Gernot Erler: Die Ukraine nach den Wahlen - die Probleme bleiben

Von Gernot Erler, MdB, Koordinator für Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft

Internationaler Infodienst der SPD Nr. 113

Mit den Rada-Wahlen vom 26. Oktober gibt es in der Ukraine wieder ein legitimiertes, den aktuellen Wählerwillen repräsentierendes Parlament. Die Bildung einer handlungsfähigen, prowestlichen Regierung, die den auf eine politische Lösung des Konflikts mit Russland hinarbeitenden Präsidenten Petro Poroschenko stützt, erscheint möglich. Die radikale Rechte (Swoboda und Rechter Sektor) erlitt eine politische Niederlage und wird in der Rada nur mit zusammen vier Direktmandaten vertreten sein. Die russische Propaganda, die nicht müde wird, von einer "faschistischen Junta" in Kiew zu sprechen, wird es damit noch schwerer haben, Belege für dieses Verdikt zu liefern. Es gibt die Chance, dass sich das politische Leben in der Ukraine künftig in etwas ruhigeren Bahnen bewegt.

Aber eine ganze Reihe von Fragen und Problemen bleibt auch weiter ungelöst:

1) Noch immer wird der Waffenstillstand vom 5. September nicht durchgängig beachtet und seine Vereinbarungen warten weiter auf Umsetzung, vor allem die Bildung der Pufferzone und die Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze, beides unter OSZE-Beobachtung;

2) Mit den angekündigten "Volksrepublik"-Wahlen am 2. November verstoßen die Separatisten gegen den Wortlaut der Minsker Vereinbarungen und werden dabei von Moskau ausdrücklich unterstützt, was neue Zweifel an der  russischen Bereitschaft zur Deeskalation aufkommen lässt;

3) Der Blick wird sich jetzt stärker auf die ökonomische Krisensituation des Landes richten, die durch weitere Aufschübe bei der Lösung des Gasstreits verschärft würde und sich zum Test für die westliche Bereitschaft entwickeln wird, weitere Milliardensummen zur Vermeidung eines Staatsbankrotts zur Verfügung zu stellen;

4) Der politische Teil des EU-Assoziierungsabkommens fordert der noch zu bildenden neuen Regierung ein umfassendes Reform- und Transformationsprogramm ab, das zwangsweise unpopulär bleiben wird und auf das die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung, die eher in einem raschen EU-Beitritt die Lösung aller Probleme sieht, kaum vorbereitet ist;

5) Weiter wird der Westen, die Ukraine eingeschlossen, mit der Unsicherheit konfrontiert bleiben, was die eigentlichen Ziele der russischen Politik in dem Konflikt sind: eine weitere Annektierung nach dem Muster Krim, die Bildung des Pufferstaates "Novorossija", eine "Transnistrisierung" über den Sonderstatus von Donezk /Lugansk oder eine Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine bei bestimmten politischen und wirtschaftlichen (DCFTA-Regime) Zugeständnisse.

Deutschland ist, ohne sich dafür zu bewerben, bei diesem Konflikt in eine Führungsrolle gedrängt worden, woran sich nichts ändern wird. Es war richtig und letztlich teilweise erfolgreich, die OSZE mit Beobachtungs- und Vermittlungsfunktionen ins Spiel zu bringen, sich völlig auf eine politische Lösung festzulegen, die "Kontaktgruppe" ins Leben zu rufen und auf verschiedenen Ebenen den politischen Dialog immer wieder anzuschieben. Jetzt beginnt eine neue Phase, ohne Garantie, dass es nicht erneut zur Gewaltanwendung kommt. Es wird angesichts der vielen anderen Weltprobleme viel Kraft kosten, genügend politische und materielle Ressourcen zu mobilisieren, um gemeinsam die Deeskalation des Konflikts voranzutreiben und eine nachhaltige politische Lösung näher zu bringen.