Erler: Einziger Fahrplan ist und bleibt der Sechs-Punkte-Plan

Gernot Erler im Gespräch mit Sandra Schulz, Deutschlandfunk, 11. April 2012

Gernot Erler, SPD-Außenpolitiker, glaubt, dass Peking wie auch Moskau "entschieden auf Assad einwirken" müssten, da diese beiden Akteure besondere wirtschaftliche Verbindungen zu Syrien habe. Dennoch werden sich künftig die diplomatischen Bemühungen auf den Sechs-Punkte-Plan der UN ausrichten.

Sandra Schulz: Noch immer ist die Lage in Syrien unübersichtlich, zumal unparteiische Berichte von dort nach wie vor Mangelware sind. Das Regime in Damaskus spricht von einem Truppenabzug, seine Gegner von dreisten Lügen. Die Hoffnungen schwinden, dass die Waffen in dem Land spätestens morgen schweigen, so hat es der Plan Kofi Annans ja vorgesehen, der als Sondergesandter der UNO und der Arabischen Liga in dem Konflikt vermittelt. In der Nacht hat es schließlich neue Mahnungen aus New York gegeben, der UN-Sicherheitsrat forderte die syrische Führung zur Einhaltung der Waffenruhevereinbarung auf. Über die weiteren Perspektiven wollen wir jetzt hier in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Gernot Erler, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender und früher Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen! Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Schulz.

Schulz: Herr Erler, Kofi Annan hat sich gestern noch mal um eine zuversichtliche Sichtweise bemüht.

Schulz: Es sei zu früh, den Plan für gescheitert zu erklären, hat er gesagt. Der Plan liege noch auf dem Tisch und es gehe darum, ihn jetzt auch umzusetzen. Herr Erler, wie sehen Sie das?

Erler: Was soll er machen? Es ist klar: Es waren erst 24 Stunden vergangen, die nicht zufriedenstellend verlaufen sind, und der Sechs-Punkte-Plan sieht vor, dass 48 Stunden vorgesehen sind für die Einhaltung der Waffenruhe, die allerdings ausgehen sollte von ersten Schritten der Regierung in Damaskus, nämlich dem Rückzug aus den oppositionellen Gebieten, und ganz offensichtlich ist das bisher wenn überhaupt, dann höchstens teilweise passiert.

Schulz: Das heißt für die Perspektive, bis morgen früh werden die Waffen schweigen?

Erler: Ich glaube, dass kaum jemand so optimistisch ist zu glauben, dass das der Fall ist. Aber das Problem ist: Die Weltgemeinschaft hat nichts anderes als den Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan. Alle haben darauf gesetzt, haben versucht, dem die höchste Autorität zu geben, und Kofi Annan ist ja selbst sozusagen derjenige, der die höchste Autorität hier auch in dieser Region hat, und es gibt nichts anderes.

Schulz: Wenn der Plan scheitern sollte, wenn Kofi Annan scheitern sollte, was hieße das dann für das Land?

Erler: Das hieße, dass eine gefährliche Regionalisierung des Konfliktes droht. Wir haben ja erhebliche Flüchtlingsströme, schon über 50.000 Flüchtlinge in die Nachbarländer, in die Türkei, in den Libanon und andere, wir haben die Schüsse gehabt jetzt an Ostern über die Grenze hinweg in Richtung Flüchtlingslager in der Türkei, in der Türkei wird ernsthaft überlegt, eine Pufferzone militärisch durchzusetzen. Das heißt, dann gehen wir in Richtung eines gefährlichen Flächenbrandes militärischer Auseinandersetzung in dieser Region.

Schulz: Dann ist und bleibt die Frage, wie kann denn der Druck auf Assad erhöht, möchte ich gar nicht sagen, wie kann der überhaupt ausgeübt werden?

Erler: Ja da spielen also zwei Länder eine Schlüsselrolle: Das ist Russland und China. Gestern war ja der syrische Außenminister al-Muallem in Moskau und hat auch Ermahnungen von seinem Kollegen Lawrow erfahren. Aber immer noch bewegt sich Moskau da sehr vorsichtig und unentschlossen und versucht auch immer wieder, die Aufmerksamkeit zu lenken auf die bewaffnete Opposition und deren Angriffe auf syrische Truppen, und lenkt damit ein bisschen davon ab, dass eben nach dem unterzeichneten Plan der erste Schritt eindeutig von Assad gemacht werden muss.

Schulz: Das Thema ist und bleibt nach wie vor ja auch eine Resolution im Sicherheitsrat. Die war bisher eben an Russland und China gescheitert. Jetzt - das haben Sie gerade auch schon angedeutet - gibt es offenbar einen leichten Kurswechsel. Glauben Sie, dass das auf ein Umschwenken unterm Strich herauslaufen könnte?

Erler: Also man würde sich schon wünschen, dass sowohl Peking wie Moskau entschiedener auf Assad einwirkt, denn das sind eigentlich im Augenblick die einzigen Akteure, die möglicherweise noch Einfluss auf das Regime in Damaskus haben, wegen ihrer besonderen wirtschaftlichen Verbindungen, aber auch politischen Verbindungen, während ja eindeutig ist, dass der Rest der Weltgemeinschaft eben kaum Hebel hat, um auf die syrische Regierung einzuwirken.

Schulz: Wen sehen Sie denn da jetzt überhaupt in der Pflicht? Die Arabische Liga gilt als gescheitert, seit diese Beobachtermission Anfang des Jahres, vorsichtig gesagt, kein Erfolg war. Offenbar konnte auch Kofi Annan nun keine weitere Bewegung bringen. Wer oder was kann die Gewalt denn jetzt überhaupt noch stoppen in Syrien?

Erler: Nein, ich glaube, das ist völlig klar. Kofi Annan war ja sowohl der Sondergesandte der Vereinten Nationen als auch der Arabischen Liga. Alle haben auf Kofi Annan gesetzt. Das wird auch heißen in Zukunft, dass der einzige Fahrplan, der da ist, eben der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan ist, und ich erwarte, dass auch in Zukunft alle diplomatischen Bemühungen sich darauf richten werden, diesem Plan Autorität zu verschaffen, auch wenn die 48-Stunden-Frist verstrichen ist. Heute treffen sich ja die G8-Außenminister in Washington und die werden Syrien auf der Tagesordnung ganz vorne haben und am Wochenende, am Samstag dann, gibt es die Fünf-plus-Eins-Atomgespräche mit dem Iran, der ist ja auch ein wichtiger Akteur in der Region. Ich bin ganz sicher, dass da auch das Thema Syrien nicht ausgeschlossen werden kann. Das heißt also, die internationalen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft werden weiter in Richtung Unterstützung des Sechs-Punkte-Plans von Kofi Annan gehen.

Schulz: Einschätzungen waren das vom SPD-Außenpolitiker Gernot Erler zur Lage in Syrien.

11. April 2012