"Es liegt nahe, mit Russland nicht aggressiv umzugehen"

Gernot Erler im Interview mit Thomas Fricker, Badische Zeitung,  am 15. Februar 2016 

Fricker: Herr Erler, im Vorjahr war in München nur von der Ukraine die Rede, jetzt dreht sich fast alles um Syrien. Ist die Staatengemeinschaft nicht in der Lage, sich mit mehreren Krisen zu befassen?

Erler: Es ist klar, dass durch die globale Wirkung des Syrienkonflikts, vor allem wegen der Flüchtlingsströme, dieses Thema aktuell alles überlagert. Aber der Ukrainekonflikt ist nicht vergessen. Es hat dazu übrigens am Rande der Konferenz auch ein Außenministertreffen gegeben.

Fricker: Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist ebenfalls aufgetreten und hat erklärt, russische Truppen würden weiter jeden Tag die ukrainisch-russische Grenze überqueren, der Konflikt sei nichts als eine russische Aggression. Zugleich braucht der Westen Russland als Partner in Syrien. Wie geht man damit um?

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Erler: Unsere deutsche Position ist, dass man die Dinge nicht vermischt. Wir brauchen ein verhandlungsbereites und konstruktives Russland, um im Syrienkrieg zu einer politischen Lösung zu kommen. Deshalb liegt es nahe, auch sonst mit Russland nicht aggressiv umzugehen. Aber wir trennen die Ukraine-Politik vom Syrien-Thema. Es kann keinen Rabatt geben für Russlands Goodwill in der Syrienfrage. Hinsichtlich des Ukrainekonflikts ist klar: Die Sanktionen gegen Russland sind verknüpft mit dem Minsker Abkommen. Wird das nicht vollständig umgesetzt, können die Sanktionen nicht aufgehoben werden.

Fricker: Welches ist das entscheidende Hindernis?

Erler: Da gibt es eine ganze Reihe. Die ukrainische Seite tut sich schwer, den politischen Teil umzusetzen, also etwa die Verfassungsänderung zur Etablierung einer regionalen Autonomie. Deshalb versucht Kiew, die Reihenfolge von Minsk umzudrehen. Präsident Poroschenko stellt inzwischen die Kontrolle der Grenze an die erste Stelle, was im Fahrplan von Minsk ziemlich weit hinten kommt. Dieser Konflikt ist nur schwer zu lösen. Man muss die russische Seite fragen, ob sie nicht selber ein Interesse daran haben sollte, die Bedingungen dafür zu verbessern, dass die ukrainische Seite ihren Teil der Bedingungen erfüllen kann. Ich bin davon überzeugt, dass ohne eine wirklich eingehaltene Feuerpause, ohne einen wirklichen Rückzug der schweren Waffen und ohne die russische Bereitschaft, sich mit der Frage der Grenzkontrolle zumindest zu befassen, Poroschenko keine Chance hat, die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für die Verfassungsänderung im Parlament zu bekommen. Leider beschränkt sich Russland darauf, Anklagen gegen Kiew zu formulieren. Das ist sachlich nicht falsch, führt aber nicht weiter. 

Fricker: Wie beurteilen Sie die Rhetorik der Vertreter Russlands in München – von der indirekten Warnung vor einem Dritten Weltkrieg bis zur Klage über den Ausbruch eines neuen Kalten Krieges?

Erler: Zunächst war bemerkenswert, dass Ministerpräsident Medwedew anknüpfte an Wladimir Putins Wutrede in München im Jahr 2007. Am Ende lag die Parallelität aber hauptsächlich in der Geschwindigkeit des Vortrags. Medwedew und auch Außenminister Lawrow haben dieselbe Taktik verfolgt: Man will alle großen Krisen dieser Welt nebeneinanderstellen und kommt dann zu dem Schluss: Es gibt gar keine Alternative, als mit Russland zusammenzuarbeiten. Die Verantwortung, dass dies nicht oder nicht reibungslos funktioniert, wird dem Westen zugeschoben. Diese Argumentation ist in sich logisch, nur unterschlägt sie, dass es immer wieder Aktionen von Russland gibt, die eine Zusammenarbeit erschweren. Wer hat denn einseitig eine Militärmacht in Syrien aufgebaut und dann angefangen zu bombardieren? Wer hat immer noch nicht die ersten Punkte von Minsk umgesetzt und unterstützt weiter die Separatisten? All diese Aktionen passen leider nicht zum Wunsch nach Kooperation.

© Badische Zeitung