Türkei: Unterstützung an Bedingungen knüpfen

Zur aktuellen Situation in der Türkei erklären der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler und der Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Rudolf Bindig:

Wer immer sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt hat - allen voran dabei die Bundesrepublik Deutschland - die Türkei näher an Europa heranzuführen, hat damit auch große Erwartungen verbunden. Immer mehr zeigt sich aber, dass diese Erwartungen, die insbesondere in Helsinki deutlich formuliert worden sind, von der Türkei leider nicht oder nur unzureichend erfüllt werden. Die Enttäuschungen reichen von der katastrophalen ökonomischen Situation der Türkei über die ausbleibenden Reformen in Staat und Gesellschaft, von der ungelösten Kurdenfrage über die starre Haltung im Zypern-Konflikt, von der unveränderten Machtstellung des Militärs im Staat bis hin zu der nach wie vor nicht akzeptablen Menschenrechtssituation. Diese hat ihren derzeitigen Höhepunkt in der blutigen Niederschlagung der Gefängnisrevolten und dem Tod von schon über einem Dutzend Hungerstreikenden gefunden.

Auch bei aller Anerkennung der positiven türkischen Willensbekundungen nach Helsinki kann die Bilanz der türkischen Politik seit der Verleihung des EU-Kandidatenstatus daher nur als unbefriedigend gewertet werden. Es ist somit nicht verwunderlich, dass sich zunehmend Politiker in Europa fragen, ob der Vertrauensvorschuss und die Angebotspolitik gegenüber der Türkei wirklich der richtige Weg sind.

Auch wenn man Verständnis dafür hat, dass viele der Aufgaben, die die Türkei zu bewältigen hat, nicht von heute auf morgen zu erfüllen sind, ist es aber besonders enttäuschend, dass sich selbst in denjenigen Bereichen kaum etwas tut, wo allein durch das Verhalten der türkischen Exekutive eine Änderung herbeigeführt werden könnte.

Dies gilt insbesondere für den Menschenrechtsbereich. Die Art, wie die türkische Regierung Modernisierungen im Strafvollzug erzwingen will, ist für die Betroffenen alles andere als vertrauenerweckend. Auch wenn die Einführung von Gefängnissen mit kleineren Zellen zu den europäischen Forderungen gehört, ist es vor dem Hintergrund der leider immer noch verbreiteten türkischen Folterpraxis verständlich, dass das Misstrauen der Gefangenen sehr groß ist. Was dabei gewährleistet sein muss, sind die europäischen Standards im Strafvollzug, die Möglichkeit sozialer Kontakte und insbesondere, dass es in den neuen Gefängnissen nicht zu inhumaner Isolation, erniedrigendender Behandlung oder gar Folter kommt.

Die radikalen Organisationen, die den Widerstand gegen den neuen Gefängnistyp organisieren, legen dabei mit ihrer verordneten Todesfasten-Strategie ihrerseits eine Menschenverachtung an den Tag, die absolut inhuman und durch nichts zu rechtfertigen ist. Ebensowenig entschuldbar ist aber auf staatlicher Seite die Brutalität, mit der der Widerstand der Gefangenen niedergeschlagen wurde sowie die Verweigerung jeglichen Dialoges über diese Fragen. Um der Menschen willen und um weitere Todesopfer zu vermeiden kann nur an beide Seiten appelliert werden, aufeinander zuzugehen. Erste Schritte in diese Richtung von Staatspräsident Sezer sind zu begrüßen. Es kann der Türkei nicht oft genug gesagt werden, dass mehr noch als an ökonomischen Erfolgen ihr Image und damit ihre Akzeptanz als künftiges EU-Mitglied insbesondere an ihrem Umgang mit den Menschenrechten hängt.

Die Politiker in Ankara sollten sich nicht täuschen. In einer Situation, in der die Türkei von der Weltgemeinschaft erwartet, ihr großzügig mit vielen Milliarden Dollar über ihre selbstgemachten Finanzprobleme hinwegzuhelfen, werden auch Gegenleistungen erwartet. Ohne dass die potentiellen Geber, zu denen dann auch Deutschland zählen würde, endlich Fortschritte sehen, wird sich die Bereitschaft zu Unterstützungsleistungen in Grenzen halten. Voraussetzung dafür sind insbesondere eindeutige Garantien, dass die wirklichen Ursachen der türkischen Finanzmisere beseitigt werden. Gefordert werden aber auch mehr außenpolitische Flexibilität der Türkei, das Anpacken schon lange versprochener innerer Reformen und nicht zuletzt auch Fortschritte in der Kurdenfrage und im Menschenrechtsbereich.

25. März 2001