Fraktionsführung beschließt Positionspapier zur Bundeswehrreform

Zur Beratung des Themas Bundeswehrreform in der SPD-Bundestagsfraktion teilt der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gernot Erler mit:

Die Führungsgremien der SPD-Bundestagsfraktion haben am Montag einstimmig einem Positionspapier zur Bundeswehrreform zugestimmt, das als Beschlussempfehlung am Dienstagnachmittag der Fraktion vorliegen wird. In der Beschlußvorlage wird der Weizsäcker-Kommission für die Erarbeitung "wichtiger Erkenntnisse und Empfehlungen" gedankt. Die Fraktion spricht dem Verteidigungsminister Dank und Anerkennung für seine Reformvorbereitungen und für die bereits erfolgte Einleitung wichtiger Weichenstellungen zur Zukunftssicherung der Bundeswehr aus. In Scharpings Eckpfeiler-Papier vom 1. Juni sehen die SPD-Parlamentarier eine "fachlich überzeugende, tragfähige Grundlage" für die überfällige Strukturreform der deutschen Streitkräfte.

Die Wehrpflicht, so heißt es in dem Positionspapier, könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zur Disposition gestellt werden, um neben einer langfristigen sicherheitspolitischen Vorsorge auch die gewünschte Eskalationskontrolle und Krisenstabilität zu bewahren. Die Fraktion stimmt der Verkürzung der Wehrpflicht auf 9 Monate und der Möglichkeit ihrer abschnittsweisen Ableistung zu. Bei der Frage des Umfangs der Bundeswehr will die SPD-Fraktion Bandbreiten befürworten. Sie liegen für den Umfang der Streitkräfte bei 260 - 280.000, davon 190 - 200.000 Berufssoldaten und Zeitsoldaten sowie 70 - 80.000 Wehrpflichtige, bei den Zivilbeschäftigten bei etwa 80.000 Dienstposten. Insgesamt soll die Reduzierung der Bundeswehr zu einer Friedensstärke von 340 - 360.000 Frauen und Männern führen. Die Vorschläge von Verteidigungsminister Scharping liegen innerhalb dieser Bandbreiten.

Besondere Unterstützung aus der Fraktion kann Rudolf Scharping für seine Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr, für seine neuen Unteroffiziers-Laufbahnen, die Öffnung der Bundeswehr für Frauen in allen Verwendungen, seinen Rahmenvertrag mit der Industrie und für die neue Beschaffungs-Agentur erwarten. Die Abgeordneten wollen einen angemessenen Anteil der Rationalisierungserlöse im Bundeswehrhaushalt reinvestiert sehen und der Hardthöhe auch die notwendigen Mittel für die internationalen Einsätze zur Verfügung stellen. Ein Ausscheren des Einzelplans 14 aus dem generellen Konsolidierungskonzept ist aber nicht vorgesehen.

Bei der Frage der Zukunft der Standorte setzt die SPD auf eine rechtzeitige Einbeziehung der Betroffenen sowie auf Transparenz und Verlässlichkeit der zu treffenden Entscheidungen. Eine über das Formale hinausgehende Anerkennung der Arbeit der Weizsäcker-Kommission drückt sich in einem Auftrag an das BMVg und die Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen aus, der Fraktion über die weitere Behandlung der dezidierten sicherheitspolitischen Empfehlungen der Kommission Bericht zu erstatten.

Den anderen Fraktionen bietet die SPD "bei der großen Herausforderung der Bundeswehrreform" einen weiterführenden Dialog an und bezeichnet die Erzielung eines parteiübergreifenden, gesellschaftlichen Konsens als "wünschenswert und erreichbar".

Nachstehend der Text des vom Geschäftsführenden Fraktionsvorstand und Fraktionsvorstand am Montag beschlossenen Positionspapiers:
Bundeswehrreform
Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion

Vorlage für die Fraktionssitzung am 6. Juni 2000

Die SPD-Bundestagsfraktion leistet ihren Beitrag zur notwendigen und durch Versäumnisse der Regierung Kohl überfällig gewordenen Reform der Bundeswehr. Es geht darum, der Bundeswehr eine sichere Grundlage zu schaffen für die Erfüllung ihrer veränderten Aufgaben bei der Landesverteidigung, bei der Beistandsleistung im Rahmen des Bündnisses sowie bei internationalen Einsätzen zur Krisenverhütung und Krisenbewältigung.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat ihre Position auf der Grundlage folgender Berichte und Empfehlungen erarbeitet:
· Bericht der Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" vom 23. Mai 2000
· "Eckwerte für die konzeptionelle und planerische Weiterentwicklung der Streitkräfte" des Generalinspekteurs vom 23. Mai 2000
· "Die Bundeswehr - sicher ins 21. Jahrhundert" als Eckpfeiler-Papier des Bundesverteidigungsministers vom 01. Juni 2000
· Positionspapier "Zur Reform der Bundeswehr" der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen der SPD-Bundestagsfraktion vom 18. Mai 2000

Die SPD-Bundestagsfraktion dankt der Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" unter der Leitung von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker für ihre gründliche Arbeit und für den vorgelegten umfassenden Bericht, der über die jetzt notwendigen Strukturentscheidungen hinaus für die gesamte Diskussion zur künftigen Sicherheitspolitik in Europa wichtige Erkenntnisse und Empfehlungen liefert.

