Erler: Die Opfer in Afghanistan waren nicht umsonst

Interview im SWR 2 am 5. Dezember 2011

Baden-Baden. Der SPD-Außenpolitik-Experte Gernot Erler hält den internationalen Einsatz in Afghanistan für erfolgreich. „Die Opfer waren nicht umsonst", sagte Erler im Südwestrundfunk (SWR). Immerhin sei es gelungen, durch die Militäraktion in Afghanistan einen weiteren Anschlag wie den vom 11. September zu verhindern.
Künftig sollte die internationale Gemeinschaft mithelfen, dass die Afghanen selbst für ihre Sicherheit sorgen können, so der SPD-Politiker. Die Idee sei, dass die einheimischen Sicherheitskräfte sich nach 2014 selbstständig gegen Aufstände der Taliban wehren könnten.

Erler forderte die Afghanistan-Konferenz auf, weiter am zivilen Aufbau des Landes zu arbeiten. Dazu müssten vor allem Polizisten und Soldaten ausgebildet werden, und zwar mit Finanzhilfe aus dem Ausland; Afghanistan sei nicht in der Lage, dies aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Außerdem schlug der SPD-Außenexperte vor, Afghanistan dabei zu helfen, eigene Rohstoffe zu erschließen. So könne das Land selber zu finanziellen Mitteln kommen, sagte Erler.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Theis: Vor zehn Jahren träumten viele Afghanen von Frieden und Wohlstand, vor zehn Jahren träumten Deutschland, Amerika und andere Staaten von Demokratie in Afghanistan. Heute reden bei der Afghanistan-Konferenz in Bonn Vertreter von rund 90 Ländern darüber, wie es in Afghanistan weitergehen soll. Denn es gibt dort bis heute weder Frieden, noch Wohlstand, noch Demokratie, dafür aber viele Opfer, zum Beispiel 52 tote deutsche Soldaten. Waren die Opfer umsonst?

Erler: Nein, man darf ja nicht den Ausgangspunkt vergessen, und zwar die Tatsache, dass damals die Attentate auf Washington und New York mit annähernd 3.000 getöteten Menschen eben in Afghanistan unter dem Schutz der Taliban-Herrschaft vorbereitet wurden, von dem Netzwerk des Terrors, Al Kaida. Und es war ja das Ziel, auf jeden Fall zu verhindern, dass das noch einmal passiert. Und ich denke, dass man dieses wichtige Ziel nicht aus den Augen verlieren darf. Inzwischen geht es natürlich um Afghanistans Zukunft - gerade auch auf dieser Konferenz. Und wie das Ganze nach 2014 weitergehen soll - denn inzwischen hat die internationale Gemeinschaft gesagt, o.k., wir haben einige Grundforderungen erreicht, aber wir werden unseren Einsatz, unseren militärischen Einsatz jedenfalls, bis zum Jahr 2014 beenden.

Theis: 2014 sollen die letzten ausländischen Streitkräfte abgezogen werden und überall da, wo die Soldaten gehen, werden sich wahrscheinlich die radikalen Taliban breit machen. Dann gibt es entweder eine islamistische Terrorherrschaft oder neuen Bürgerkrieg. Wie wollen Sie das verhindern?

Erler: Das soll dadurch verhindert werden, dass man eben das Hauptaugenmerk und die ganze Konzentration auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte lenkt. Das heißt eben, von Polizisten und von Soldaten. Und da gibt es auch durchaus Fortschritte. Am Ende sollen es mehr als 300.000 solcher Sicherheitskräfte sein. Und die Überlegung ist eben, dass man Schritt für Schritt - man nennt das Transmission - jetzt die Verantwortung übergibt in den Gebieten, wo es schon ausreichend starke Sicherheitskräfte der Afghanen gibt und wo eben dann die anderen Soldaten der internationalen Gemeinschaft sich zurückziehen können. Die Idee ist, dass nachher nicht etwa die Taliban zurückkommen, sondern dass dann die eigenen, die einheimischen Sicherheitskräfte sich gegen diesen Aufstand erfolgreich wehren können.

Theis: Das ist die Idee. Es ist aber ja aber tatsächlich so, dass schon seit Jahren Milliarden reingepumpt werden, auch ins Sicherheitssystem. Deutschland hilft unter anderem dabei, Polizisten auszubilden. Der Fortschritt ist nicht wirklich erkennbar. Glauben Sie tatsächlich, dass wir bis 2014 genug Sicherheit haben, dass die Afghanen allein zurechtkommen?

Erler: Natürlich ist das nicht zu garantieren. Aber zumindest muss man mal feststellen, dass dieser Prozess, diese Übergabe dieser Sicherheitsverantwortung mit diesem schrittweisen Ansatz funktioniert. Also, die ersten sieben Gebiete, die da übergeben worden sind, da ist das tatsächlich passiert. Und jetzt sind weitere Gebiete definiert worden, wo das passieren soll. Und wenn dieser nächste Schritt abgeschlossen ist, wird es schon so sein, dass etwa die Hälfte der afghanischen Bevölkerung von den eigenen Sicherheitskräften verteidigt wird.

Theis: Sie selbst haben mal im Bundestag gesagt, es muss Verantwortung übernommen werden, bis eine stabile Ordnung existiert. Und wenn die nicht existiert 2014?

Erler: Darum geht es gerade auf dieser Konferenz. Also, es wird schon nicht so sein, dass 2014 alles aufhört, sondern es soll weiter an dem zivilen Aufbau des Landes gebaut werden. Das ist natürlich auch ganz wichtig, weil die - sage ich mal - die Lage, die politische, davon abhängt, ob es da auch Fortschritte gibt. Dann soll es schon Zusagen geben, die afghanischen Sicherheitskräfte weiter auszubilden und vor allen das auch zu finanzieren, weil Afghanistan ist nicht in der Lage, diese über 300.000 Leute, die da für die Sicherheit sorgen sollen, auch zu finanzieren. Und schließlich soll auch Afghanistan geholfen werden bei der Erschließung der eigenen Rohstoffe. Da gibt es durchaus erhebliche Vorkommen, die aber bisher noch nicht eröffnet worden sind. Und auf diese Weise soll eben Afghanistan auch selber zu finanziellen Mitteln kommen.

Theis: Also, wir werden weiter viel Geld dort hinschicken, dort reinstecken und hoffen, dass es nicht versandet.