Kofi Annan: Plädoyer für ein neues Verständnis von Frieden

Zum Auftritt des UN-Generalsekretärs Kofi Annan im Deutschen Bundestag erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler

Von Kofi Annans Berliner Rede wird das Plädoyer für eine auf Dauer angelegte Friedensarbeit (Sustainable Peace) haften bleiben. Für den UN-Generalsekretär gilt Afghanistan als Testfall dafür, ob die Weltgemeinschaft sich einmal mehr zu früh und ohne Exit-Strategie von einer Friedensarbeit abwendet, oder die Kraft aufbringt, den Erfolg durch eine umfassende und auf Dauer angelegte Stabilisierungsstrategie abzusichern. Vor dem Bundestag entwickelte der Friedensnobelpreisträger das Bild eines Peacekeeping neuer, anspruchsvoller Qualität: Heute reicht es nicht mehr, mit ein paar Blauhelmen einen Waffenstillstand abzusichern. Wie in Afghanistan ist es heute entscheidend, ein regionales Friedensregime auf sich wechselseitig bedingenden und gleichzeitigen Anstrengungen im humanitären, militärischen, politischen, sozialen und ökonomischen Bereich zu errichten. Für eine Führungs- und Koordinierungsaufgabe dieser neuen Dimension muss die UNO, so Kofi Annans Botschaft, künftig materiell und strukturell besser ausgestattet werden.

In der starken Konzentration auf den Modellfall Afghanistan steckt ein weiteres politisches Signal. Der Generalsekretär betont die Bedeutung der Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Terrorismus - und diese Glaubwürdigkeit hängt vom Erfolg in Afghanistan ab. Indirekt gibt Kofi Annan damit seine politische Priorität preis. Erst im Auswärtigen Ausschuss kam er direkt auf die Irakfrage zu sprechen: voller Erwartung auf eine politische Lösung durch Gespräche (am 7. März trifft er den irakischen Außenminister) und in vollem Bekenntnis zur Verantwortung der Vereinten Nationen, unter dessen Regime der Irak seit 1991 steht.

Die wichtige Botschaft von der Notwendigkeit eines "Nachhaltigen Friedens" als Zwilling der "Nachhaltigen Entwicklung" plazierte der Generalsekretär nicht zufällig in Berlin. Mit Recht erwartet er hier für einen solchen Ansatz besondere Aufmerksamkeit und Sympathie. Was Kofi Annan über Deutschland als Partner der UNO vortrug, war weit mehr als Höflichkeit. Die Berliner Rede war auf eine gedankliche und konzeptionelle Partnerschaft mit Deutschland für die Zukunft ausgerichtet. Sie verdient eine positive Antwort über den Tag hinaus.

28. Februar 2002