"Russland trägt Mitverantwortung"

Gernot Erler im Interview mit Ludwig Greven am 09. Februar 2016 

Der Russlandbeauftragte Gernot Erler wirft Putin vor, den Konflikt in Syrien zu eskalieren. Er warnt vor einer militärischen Konfrontation mit der Türkei. 

Greven: In die Genfer Syriengespräche sind viele Erwartungen gesetzt worden. Nun wurden sie gleich für längere Zeit unterbrochen, stattdessen setzt das Assad-Regime mit Unterstützung russischer Bomber seinen Vormarsch auf Rebellenhochburgen fort. Konterkariert das nicht alle diplomatischen Bemühungen und zerstört die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand? 

Erler: Die Bombenangriffe sind mehr als ein Stolperstein für die Genfer Gespräche. Und es gibt weltweit Übereinstimmung, dass Russland für den Abbruch der Gespräche eine Mitverantwortung trägt. Auch für das menschliche Leid, das dadurch entstanden ist. 

Greven: Hofft denn Assad nach Ihrer Ansicht, mithilfe der russischen Bomber und iranischer Einheiten große Teile des Landes zurückerobern zu können, bevor es irgendwann zu einer Einigung bei den Syriengesprächen kommt? 

Erler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass nach den Erfahrungen von fünf Jahren Bürgerkrieg irgendjemand die Hoffnung hat, diese Auseinandersetzung noch mit militärischen Mitteln gewinnen zu können. Das ist völlig ausgeschlossen. Aber es ist durchaus vorstellbar, dass Assad und Moskau glauben, sie könnten durch militärische Operationen die Verhandlungsposition von Assad und auch der russischen Seite verbessern. 

Greven: Welche Rolle spielt dabei Russland? Eine aktive? 

Erler: Eindeutig. Ohne die sehr, sehr intensiven russischen Luftangriffe in und um Aleppo herum wären diese Geländegewinne nicht machbar gewesen. Russland bekennt sich ja auch dazu und sagt deutlich, dass das berechtigt sei, um zu Erfolgen zu kommen. Es gibt aber eine UN-Resolution vom Dezember letzten Jahres, in der alle militärischen Operationen gegen Zivilisten und zivile Einrichtungen strikt ausgeschlossen werden. 

Greven: Darum scheint sich die Regierung in Russland nicht zu scheren, auch wenn sie immer wieder das Gegenteil behauptet. 

Erler: Nach den Berichten von Beobachtern und den ausgelösten Flüchtlingsströmen sind eindeutig auch zivile Ziele getroffen worden. 

Greven: Welche Ziele verfolgt Putin in diesem Konflikt? 

Erler: Er hat schon sehr viel erreicht. Er hat sich durch die Luftangriffe in die Rolle eines Global Players hineinkatapultiert, der von Amerika auf Augenhöhe behandelt werden muss. Die ganze politische Klasse in Russland feiert das als einen Riesenerfolg. Aber es ist ein schizophrener Ansatz zu glauben, man könnte auf der einen Seite verlustreiche militärische Erfolge gegen bestimmte Oppositionsgruppen erreichen und diese gleichzeitig an den Verhandlungstisch bekommen, um eine politische Lösung zu erreichen. 

Greven: Was müsste der Westen jetzt tun? 

Erler: Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um massiv auf Russland einzuwirken, umgehend die Luftangriffe einzustellen. 

Greven: Was kann der Westen tun, um eine weitere Eskalation des Krieges und damit auch die Vertreibung von Millionen weiterer Flüchtlinge zu stoppen? Militärisches wohl kaum – sonst käme es zu einer direkten Konfrontation zwischen Russland und den USA. 

Erler: Die Möglichkeit einer direkten Konfrontation muss man schon ernst nehmen. Die syrischen Truppen nähern sich inzwischen der türkischen Grenze, wo es auf syrischer Seite türkische Einrichtungen für Flüchtlinge gibt. In Ankara ist besprochen worden, dass da jetzt auch deutsche Hilfsorganisationen helfen sollen, die Vertriebenen auf syrischem Gebiet zu versorgen. In dieser Gemengelage kann es jederzeit zu einem Konflikt zwischen Russland und der Türkei kommen. Das bilaterale Verhältnis ist ja seit dem Abschuss eines russischen Kampfjets im November schon denkbar schlecht. Das muss man auch in Moskau ernst nehmen. 

Greven: Bei einem Konflikt Russlands mit der Türkei müssten alle Nato-Staaten der Türkei zu Hilfe eilen – mit unabsehbaren Folgen. 

Erler: Ich hoffe, dass Putin sieht, welch brisante Konstellation das ist. Sollte es da zu einem neuen Zwischenfall kommen wie im November, wäre das eine absolut gefährliche Situation.  

Greven: Sie selbst haben immer wieder gesagt, dass man den Gesprächsfaden mit Moskau nicht abreißen lassen dürfe, da Russland zur Lösung wichtiger Konflikte wie eben in Syrien gebraucht werde. Sind Sie jetzt desillusioniert? 

Erler: Ich habe gesagt, jede Möglichkeit auf die russische Seite Einfluss zu nehmen, muss genutzt werden. Das geht nur im Gespräch. Das gilt auch jetzt. Und es gibt ja noch die andere Seite, den Ukraine-Konflikt. Auch da nutzen wir alle Gelegenheiten, unsere Bedenken und klaren Forderungen Russland gegenüber vorzubringen. 

Greven: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat vergangene Woche nach einem Besuch bei Putin empfohlen, die Sanktionen gegen Russland zu lockern. Sind Sie auch der Ansicht, dass es Zeit dafür ist? 

Erler: Ich hätte mir gewünscht, dass sich auch der bayerische Ministerpräsident an den Konsens in der EU gehalten hätte, der schwer genug war aufrecht zu erhalten und der besagt: Das Ende der Sanktionen ist geknüpft an die Umsetzung der 13 Punkte des Minsker Abkommens. Das ist die europäische Position, an die sich auch Ministerpräsidenten halten sollten. 

Greven: Kann ein Land, das weiterhin in der Ukraine an einem Konflikt beteiligt ist und in Syrien aktiv Krieg führt, ein Partner für Deutschland sein? 

Erler: Was Syrien betrifft, ist Russland ja nicht alleine. Es gibt auch andere Mächte, die dort Luftangriffe fliegen... 

Greven: … die USA, aber mit einem ganz anderen Ziel, nämlich den IS einzudämmen. 

Erler: Wenn Russland seine neugewonnene Position nutzen will, dann muss es die UN-Resolution beachten und es darf nicht die Chancen auf einen Frieden torpedieren. Das gilt sowohl für den Ukraine- wie für den Syrienkonflikt. 

Greven: Also müsste Putin zeigen, dass er nicht nur Kriege führen, sondern auch Frieden stiften kann. 

Erler: Je mehr Russland wieder in der ersten Liga spielt, desto mehr muss es akzeptieren, dass das auch mit Verantwortung verbunden ist. Und da darf man ja mal daran erinnern, dass die neuen Flüchtlingsströme, die die russischen Bombardierungen ausgelöst haben, ja nicht zu einem Problem für Russland werden, sondern für Europa und insbesondere Deutschland. 

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