Obama 2.0

Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 18. Februar 2013

Die Rede des amerikanischen Präsidenten an seine Nation enthält eine Reihe von außenpolitischen Botschaften, die die deutsche Unterstützung verdienen.

Das war zu erwarten: Barack Obamas State-of-the-Union-Rede vom 12. Februar elektrisierte Europa mit der Ankündigung einer transatlantischen Freihandelszone. Das schob alle anderen Auskünfte zur internationalen Politik beiseite. Allerdings sehr zu Unrecht: Denn es lassen sich drei weitere wichtige und folgenreiche Botschaften erkennen.

Die erste lautet: Keine Großinterventionen mehr. So etwas wie Afghanistan und Irak wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Präsident Obama will nicht mehr Zehntausende von Soldaten ins Ausland schicken, um im Kampf gegen den Terrorismus „andere Länder zu besetzen" („occupy other nations"). Bedrohte Länder - der Präsident nennt als Beispiele Jemen, Libyen und Somalia - sollen zukünftig selber mehr Verantwortung übernehmen, mit amerikanischer Unterstützung. Das ist zu begrüßen, sofern sich die Hilfe nicht allein auf den Einsatz von Kampfdrohnen reduziert, um regionale Terrorstrukturen zu zerschlagen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf Mali. Verbündete können, wo sie eingreifen, auf US-Unterstützung rechnen. An Paris hat Washington übrigens schon 50 Millionen Dollar für den Mali-Einsatz überwiesen.

Unterstützenswerter Ansatz

Auch wenn der Begriff selbst nicht vorkommt, so steht er aber im Hintergrund für diese ziemlich neue Doktrin: Regionale Eigenverantwortung (ownership) statt Intervention. Die Konsequenz lautet: Regionalorganisationen stärken, wie etwa die African Union und Ecowas in Afrika, und örtliche Sicherheitskräfte aufbauen und befähigen, damit Eigenverantwortung wahrgenommen werden kann, wie die Exitstrategie in Afghanistan gerade beweisen soll. Man könnte das Ganze auch Konstruktiven Isolationismus nennen.

Die zweite Botschaft: Kein Freiheitskreuzzug mehr. Vorbei die Zeiten von George W. Bush, der mit Feuer und Schwert der Demokratie zum Durchbruch verhelfen wollte, besonders aggressiv im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika. Zwar sollen die Vereinigten Staaten weiter ein „Leuchtfeuer der Freiheit" bleiben. Dabei will Obama auf das gute Vorbild setzen und zitiert eine Stimme aus Rangun: „In den Vereinigten Staaten gibt es Gerechtigkeit und Gesetze. Ich will, dass unser Land so wird." Was für ein Unterschied zu Zeiten, wo autokratische Regime hinter jeder von Washington finanzierten Freiheitsfahne oder Demokratiebewegung den Anfang einer Regime-Change-Strategie fürchten mussten.

Leuchtfeuer mag etwas poetisch klingen, aber der Ansatz ist unterstützenswert. Er basiert darauf, sich auf die Strahlkraft des guten Vorbilds zu verlassen, was ja automatisch die Wahrung des guten Vorbildes zur Maxime für den Erfolg amerikanischer Außenpolitik erhebt. Hier lassen sich Brücken schlagen zu Konzepten von „kluger Macht", wie einst vom großen deutschen Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel entworfen, und zu neorealistischen Warnungen vor einem „hegemonial overstretch" (Kenneth Waltz) bei einer Fortsetzung offensiver Machtpolitik. Vor dem Kongress bekannte Obama auch, Amerika könne den Wandel in Ländern wie Ägypten nicht diktieren, aber auf die Achtung der Grundrechte aller Menschen bestehen. Man könnte es global value-oriented governance nennen, also eine Orientierung an global geltenden Werten.

Beeindruckender Lernprozess

Die dritte Botschaft: Weltweite Armutsbekämpfung zunächst aus Eigeninteresse. Der US-Präsident zeigt hier eigenen, amerikanischen Ehrgeiz, geht dabei aber über die Millenniumsziele hinaus. Zusammen mit den Verbündeten will er in den kommenden 20 Jahren extreme Armut vollständig beseitigen, während das Millenniumsziel eine Halbierung bis 2015 vorsieht. Der Kontext macht klar: Armutsbekämpfung hat viel zu tun mit Terrorismusabwehr und einer Stabilitätspolitik ohne Großinterventionen. Es ist der notwendige Beitrag zu einer Welt, die nicht von Katastrophe zu Katastrophe wankt, ähnlich übrigens wie der Kampf gegen den Klimawandel, den der Präsident ebenfalls, wenn auch eher beiläufig, wieder auf die Politikagenda gehievt hat. Obama macht hier einen Schlenker bei der Begründung seines Fortschrittsprogramms für die armen Regionen der Welt. Es sei einfach, das Richtige zu tun. Man könnte von einer neuen Sozialen Millenniums-Zielvorgabe sprechen.

Wer Obamas Rede zur Lage der Nation auf diese Weise liest, wird sich fragen, wie denn eine adäquate deutsche Reaktion aussehen sollte. Die internationale Agenda von Obama 2.0 erschöpft sich nicht in einer Führung aus dem Hintergrund. Sie verdient ernst genommen zu werden als Zeugnis eines beeindruckenden Lernprozesses aus Amerikas Erfahrungen mit der Weltpolitik in den Jahren nach 9/11. Eine erfolgreiche Umsetzung der Botschaft des 44. US-amerikanischen Präsidenten zu seiner zweiten Amtszeit wäre im deutschen Interesse und verdient unsere Unterstützung.

Gernot Erler ist Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und war Staatsminister im Auswärtigen Amt.