SPD-Außenpolitiker Erler: deutsch-russisches Verhältnis ist angespannt

SWR 2 Tagesgespräch mit Pascal Fournier, 5. Dezember 2013

Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, sieht das deutsch-russische Verhältnis derzeit angespannt. Russland reagiere zunehmend empfindlich auf deutsche Kritik an der russischen Innenpolitik, beispielsweise an Russlands Umgang mit der Opposition oder den restriktiven Homosexuellen-Gesetzen, sagte der SPD-Außenpolitiker im Südwestrundfunk (SWR). 

Im aktuellen Konflikt um die EU-Anbindung der Ukraine sieht Erler aber kein Indiz für eine grundsätzliche Abkehr Russlands vom Westen. Die Ukraine sei für Russland historisch bedingt ein „Bruderland", dessen inzwischen über 20jährige Unabhängigkeit viele Russen bis heute nicht vollständig akzeptiert hätten, so der Außenpolitiker. Hinzu komme nun allerdings eine „sehr ehrgeizige Planung" des russischen Präsidenten Putin, der 2011 eine Eurasischen Union nach EU-Vorbild angeregt hat.

Eine Orientierung der Ukraine an Russland müsse für Europa nicht grundsätzlich negativ sein, sagte Erler im SWR-Interview. Leider aber sei in den vergangenen Monaten eine „Entweder-Oder-Situation entstanden, die einige Beobachter an den Kalten Krieg erinnert". Diese Rückkehr zu alten Gegensätzen, so Erler weiter, sei „keine gute Entwicklung". 

Den Petersburger Dialog, der derzeit in Kassel stattfindet, sieht der SPD-Politiker durch die jüngsten Differenzen nicht gefährdet. Abseits der „offiziellen Reden" würde in den Arbeitsgruppen offen gesprochen. Das sei der Sinn des Petersburger Dialogs, und diese „Kultur des offenen Austausches" hätten alle Teilnehmer von Anfang an geübt.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Fournier: Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine sorgen für Misstöne zwischen Deutschland und Russland. Ein Treffen von Bundesaußenminister Westerwelle mit Oppositionsführer Klitschko gestern Abend in Kiew kritisierte der russische Außenminister Lawrow postwendend als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine". Reaktion Westerwelle, Zitat: „Wir sind Europäer und lassen uns von niemandem vorschreiben, ob wir zueinander finden und wie wir zueinander finden". Das klingt auf beiden Seiten nicht all zu freundlich. Diese kurze Auseinandersetzung der beiden Außenminister, wie symptomatisch ist die für das derzeitige deutsch-russische Verhältnis?

Erler: Ja, dieses deutsch-russische Verhältnis ist im Augenblick angespannt. Es ist vor allem eigentlich die Kritik aus Russland, dass es schlechte Noten, schlechte Beurteilungen von Russland gibt in Deutschland. Dass immer wieder Kritik geübt wird, vor allen Dingen, was die Innenpolitik angeht, also der Umgang mit der Opposition, der Umgang mit der Zivilgesellschaft, die Gesetzgebung, die gemacht wird, auch der Umgang mit gleichgeschlechtlich orientierten Menschen, usw. Das sind die Dinge, die eigentlich belastend sind. Und jetzt kommt eben auch noch, ein bisschen plötzlich, ein außenpolitisches Thema dazu, was Sie angesprochen haben. Das ist die Frage des Assoziationsabkommens mit der Ukraine, wo Deutschland besonders aktiv - das ist ein bisschen auffällig - eben hier agiert, und besonders aktiv versucht, hier die ukrainische Seite, die gerne dieses Assoziationsabkommen unterschreiben will, zu unterstützen.

Fournier: Viele sehen in dem russischen Versuch, diese Europaannäherung der Ukraine zu verhindern, einen Versuch, den alten Einflussbereich aus Sowjetzeiten wieder zu erlangen. Wie bewerten Sie das, ist das eine grundsätzliche russische Abkehr von Europa?

Erler: Also, ich würde im Falle der Ukraine da eher auf eine andere Spur kommen. Es ist so, dass die Ukraine eben ein Land ist, dessen Unabhängigkeit von vielen russischen Bürgerinnen und Bürgern nie so richtig akzeptiert worden ist, jedenfalls nicht vom Herzen, weil es hier einen sehr, sehr engen historischen Zusammenhang gibt. Die „Kievskaja Rus war sozusagen die Wiege der russischen Kultur, auch der russischen Sprache. Und man hat in Russland, ohne dass man das politisch werten muss, immer das Gefühl gehabt, dass die Ukraine eigentlich ein Bruderstaat ist, also dass das eigentlich Brüder und Schwestern sind, von denen man sich nicht distanzieren möchte, und hat insofern nie ganz richtig diese Unabhängigkeit, die ja nun schon über 20 Jahre besteht, der Ukraine, akzeptiert. Und darauf baut sich vieles in der russischen Politik auf. Aber dahinter steckt eben auch eine sehr ehrgeizige Planung von Wladimir Putin, der 2011 im Wahlkampf eine „Eurasische Union", wie er das genannt hat, ins Spiel gebracht hat. Interessanterweise sehr eng, bis hin zur Sprache, angelehnt an die Europäische Union. Auch mit einer Eurasischen Kommission, die wie die Europäische Kommission fungieren soll. Der auf diese Weise eigentlich, wenn man so will, europäische Prinzipien nutzen will, um so etwas wie eine Sammlung, wieder eine Einsammlung, der postsowjetischen Republiken zu versuchen.

Fournier: Also Abkehr von Europa?

Erler: Na ja, das ist ja eigentlich auch unser Interesse, dass in der Region eine engere Zusammenarbeit stattfindet. Und wenn die nach, sage ich mal, europaähnlichen Prinzipien, EU-ähnlichen Prinzipien stattfindet, muss das nicht unbedingt gegen unser Interesse sein. Aber leider ist es, in den letzten Monaten jedenfalls, doch so gelaufen, dass hier durch dieses Assoziationsabkommen für die Ukraine auf der einen Seite und die sogenannte Zollunion, für die also Putin die Ukraine gewinnen will, so eine „Entweder-oder-Situation" entstanden ist, die einige Beobachter schon an den Kalten Krieg erinnert. Weil es hier ein bisschen so aussieht, als ob eine geopolitische Entscheidung jetzt gefällt werden muss in Kiew: „Wollt Ihr in Richtung EU, oder wollt Ihr in Richtung dieser Zollunion, später Eurasischen Union von Wladimir Putin?" Und das ist eigentlich keine gute Entwicklung, weil hier kommen wir zu alten Gegensätzen zurück, die ein bisschen unerwartet jetzt virulent werden.

Fournier: Gestern hat in Kassel der Petersburger Dialog begonnen, das deutsch-russische Gesprächsforum, das seinerzeit von Kanzler Schröder und Präsident Putin ins Leben gerufen wurde. Wie frei kann man denn, vor dem aktuellen Hintergrund, in Kassel überhaupt miteinander sprechen?

Erler: Also, frei sprechen konnte man bei dem Petersburger Dialog eigentlich bisher immer, weil es dort ja verschiedene Ebenen gibt. Es gibt nicht nur die offiziellen Reden vor großem Publikum, so wie das gestern der Fall war, sondern wir gehen ja heute in die acht Arbeitsgruppen, und dort ist man weitgehend ohne öffentliche Beobachtung, und dort wird offen geredet, und das ist ja auch der Sinn des Petersburger Dialoges. Und diese Kultur des offenen Austausches haben wir von Anfang an eigentlich geübt. Darüber mache ich mir also auch keine großen Sorgen.

 

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