorin (Regina Brinkmann): Wie wichtig ist die weitere Präsenz der Bundeswehr im Kosovo?

Erler: Sie ist unverzichtbar. Wir haben ja hier vor kurzem - nämlich am 17., 18. März - schwere Ausschreitungen gehabt, ein wirklicher Rückschritt in dem Stabilisierungsprozess im Kosovo mit 19 Toten, 4000 vertriebenen Menschen, 580 zerstörten Häusern und auch 30 zerstörten serbisch-orthodoxen Kirchen und Klöstern. Und nach diesen Vorfällen ist sogar die KFOR-Präsenz noch mal verstärkt worden auf insgesamt 19 500 Mann. Dass es aber seit 1999 deutliche Fortschritte gegeben hat bereits, das kann man daran erkennen, dass das immer noch weniger als ein Drittel der ursprünglichen 60 000 Mann ist, die 1999 im Kosovo eingesetzt werden mussten.


Moderatorin: Die Unruhen im März haben aber auch gezeigt, wie schnell ein Bürgerkrieg dort wieder aufflammen kann. Was muss denn politisch geschehen, damit Bundeswehr-Soldaten in der Region auf Dauer überflüssig werden?

Erler: Also auf jeden Fall hat man sich jetzt darauf verständigt, dass die drei verschiedenen Organisationen, die da eine wichtige Rolle im Kosovo spielen, stärker miteinander kooperieren müssen, dass eine bessere Abstimmung passieren muss. Das ist also UNMIC, das ist die Organisation der Vereinten Nationen, das ist die OSZE, die hier eine Rolle spielt, und eben die EU, die eine wachsende Rolle spielt. Herr Solana hat jetzt ein Büro in Pristina eröffnet. Und es ist auch eine deutliche Verbesserung vorgesehen der Ausstattung der Soldaten, auch der Einsatzfähigkeit der Soldaten. Denn natürlich will man auf jeden Fall verhindern, dass so etwas wie im März noch einmal passiert, denn das zerstört natürlich das Vertrauen, das man letzten Endes braucht, wenn hier ein internationaler Schutz von Minderheiten im Kosovo die eigentliche Aufgabe ist.

Moderatorin: Aber welche politischen Konzepte muss es denn für den Kosovo auf Dauer geben?

Erler: Wir werden heute bei den Beratungen im Bundestag einen Antrag vorlegen, der noch einmal betont, dass an diesem politischen Grundkonzept, dass erstmals Standards im Zusammenleben, in der Einhaltung von Menschenrechten, in der Demokratisierung erreicht werden müssen, bevor man sozusagen den Kosovo in einen neuen Status entlassen kann, das heißt unter anderem auch darüber entscheiden kann, ob dieses besondere Ziel der kosovo-albanischen Mehrheit, selbständig zu werden, in irgendeiner Weise bewerkstelligt werden kann. Damit wird auch Druck ausgeübt auf die Mehrheit im Land, nämlich die Albaner, hier wenigstens Mindeststandards im Umgang vor allen Dingen mit den Minderheiten einzuhalten.

Moderatorin: Wenn es irgendwann mal eine politische Lösung gibt, was ist Ihre Einschätzung: Wie lange soll dann die Kosovo-Mission der Bundeswehr noch dauern?

Erler: Also sie muss einfach solange dauern, bis man sagen kann, dass die Reife der kosovarischen Gesellschaft einen Zustand erreicht hat, dass sie selber in der Lage sind und auch willens sind, die Minderheiten-Rechte zu beachten, den Schutz zu garantieren zum Beispiel von den Serben, die dort leben, aber auch von den Roma und anderen Minderheiten. Und das ist eben leider, wie diese Unruhen im März gezeigt haben, noch nicht der Fall. Und natürlich kann sich die internationale Gemeinschaft auch nicht erpressen lassen, hier diese Status-Frage zu klären, indem es solche Übergriffe akzeptiert. Und deswegen ist das eher ein Rückschritt für die albanischen Ziele gewesen, was da im März passiert ist.

Moderatorin: Welchen Zeitraum sehen Sie denn? Wie lange wird das Ganze noch dauern?

Erler: Leider kann man das nicht voraussagen. Jetzt ist die Präsenz der internationalen Truppen unter diesem Kürzel "KFOR" seit fünf Jahren im Land, seit 1999. In Bosnien-Herzegowina ist das schon seit 1995 eine Notwendigkeit. Das heißt wir haben dort gemeinsam mit anderen Ländern interveniert und haben damit auch eine Verantwortung für das Land übernommen. Und deswegen kann man abstrakt keinen Zeitpunkt nennen, sondern es ist so, wie ich es gesagt habe: Wenn diese Ziele erreicht sind, kann man abziehen. Und im Augenblick ist nicht abzusehen, wann das sein wird. Das kann auch noch mehrere Jahre dauern.

Moderatorin: Ich möchte noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen. Es kursieren ja angeblich Bilder, auf denen zu sehen sein soll, dass Bundeswehrsoldaten im Kosovo Gefangene foltern. Was wissen Sie darüber?

Erler: Also erst mal muss man festhalten, dass bisher niemand diese Bilder gesehen hat. Und wir wissen auch ein bisschen über die Quelle, woher diese Gerüchte und Anderes - es ist nichts als Gerüchte - stammen. Sie stammen nämlich im Grunde genommen von einem Soldaten, der als Querulant schon 1999 aufgefallen ist und der offenbar jetzt die Quelle von diesen Gerüchten wieder ist. Aber trotzdem: Die Bundeswehr nimmt das ernst. General Budde, der Inspekteur des Heeres, hat den Auftrag gekriegt, jetzt noch einmal die Beteiligten von 1999 aus dieser Frühphase zu befragen. Damals nämlich hatte kurzfristig die deutsche Präsenz im Kosovo auch die Aufgabe, das Stadtgefängnis von Prizren zu kontrollieren - eine Aufgabe auf die Soldaten eigentlich normalerweise nicht vorbereitet sind. Und auf diese Zeit gehen diese Gerüchte zurück. Deswegen werden jetzt noch mal die Soldaten, die damals da waren, befragt. Und damit will man dieses Gerücht aus der Welt schaffen