SWR2 Tagesgespräch mit Gernot Erler

SWR2 Tagesgespräch vom 26.05.2011

Gernot Erler (SPD), Stellv. Vorsitzender der Bundestagsfraktion, im Gespräch mit Uwe Lueb

Vor dem G8-Gipfel in Frankreich: „Mutige Vorschläge für neues Ansehen Deutschlands nötig"


Baden-Baden: Deutschland hat nach Ansicht von SPD-Fraktionsvize Gernot Erler international an Ansehen verloren. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, es habe viele falsche Entscheidungen gegeben - von Libyen über die Eurokrise bis zur Energiepolitik, die „Deutschland nicht wirklich mehr Respekt international eingebracht haben". In ihrer Regierungserklärung heute Morgen und auf dem G8-Gipfel in Deauville selbst könne Bundeskanzlerin Merkel Impulse geben, um neues Ansehen zu gewinnen. „Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass Deutschland sich in der Frage des arabischen Frühlings an die Spitze setzt und nun wirklich auch mal mutig über das Normale hinaus gehende Vorschläge macht", so Erler im SWR. Als Beispiele nannte er den Abbau von Handelsschranken oder die Förderung vor allem junger Menschen etwa durch Stipendien und Ausbildungsprogramme. „Aber ich befürchte, dass wir nichts davon heute bei der Regierungserklärung hören werden."

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Lueb: In Frankreich, in Deauville, beginnt heute das Gipfeltreffen der G8, also der alten sieben führenden Industrienationen plus Russland. Wie oft bei solchen Gipfeltreffen gibt es Themen, die ursprünglich gar nicht vorgesehen waren, sich dann aber doch auf die Tagesordnung gesetzt haben und nach vorn drängen. Dieses Mal dürfte es die Neubesetzung der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) sein. Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde hat ihre Kandidatur angekündigt. Wäre das eine gute Besetzung?

Erler: Es gibt vor allen Dingen dazu keine richtige Alternative - auch zum Beispiel kein deutscher Vorschlag, und das markiert auch ein bisschen das Problem vor diesem G8-Treffen. Deutschland hat hier keine wichtige Rolle mehr und hat auch keine Vorschläge - weder inhaltlicher Art, die besonders beachtet würden von den anderen Ländern - noch eben im personellen Bereich. Wir haben ja auch noch zu besetzen die Europäische Zentralbank, wo Sarkozy sich mit seinem Kandidaten Mario Draghi aus Italien offensichtlich durchsetzen wird, sodass hier sichtbar wird die veränderte Rolle von Deutschland in diesem wichtigen Gremium.

Lueb: ´Verändert` - wenn ich Sie richtig verstehe: ´geschwächt`. Bevor Bundeskanzlerin Merkel heute zum G8-Gipfel reist, gibt sie im Bundestag eine Regierungserklärung dazu ab. Was erwarten Sie von ihr?

Erler: Sie kann gar nicht anders, als auf diesen ganzen Bauchladen mit großem Sortiment einzugehen, der da in Deauville verhandelt wird. Wir werden sicher etwas hören über deutsche Beiträge zur Stabilisierung der Länder in dieser arabischen Erhebung am Südrand des Mittelmeers. Man muss etwas hören zu Nahost, auch zu der Partnerschaft in Afrika. Fukushima wird ein Thema sein und die Frage, wie nukleare Sicherheit in Zukunft verbessert werden kann. Eingeladen worden ist auch Präsident Zuma aus Südafrika, weil die nächste Konferenz zum Klima-Change in Durban stattfinden wird. Und dann haben wir die üblichen sicherheitspolitischen Fragen mit Libyen, Syrien, Iran, Afghanistan, Pakistan und dann auch noch die Lage der Weltwirtschaft. Also, wenn sie das alles in 20 Minuten abhandelt, werden wir wahrscheinlich zu jedem Thema nur einen Satz hören.

Lueb: Bleiben wir kurz bei Libyen. Deutschland ist ja mit seiner Enthaltung zur Libyen-Resolution im UNO-Sicherheitsrat international weitgehend auf Unverständnis gestoßen. Hat Deutschland international insgesamt an Gewicht verloren, oder vielleicht doch nur innerhalb der EU?

Erler: Wenn man das mal vergleicht auch mit dem Gipfel in Heiligendamm vor vier Jahren, wo die Kanzlerin Gastgeber war, und wo ihr gehuldigt wurde als eine wichtigste Person der Weltpolitik, dann haben wir heute wirklich ein völlig anderes Bild. Sie haben vollkommen Recht, diese Libyen-Entscheidung nicht für den Schutz der Menschen in Benghasi hat Kopfschütteln weltweit hervorgerufen und auch zu einer politischen Isolierung geführt. Aber auch die etwas hastige Antwort Deutschlands auf Fukushima ist international mit Kopfschütteln beantwortet worden. Oder die harte Haltung von Angela Merkel, der Bundeskanzlerin, in der Frage der Eurokrise, der Rettungsmaßnahmen für verschiedene Länder. Oder die letzten populistischen Attacken gegen Griechenland und Portugal nach dem Motto ´die arbeiten zu wenig`. Das alles sind Dinge, die Deutschland nicht wirklich mehr Respekt international eingebracht haben.

Lueb: Was muss Deutschland tun, was muss die Bundesregierung tun, um diesen Prozess vielleicht wieder umzukehren, um international wieder zu mehr Ansehen zu gelangen?

Erler: Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass Deutschland sich in dieser Frage des arabischen Frühlings an die Spitze setzt, und nun wirklich auch mal mutig über das Normale hinausgehende Vorschläge macht. Also, dass die zuständigen Banken vom IWF über die Weltbank bis zur EBRD, der Europäischen Bank für Wiederaufbau, dass da etwas gemacht wird und dass da Kredite zur Verfügung gestellt werden, das ist das Normale. Aber wo bleibt mal etwas, was etwas Besonderes wäre. Zum Beispiel, dass man sagt, jawohl, wir lassen mehr Produkte aus Nordafrika auch rein in die EU, also wir senken Handelsschranken, wir öffnen unsere Märkte. Oder, wo ist ein Angebot, dass man sagt, wir machen ein umfassendes Bildungs- und Weiterbildungs- und Ausbildungs-Angebot und vergeben auch Stipendien an die jungen Leute. Wir wissen ja, welche Rolle die jungen Leute in der afrikanischen Erhebung, der arabischen Erhebung, gespielt haben und dass die Zukunftsaussichtslosigkeit da eine wichtige Rolle gespielt hat. Was könnte man Besseres machen als da, oder vielleicht auch den Arbeitsmarkt ein Stück weit zumindest für bestimmte Kontingente zu öffnen. Aber ich befürchte, dass wir nichts davon heute bei der Regierungserklärung hören werden.