"Monsieur PESC" und eine deutsch-französische GASP-Initiative

Zu den Ergebnissen einer gemeinsamen Tagung außen- und sicherheitspolitischer Experten der Parti Socialiste und der SPD-Bundestagsfraktion in Paris erklärt der stellvertretende Vorsit-zende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Europa hat nur Einfluss auf die Weltpolitik, wenn es mit einer Stimme spricht. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch scheint sie allmählich zu sichtbaren Konsequenzen zu führen. Seit dem 18. Oktober hat die EU in Javier Solana einen Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, der die Werte und Interessen der Gemeinschaft nach außen sichtbar vertreten soll.

Nahezu zeitgleich mit dem Amtsantritt von Javier Solana trafen sich in Paris außen- und sicherheitspolitische Experten der Parti Socialiste und der SPD-Bundestagsfraktion, um über den Prozess der Ausgestaltung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP, frz.: PESC) miteinander zu diskutieren. Dieses Treffen bildete den Auftakt einer Serie von insgesamt sechs Treffen mit den europäischen Partnerparteien zu diesem Thema. Das nächste Treffen soll am 15./16. November in London stattfinden.

Damit unterstreicht die SPD-Bundestagsfraktion die Bedeutung der GASP und bekräftigt zugleich ihr Interesse, diesen Prozess im Dialog mit den Schwesterparteien parlamentarisch zu be-gleiten und ihn nicht allein den Regierungen zu überlassen. Dieser Initiative kommt auch deshalb eine besondere Bedeu-tung zu, da in nahezu allen Mitgliedsländern der EU sozialdemokratische Parteien die Regierung stellen bzw. an der Re-gierung beteiligt sind.

Folgende Prioritäten müssen nach Ansicht von SPD und PS berücksichtigt werden:

Um die GASP langfristig zu einem Erfolg werden zu lassen, ist ein wirklicher Souveränitätstransfer auf die Gemeinschaft un-abdingbar. Das nach wie vor verbreitete Souveränitätsdenken des 19. Jahrhunderts widerspricht den Herausforderungen, denen wir im 21. Jahrhundert gegenüber stehen. Deutschland erklärt ganz bewusst seine Bereitschaft, Souveränitätsrechte an die Gemeinschaft abzutreten. Selbstverständlich wird es auch in Zukunft nationale Außenpolitik geben. Eine Vergemein-schaftung bestimmter Bereiche kann jedoch zu einem größeren Gewicht der europäischen Politik und zu positiven Synergieeffekten führen.

Eine eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik darf jedoch nicht zu einer Abtrennung von den USA führen. Weder Frankreich noch Deutschland haben ein Interesse daran. Diese Sorge, wie sie bereits von hochrangigen amerikanischen Politikern formuliert wurde, muss jedoch ernst genommen werden. Daher muss die GASP zugleich mit ver-trauensbildenden Maßnahmen über den Atlantik verbunden werden, und es muss deutlich werden, dass es ausschließlich darum geht, wie es Javier Solana beim Treffen der Verteidigungsminister Ende September in Toronto formulierte, die Europäer "trennbar, aber nicht abgetrennt" von den USA zu machen. Das heißt, eine eigenständige Handlungsfähigkeit insbesondere im Bereich der Petersberg-Aufgaben zu erwerben, ohne auf Mittel und Kapazitäten der NATO zwingend angewiesen zu sein. Dies würde zugleich die Glaubwürdigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik Europas erhöhen. Ebenso sollen auch die sechs Nicht-EU-Mitglieder der NATO - Island, Norwegen, Polen, Tschechien, Türkei und Ungarn - bei der Ausformulierung der Europäischen Sicherheitspolitik beteiligt werden.

Ein wesentlicher Pfeiler der GASP muss der Ausbau der präventiven Fähigkeiten sein. Nicht eine kurzfristige Shuttle-Diplomatie, sondern eine langfristige und vorausschauende Krisenpräventionspolitik ist dringend erforderlich. Der Schwerpunkt der GASP darf nicht ausschließlich auf der militärischen Seite liegen. Die Verhütung von Konflikten muss dabei immer im Vordergrund stehen und sich an einem erweiterten Sicherheitsbegriff orientieren, der über den klassischen Sicherheitsbegriff hinaus geht. Militärisches Eingreifen ist nur als letztes Mittel zulässig, wenn alle anderen Mittel bereits versagt haben. Die Handlungsfähigkeit Europas darf nicht auf Interventionsfähigkeit reduziert werden.

Eine wichtige Bedeutung kommt auch den "Gemeinsamen Strategien" der EU zu, von denen bislang eine in Bezug auf Russland verabschiedet wurde. Sie stellen sowohl für Europa als ganzes als auch für die einzelnen Mitgliedsstaaten eine Verpflichtung dar. Es stellt sich die Frage, ob Europa es schafft, auch vor einer Katastrophe eine erfolgreiche Präventionspolitik zu betreiben. Bislang gibt es gravierende Defizite in der Bereitschaft und Fähigkeit des politischen Systems, die Kenntnis über politische Krisenherde in eine entsprechende Präventionspolitik umzusetzen. Situationen, wie jetzt im Kosovo, bei der die Europäische Union mit viel Aufwand eine Art "nachholende Prävention" betreibt, sind nicht nur ökonomisch unsinnig. Hätte es bereits Anfang der neunziger Jahren eine funktionierende GASP gegeben, wäre unter Umständen viel menschliches Leid verhindert worden.

Im Bereich der Rüstungszusammenarbeit sind ebenfalls konkrete Schritte hin zu einer engeren Zusammenarbeit notwendig. Die Umsetzung der Defence Capability Initiative (DCI), also die Fähigkeit, arbeitsteilig zu handeln, ist unverzichtbar. Die USA sind auch in diesem Bereich den Europäern weit voraus. Mittlerweile gibt es in den USA nur noch drei große Rüstungsunternehmen, die 60 Prozent des Weltmarktes und 90 Prozent des amerikanischen Marktes beherrschen. Mit der Fusion von DaimlerChrysler Aerospace und dem französischen Konzern Aerospatiale-Matra, der sich im kommenden Jahr auch mit British Aerospace zu einem neuen europäischen Raumfahrtkonzern unter dem Namen Astrium zusammen schließen wird, weist in die richtige Richtung.

Zwischen den deutschen und französischen Experten besteht Einigkeit darüber, dass der Weg über die "Gemeinsamen Strategien" der EU (die nächsten sollen sich der Ukraine, der Region Westbalkan und dem Mittelmeer/Nahost-Raum widmen) zu einer echten gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik führen muss. Dass Europa jetzt - um mit Henry Kissinger zu sprechen - endlich eine Telefonnummer für internationale Fragen hat, ist ein Schritt nach vorn, die stufenweise Vergemeinschaftung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik muss nun folgen. Die französischen Sozialisten und deutschen Sozialdemokraten in den beiden Parlamenten werden diesen Prozess aktiv begleiten.