Presseerklärung vom 25. August 2005

SPD fordert Rückbesinnung auf den Geist von Oslo und Wiederbelebung des nahöstlichen Friedensprozesses

Der Abzug der Israelis aus dem Gaza-Streifen sowie aus vier kleinen Siedlungen im Westjordanland erfolgte schneller als erwartet und unproblematischer als befürchtet. Dies kann als positives Zeichen dafür gewertet werden, dass ein überwiegender Teil der israelischen Siedler die politischen Notwendigkeiten eingesehen und ihren Widerstand gegen diesen für sie schmerzhaften, aber überfälligen und richtigen Schritt aufgegeben haben. Ministerpräsident Ariel Sharon war mit dieser Politik ein großes Risiko eingegangen. Seinem Mut, auch gegen starke Gegner im eigenen politischen Lager diesen Kraftakt zu wagen, gebührt großer Respekt. Seine konse-quente Haltung hat sich ausgezahlt. Mit dem Rückzug aus Gaza erhalten die Palästi-nenser nach 38 Jahren israelischer Besatzung erstmals die Möglichkeit, auf einem Teil ihres Territoriums eine wirkliche Eigenstaatlichkeit zu praktizieren.

Was die weitere Entwicklung von Gaza anbetrifft, ist der Ball nun erst einmal im Feld der Palästinenser. Wie es dort weitergeht, wird nun maßgeblich davon abhängen, inwieweit die palästinensische Regierung das Heft in der Hand behält, die öffentliche Ruhe und Ordnung gewährleisten und vor allem verhindern kann, dass der Gaza-Streifen nicht zu einer Basis für Terroranschläge gegen Israel wird. Der Aufbau eines gutnachbarlichen Verhältnisses wird nun oberstes Gebot, auch wenn sich dies momentan die Hardliner auf beiden Seiten noch nicht vorstellen können. Dazu gehört jedoch auch, dass Gaza organisatorisch und ökonomisch lebensfähig wird. Selbst-verständlich wird die Weltgemeinschaft dabei helfen, in vorderster Linie die Europä-ische Union. Israel jedoch kommt weiterhin eine wichtige Rolle zu, insbesondere was die Verbindungen dieses neuen palästinensischen Teilstaates mit den anderen palästinensischen Gebieten auf der Westbank sowie mit der übrigen Welt anbetrifft. Wichtig ist daher die Lösung der diesbezüglichen offenen Fragen hinsichtlich der notwendigen Verbindungswege nach Ramallah, Jerusalem, Hebron, Nablus etc. sowie hinsichtlich des Airports und eines Seehafens.

Niemand sollte sich jedoch darüber Illusionen machen, dass mit diesem positiven Schritt der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern nun grundsätzlich auf einen guten Weg sei. Genauer betrachtet werden zwei große Gefahren sichtbar, die die Wiederaufnahme und erfolgreiche Umsetzung der "Road Map" gefährden werden:
Erstens werden die radikalen Kräfte bei den Palästinensern den Gaza-Abzug als Erfolg ihres bewaffneten Widerstandes gegen Israel werten, mit der Konsequenz, dass dies nun nach gleichem Muster auch in der Westbank erfolgen müsse.
Zweitens wird sich in Israel die Haltung verfestigen, dass der Rückzug aus Gaza zwar eine schmerzhafte Grenzbereinigung war, dass damit aber weitere Rückzüge aus den Siedlungen in "Galiläa und Samaria" nicht mehr in Frage kämen.

Diese jetzt schon sichtbaren Denkweisen verheißen nichts Gutes, sondern stellen eine große Gefahr dar für jegliche lebensfähige Zweistaaten-Lösung. Beide kaum zu vermeidenden Entwicklungen verstoßen gegen den Geist von Oslo, ohne dessen Wiederbelebung die Konfrontation im israelisch-palästinensischen Verhältnis nicht überwunden werden kann. Dazu muss versucht werden, strukturelles Unrecht ebenso wie direkte Gewalt zu überwinden. Auf palästinensischer Seite ist dazu ein grundsätzlicher Verzicht auf jeglichen Terror erforderlich, und die umliegenden arabischen Staaten müssen endlich zu wirklichem Frieden mit Israel bereit sein.
Auf israelischer Seite muss die mit unmenschlichen Trennmauern abgesicherte völkerrechtswidrige Aneignung eines großen Teils der Westbank ebenso in Frage gestellt werden wie die immer mehr ausufernde Siedlungspolitik.

Es ist höchste Zeit, und das erfolgreiche Gaza-Disengagement ist ein guter Anlass dazu, dass ein neuerlicher Kraftakt der internationalen Gemeinschaft unternommen wird, um endlich gangbare und tragfähige Wege aus dem sich abzeichnenden Dilemma zu suchen.