Russlandbeauftragter der Bundesregierung fordert neue Impulse für Ost-Ukraine

Gernot im SWR Tagesgespräch, 24 August 2015

Baden-Baden: Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, fordert neue politische Impulse für den Friedensprozess im Osten der Ukraine. Erler (SPD) sagte im Südwestrundfunk (SWR) Tagesgespräch, das, was seit dem Abkommen von Minsk im Februar umgesetzt worden sei, sei nicht ausreichend. Der Besuch heute von Frankreichs Staatspräsident Hollande und dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko in Berlin bei Bundeskanzlerin Merkel sei ein Zeichen dafür, dass die Politik wisse, dass es einen neuen Anstoß geben müsse. Man habe verstanden, dass man sich nicht darauf verlassen könne, dass die in Minsk vereinbarten Punkte umgesetzt würden: „Wir wissen, dass es auch in der Ukraine starke Kräfte gibt, die auf eine militärische Lösung setzen.“ Im Moment, so Erler, sei der Prozess des Rückzugs der Waffen völlig unzureichend. Es gebe einen „völlig sinnlosen Stellungskrieg, der für beide Seite keine Vorteile bringt“. Die Grundlage für eine Lösung des Konflikts sei in Minsk geschaffen worden, es hapere aber am Willen, das auch umzusetzen.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Gediehn: Herr Erler, Sie haben Ende Februar gesagt – schon ein bisschen her – wenn Minsk II scheitert, wäre das eine Katastrophe. Seitdem sind im Osten der Ukraine etwa 1.500 Menschen getötet worden. Wie weit sind wir denn noch von diesem Scheitern, der Katastrophe entfernt?

 Erler: Es gibt durchaus auch ein paar positive Punkte, aber es ist nicht zureichend, was bisher umgesetzt worden ist von dem, was am 12. Februar vereinbart wurde. Und deswegen ist es einfach wieder notwendig, in den politischen Prozess einzusteigen, das heißt also, sich nicht darauf zu verlassen, dass in dieser trilateralen Kontaktgruppe mit den vier Arbeitsgruppen, die dort gebildet worden sind, Fortschritte erzielt werden, sondern dass man noch einmal einen politischen Anstoß gibt. Und dieser Besuch von Poroschenko und Hollande heute in Berlin, der ist schon auch ein Signal, dass die Politik versteht, dass es einen solchen Anstoß jetzt wieder geben muss.

Gediehn: Jetzt kommt nur ein Vertreter der Ukraine. Die Ukraine hofft auf weitere Waffenlieferungen des Westens, das ist kein Geheimnis. Poroschenko hat am Wochenende das Militär mit schweren Waffen noch einmal für den Kampf gegen die Separatisten im Osten seines Landes ausgestattet. Was müssen Merkel und Hollande ihm jetzt entgegenhalten heute?

Erler: Die europäische Position, die ja da lautet: Es gibt keine militärische Lösung dieses Konflikts, sondern nur eine politische. Und die EU engagiert sich, ganz besonders Deutschland und Frankreich, dafür, hier eine Lösung zu finden. Und die Grundlage dafür ist ja da. Es gibt ja diese 13 Punkte des Minsker Abkommens vom Februar dieses Jahres. Es hapert nur an dem politischen Willen, das auch tatsächlich umzusetzen, und da gibt es auch wichtige Punkte, die jetzt mit der Ukraine besprochen werden müssen. Wir sind jetzt bereits auch in dem politischen Prozess neben dem Prozess des Waffenstillstands und des Rückzugs der Waffen – völlig unzureichend wird das umgesetzt – aber wir sind auch in dem politischen Prozess mit einer neuen Verfassung für die Ukraine, mit Autonomie-Rechten für die Separatistengebiete, das steht drin in Minsk. Und da sind wir in einer ganz entscheidenden Phase. Morgen wird die Rada, das ukrainische Parlament über den neuen Verfassungsentwurf reden. Und es ist gar nicht einfach für den Präsidenten, das, was er international zugesagt hat, hier auch umzusetzen.

Gediehn: Heißt das, es ist heute wichtig, Poroschenko in Berlin zu stärken, innen- und außenpolitisch? Oder muss man ihm nicht auch, wie ich es gerade versucht habe, herauszufragen, auch ein bisschen Druck machen? Was ist wichtiger?

Erler: Ich glaube, dass es ganz klare Positionen der Vertreter der EU gibt, also von der Bundeskanzlerin und von François Hollande, dass wir an dieser Position festhalten, dass es keine militärische Lösung geben kann. Und wir gehen mit den Zahlen der Toten auf die Zahl 7.000 zu. Wir haben fast täglich Verluste. Und im Grunde genommen haben wir einen Stellungskrieg im Augenblick, der völlig sinnlos ist. Der für keine Seite irgendwelche Vorteile bringt. Das wird eine ganz feste Position sein. Wir wissen, dass es da in der Ukraine auch starke Kräfte gibt, die auf eine militärische Lösung setzen. Aber der Hauptpunkt wird sein: Wie werden die politischen Punkte des Minsker Programms umgesetzt?

Gediehn: Und diese Frage müsste doch eigentlich dann heute, auch mit, um noch einmal darauf zurückzukommen, auch mit ein bisschen Druck verbunden sein. Sonst ist es doch nur ein Foto-Termin.

Erler: Nein, das wird sicher kein Foto-Termin sein, denn der Termin ist auch angesetzt worden, weil man eben weiß, wie wichtig es ist, dass es politisch vorangeht. Dass die Hoffnung bewahrt wird, jedenfalls, dass wir eine politische Lösung bekommen können. Und deswegen ist diese Initiative, die ursprünglich von Kiew ausging auch, von westlicher Seite auch in diesem Format, in diesem Dreier-Format doch begrüßt worden und akzeptiert worden.

Gediehn: Sie haben es gerade angesprochen, ein Dreier-Format. Das heißt, die EU wird vertreten, nicht offiziell, aber in dem Fall von Merkel und Hollande. Putin, Russland überhaupt nicht am Tisch. Was muss also als Nächstes passieren? Wie sinnvoll ist so ein Treffen, ohne dass wir wissen, nächste Woche sitzen wieder alle vier Parteien am Tisch?

Erler: Ja, also das Normandie-Format, wie man das so schön nennt, also das Format Russland, Ukraine, Frankreich und Deutschland, lebt weiter. Am 23. Juli hat das letzte sogenannte N4-Telefonat – also man nennt abgekürzt dieses Normandie-Format N4 – stattgefunden. Und die nächsten Kontakte sind bereits verabredet. Das wird also weiterlaufen. Aber in diesem Fall war es eben so, dass das eine Initiative war aus Kiew, die zum richtigen Zeitpunkt kam, nämlich da, wo der politische Prozess ins Stocken geraten ist, wo wichtige Entscheidungen in der Ukraine bevorstehen. Und da geht es natürlich darum, die EU-Position deutlich zu machen, aber eben auch, Poroschenko ein bisschen den Rücken zu stärken, sich gegen diejenigen Kräfte auch durchzusetzen in der Ukraine, die nicht an einem Erfolg des politischen Prozesses interessiert Dersind. Und leider gibt es die, und wir befinden uns schon in so einer Art Vorwahlkampf. Am 25. Oktober sind ja Kommunal- und Regionalwahlen. Und da geht es zur Sache auch in der ukrainischen Politik

- Ende Wortlaut –