SPD begrüßt Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission als "Orientierung aus der Beliebigkeit"

Zur heutigen Vorlage des Berichts der Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" unter der Leitung von Richard von Weizsäcker erklären die Bundestagsabgeordneten Gernot Erler, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Peter Zumkley, Verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion:

Der Bericht der Weizsäcker-Kommission stellt die bevorstehenden Entscheidungen über die Zukunft der Bundeswehr auf eine solide, argumentativ nachvollziehbare und belastbare Grundlage. Die Phase einer "Diskussion auf Zuruf", bei der beliebige Vorschläge zu Umfang und Struktur deutscher Streitkräfte die Öffentlichkeit irritiert, geht definitiv zuende. Der Kommissionsbericht bietet eine willkommene Orientierung aus dieser verwirrenden Beliebigkeit.

Die Kommission hat ein Jahr intensiv gearbeitet, Fachleute angehört, Studien und Einzelaufträge vergeben und unzählige Expertisen eingeholt. Sie hat dabei strikte Nichtparteilichkeit gewahrt. Dass Exbundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) bereit war, die Gesamtverantwortung für diese Arbeit zu übernehmen, kann als Glücksfall gelten. Die Empfehlungen der überparteilich zusammengesetzten Kommission bieten jetzt die Chance, über die Zukunft der Bundeswehr in einem breiten gesellschaftlichen Konsens zu entscheiden. Die SPD-Bundestagsfraktion strebt angesichts der Bedeutung dieser Entscheidungen einen solchen breiten Grundkonsens ausdrücklich an.

Die Kommission hat nicht nur Vorschläge zum künftigen Umfang und zur Struktur der Bundeswehr erarbeitet, sondern sehr wertvolle Analysen und Überlegungen zur Frage der neuen Anforderungen an eine deutsche und europäische Sicherheitspolitik vorgelegt. Die Tagespolitik neigt dazu, das Kommissionsergebnis auf die Zahlenvorschläge zu reduzieren. Die SPD-Bundestagsfraktion tritt dieser Verkürzung entgegen und erklärt ihre Entschlossenheit, die gesamten Arbeitsergebnisse der Kommission für ihre eigene sicherheitspolitische Konzeptionsentwicklung nutzen zu wollen.

Auf einige wenige ausgewählte Linien in der Argumentationsführung der Kommission sei hier besonders verwiesen:

· Die konsequente Europäisierung der Sicherheitsvorsorge.
Die Kommission denkt die Bundeswehr bereits als Teil einer künftigen gemeinsamen europäischen Sicherheitsstruktur voraus - mit allen Konsequenzen wie strikter Arbeitsteilung, Vermeidung von Doppelentwicklungen und Doppelbeschaffungen von Ausrüstung und mit der unbedingten Forderung nach der Fähigkeit, mit anderen europäischen Krisenreaktionskräften zusammenzuarbeiten (Stichworte "Konvergenz" und "Interoperabilität"). Hier werden sehr hohe Maßstäbe gesetzt und nur mit großen Anstrengungen zu erfüllende Anforderungen an die künftige deutsche und europäische Sicherheitspolitik gestellt.

· Prioritätenumkehr bei den Aufgaben der Sicherheitspolitik.
Die Kommission sagt nicht: Landes- und Bündnisverteidigung und dann noch Krisenbeantwortung, sondern sie leitet konsequent die Fähigkeiten der Bundeswehr zur Aufgabenerfüllung im Bündnis aus den Fähigkeiten zur Krisenbeantwortung ab - mit weitreichenden Folgen für Ausbildung, Ausrüstung und Struktur der Bundeswehr. Die Vorschläge für den Umfang der Streitkräfte werden aus der Beliebigkeit herausgeholt, indem sie exakt auf das Potenzial zur gleichzeitigen Beantwortung zweier paralleler Kriseneinsätze heruntergerechnet werden.

· Paradigmenwechsel bei der Wehrpflicht.
Die Kommission wechselt zu einer friedenspolitischen Begründung der Wehrpflicht, die sie aus der staatlichen Verpflichtung zu einer "weitsichtigen Risikovorsorge" ableitet: Es geht darum, im Eventualfall einer künftigen, nicht ausschließbaren Bedrohung über eine strategische, personelle und gesellschaftliche Flexibilität zu verfügen. Wehrpflicht garantiert so Eskalationskontrolle und hilft, alarmistische, krisenverstärkende Mobilisierungsprozesse zu vermeiden. Der Paradigmenwechsel findet auch bei der Frage der Wehrgerechtigkeit statt: Lieber, so empfiehlt die Kommission, ein Auswahlwehrdienst mit finanziellem Ausgleich als eine sicherheitspolitisch nicht begründbare Ausschöpfung ganzer Jahrgänge im Sinne einer künstlichen Herstellung von Pseudo-Wehrgerechtigkeit.

Diese und viele weitere sehr konkrete Überlegungen und Vorschläge der Weizsäcker-Kommission werden die sicherheitspolitische Arbeit von Parlament und Regierung noch lange und intensiv beschäftigen. Am Ende wird sich herausstellen, dass die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr", weit über die tagesaktuellen Vorschläge zu Umfang und Struktur der Bundeswehr hinaus, die friedenspolitische Agenda des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends mitbestimmen und mitprägen wird. Das ist die Dimension, und indem die SPD-Bundestagsfraktion alle Elemente des Berichts in gleicher Sorgfalt und Ernsthaftigkeit aufnehmen und prüfen wird, wird sie gegenüber der geleisteten Arbeit in dem verdienten Ausmaß ihre Anerkennung, ihren Respekt und ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.