Europa auf dem Prüfstand

Zu der Diskussion um die Hilfen für Jugoslawien erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Wo immer sich Europa in den letzten Jahren mit den Ländern des Balkans abgab, kam meist sehr schnell die Belehrung, dass diese Staaten viele Hausaufgaben zu machen hätten, um Europa-Fähigkeit zu erlangen. Nun aber gerät Europa selbst in Gefahr, seine eigenen Hausaufgaben zu versäumen. Das Hin und Her um die Auszahlung der Finanzhilfen für Jugoslawien gerät langsam zum Skandal. Noch vor wenigen Wochen waren Jugoslawien auf der Brüsseler Geberkonferenz Hilfen von insgesamt 1,3 Milliarden Dollar zugesagt worden. Davon sollten im August 300 Millionen Euro als erste Soforthilfe ausgezahlt werden. Und nun soll alles nicht mehr wahr sein, da die Brüsseler Bürokratie davon 225 Millionen Euro zur Begleichung von Altschulden einbehalten will, die teilweise noch aus der Tito-Zeit stammen.

Mit einer solchen Politik verliert Europa nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern trägt nun selbst zur Verzögerung der dringend benötigten Stabilisierung Jugoslawiens bei. Es kann nur als paradox angesehen werden, dass sich der Westen vor zwei Jahren sehr schnell auf einen milliardenschweren Krieg gegen Jugoslawien einigen konnte, nun aber die Mittel zurückhalten will, die zur Stabilisierung des bestraften und am Boden liegenden Landes dringend benötigt werden. Sieht Brüssel nicht, dass dies ein Desaster für die eher labile Regierung aus der ehemaligen Opposition darstellt und dass die Altkommunisten aus der Milosevic-Partei nur darauf warten, dass die Enttäuschung und daraus entstehender Volkszorn sie wieder an die Macht spülen? Dies wäre das Ende der Normalisierung auf dem Balkan.

Wie selten zuvor steht nun die ganze Balkan-Politik Europas auf dem Prüfstand. Die SPD-Fraktion bittet daher auch die Bundesregierung, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Jugoslawien wie versprochen schnell geholfen wird. Das serbische Volk muss erkennen können, dass es der EU ernst ist mit ihrer Ankündigung, auch Jugoslawien eine europäische Perspektive zu geben.

17. Juli 2001