Erler: Thomas de Maizière hat gegen die Rechte der Opposition verstoßen

Interview im Deutschlandradio, 5. Juni 2013 

Thomas de Maizière habe sein Ministerium nicht im Griff, meint Gernot Erler. Der Vize-Fraktionschef der SPD im Bundestag wirft dem Verteidigungsminister vor, im Euro-Hawk-Skandal Informationen zu verschleiern und die Opposition bei der Aufklärung des Falls zu behindern.

Tobias Armbrüster: Mitgehört hat Gernot Erler, Fraktionsvize der SPD im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen!

Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

Armbrüster: Herr Erler, ist Thomas de Maizière ein hervorragender Verteidigungsminister?

Erler: Thomas de Maizière hat gegen die Rechte der Opposition massiv verstoßen. Am 10. 5. hat er seine Entscheidung getroffen, wir haben ihm Fragen gestellt, keine einzige von diesen Fragen ist gegen die Regeln des Bundestages bisher beantwortet, ein unerhörter Vorgang. Wir haben schriftliche Fragen gestellt, die nicht beantwortet wurden. Wir haben versucht, eine Debatte mit ihm zu vereinbaren, das ist verhindert worden. Und Sie haben ja selbst berichtet, dass jetzt der Trick angewandt wurde mit der Aktuellen Stunde, sodass er sich auch jetzt noch, auch heute noch einer direkten Konfrontation mit den Abgeordneten entzieht.

Armbrüster: Aber ist es nicht durchaus fair, einem Minister ein paar Tage Zeit zu lassen, um seine Unterlagen zu sammeln?

Erler: Es geht erstens mal nicht um ein paar Tage, sondern um drei Wochen, und es geht einfach nicht, dass hier so etwas von Abtauchen, Hinhalten und Auskunft verweigern besteht. Dieses Ausmaß habe ich in 25 Jahren im Bundestag noch nie erlebt, das ist einmalig.

Armbrüster: Immerhin will er heute in zwei Ausschüssen Rede und Antwort stehen.

Erler: Ja, nachdem er gestern erst den Bericht angekündigt hat, hier den 70 Seiten Bericht, dass wir den zugeleitet bekommen. Wir haben ihn immer noch nicht. Das heißt, wir gehen in die Ausschussgespräche rein, ohne diesen Bericht zu kennen. Der wird dann vielleicht als Tischvorlage geliefert. Jedenfalls ist das völlig gegen jeden Usus, gegen jede Regel im Bundestag. Bei solchen Vorlagen hat man wenigstens die Möglichkeit, vorher reinzugucken, damit man überhaupt zu einem vernünftigen Gespräch bereit ist und vorbereitet ist.

Armbrüster: Das heißt, keiner Ihrer Abgeordneten hatte auch nur einen Blick darauf oder Auszüge gesehen?

Erler: Nein! Und die Koalitionsfraktionen sind von ihm mündlich unterrichtet worden. Herr Beck hat jetzt schon in Kenntnis eines Gesprächs mit Herrn de Maizière hier sprechen können. Wir gehen mit null in der Hand in diese Gespräche.

Armbrüster: Herr Erler, kann der Bundesverteidigungsminister denn heute seinen Job retten?

Erler: Das hängt davon ab, was er sagt, vor allen Dingen, ob er die entscheidende Frage beantwortet, an der sich auch eben Herr Beck vorbeigemogelt hat. Die entscheidende Frage ist: Im Februar 2012 hat die Rüstungsabteilung des Hauses, des Ministeriums einen Vermerk gemacht, wo über diese Zulassungsprobleme geredet wurde, wo diese Risiken von 250 bis 600 Millionen Euro angesprochen wurden, und gesagt, es gibt keine Garantie auf Erfolg. Beide Staatssekretäre, die beamteten, haben diesen Vermerk abgezeichnet, auch noch da Kommentare draufgeschrieben. Das heißt, von diesem Zeitpunkt an weiß das Haus über die Risiken, und die Reißleine wird 15 Monate später erst gezogen: am 10. Mai dieses Jahres.

Armbrüster: Na ja, da war aber der große Teil des Geldes bereits ausgegeben.

Erler: Na ja! Auch dazwischen hat es noch eine ganze Reihe von Änderungsverträgen gegeben. Das haben wir jetzt erst erfahren aus der Vorlage des Bundesrechnungshofes, welche überhaupt da stattgefunden haben. Denn es ist ja auffällig, dass bei den Änderungsverträgen, das heißt also den Kostensteigerungen, jeweils es so gestückelt wurde, dass keine 25 Millionen zusammenkamen. Dann hätte man den Bundestag unterrichten müssen. Wir haben jetzt praktisch erst durch diese Vorlage über die Kostensteigerungen, die inzwischen stattgefunden haben, erfahren.

Armbrüster: Würden Sie sich damit zufriedengeben, wenn Herr de Maizière heute einen hochrangigen Beamten aus seinem Ministerium entlässt?

Erler: Wir wissen ja gar nicht, was in dem Bericht drinsteht, wer jetzt eigentlich die Verantwortung da bekommen soll. Davon hängt es ja ab, ob das dann angemessen ist, wie man reagiert. Erst muss ja mal geklärt werden, was dieses folgenschwere Organisationsversagen - so titelt oder so steht es im Rechnungshofsbericht -, wer dafür verantwortlich ist. Wer ist für dieses Organisationsversagen verantwortlich gewesen? Dann kann man erst bewerten, ob die Reaktion auch angemessen ist.

Armbrüster: Was ist denn Ihr oberflächlicher Eindruck? Hat der Minister sein Ministerium im Griff?

Erler: Also das kann man nun ganz bestimmt nicht sagen, dass er es im Griff hat. Der ganze Bericht des Rechnungshofes ist voll davon, dass solche organisatorischen Schwächen auch schon länger sichtbar geworden sind und nicht abgestellt worden sind. Und dazu muss man wissen, dass der Verteidigungsminister in der Vergangenheit immer gerade gesagt hat, dass auf diesem Bereich Handlungsbedarf besteht und dass er sozusagen hier in den Vordergrund treten wollte mit Änderungen in diesem Bereich. Das heißt, da wo er Ehrgeiz hatte, ist jetzt die schlechteste Bewertung entstanden.

Armbrüster: Herr Erler, welche Verantwortung trägt die SPD für dieses ganze Fiasko? Immerhin hat das ganze ja unter Rot-Grün begonnen.

Erler: Dazu muss man doch noch mal sagen: Natürlich sind mehrere Bundesminister an einem solchen Großprojekt beteiligt von den Anfängen. Aber das Projekt ist doch nicht das Problem. Das Projekt ist unumstritten, auch bis heute bei den Abgeordneten. Nur die Art und Weise, wie es ab 2009, ab 2011 dann geschehen ist, dass Risiken nicht gesehen worden sind, das ist das Problem, nicht das Projekt selbst.

Armbrüster: Live bei uns hier im Deutschlandfunk war das heute Morgen der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler, zuständig in seiner Fraktion für die Außen- und Verteidigungspolitik. Vielen Dank an Sie.

Erler: Ich danke Ihnen.

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