Dank und Anerkennung spricht die SPD-Bundestagsfraktion Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping aus, der die jetzt notwendigen Entscheidungen nicht nur sorgfältig vorbereitet, sondern in den vergangenen Monaten bereits wichtige Weichenstellungen zur Zukunftssicherung der Bundeswehr eingeleitet hat.

Zu dem Gesamtvorhaben der Bundeswehrreform beschließt die SPD-Bundestagsfraktion:

1. Für die notwendigen parlamentarischen Entscheidungen liefern die vom Bundesverteidigungsminister unter dem Titel "Die Bundeswehr - sicher ins 21. Jahrhundert" vorgelegten Eckpfeiler eine fachlich überzeugende, tragfähige Grundlage.

2. Die Allgemeine Wehrpflicht kann aus Gründen der langfristigen sicherheitspolitischen Vorsorge und wegen friedenspolitisch wichtiger Ziele wie Eskalationskontrolle und Krisenstabilität, die nur durch eine strategische, personelle und gesellschaftliche Flexibilität sichergestellt werden können, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zur Disposition gestellt werden. Der Übergang zu einem Wehrdienst mit der gesetzlichen Dauer von 9 Monaten mit der Möglichkeit abschnittweiser Ableistung wird befürwortet.

3. Für den künftigen Umfang und die Struktur der Bundeswehr werden, auch als Folgerung aus den bisher erfahrenen Abständen zwischen Sollstärken und tatsächlichem Bestand, folgende Bandbreiten befürwortet:
- Umfang Streitkräfte: 260.000 - 280.000
davon Berufssoldaten/Zeitsoldaten: 190.000 - 200.000
davon Wehrpflichtige: 70.000 - 80.000
Umfang der Einsatzstreitkräfte:140.000 - 150.000
- Zivile Beschäftigte: ca. 80.000
- Gesamtumfang Bundeswehr (Friedensstärke): 340.000 - 360.000

Die Stärkeangaben aus dem Eckpfeiler-Papier des Bundesverteidigungsministers bleiben im Rahmen dieser befürworteten Bandbreiten.

4. Ausdrücklich werden die geplanten Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr befürwortet und unterstützt, so die vorgesehene Ausbildungs- und Qualifizierungsinitiative mit den neuen Feldwebel- und Fachunteroffizierslaufbahnen sowie den übrigen Verbesserungen im Besoldungs- und Laufbahnrecht. Das gilt auch für die Öffnung der Bundeswehr für den freiwilligen Dienst von Frauen in allen Laufbahnen und Verwendungen.

5. Eine Weiterentwicklung der Partnerschaft mit Industrie und Wirtschaft, wie sie mit dem Rahmenvertrag "Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr" und der Gründung der Agentur "Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb" bereits begonnen wurde, wird befürwortet und unterstützt.

6. Der Verteidigungshaushalt unterliegt wie alle anderen Einzelpläne auch in Zukunft den getroffenen Konsolidierungsentscheidungen. Ein angemessener Anteil der Rationalisierungserlöse wird zu der angestrebten stufenweisen Erhöhung des Investitionsanteils verwandt. Die für internationale Einsätze notwendigen Mittel werden zur Verfügung gestellt.

7. Das Bundesverteidigungsministerium wird gebeten, bei den Folgen der Bundeswehrreform für die Standorte den Bedürfnissen der Betroffenen nach rechtzeitiger Einbeziehung, Transparenz und Verlässlichkeit bei den Entscheidungen so weit wie möglich entgegenzukommen.

8. Das Bundesverteidigungsministerium und die Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen werden gebeten, der Bundestagsfraktion über die weitere Behandlung der sicherheitspolitischen Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission, besonders zu den Themen Stärkung von Vereinten Nationen und OSZE, Vermeidung von Parallelentwicklung und Doppelbeschaffung von Rüstungsgütern in Europa, Aufgaben- und Rollenverteilung im Bündnis und Europafähigkeit der Bundeswehr Bericht zu erstatten.

Die SPD-Bundestagsfraktion ist bei der großen Herausforderung der Bundeswehrreform, die neben der nationalen auch eine internationale Bedeutung und Dimension hat, zur Zusammenarbeit mit allen Fraktionen des Deutschen Bundestages bereit und wird weiterhin den Dialog mit den betroffenen Verbänden und Interessengruppen führen. Aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion ist ein parteiübergreifender, gesellschaftlicher Konsens über die künftigen Aufgaben, den Umfang und die Struktur der Bundeswehr wünschenswert und erreichbar.